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Internetnutzungsstörung: Erste Leitlinie veröffentlicht

Nahaufnahme weiblicher Hände, die auf Laptoptastatur tippen
Bei einer diagnostizierten Internetnutzungsstörung wird eine Verhaltenstherapie empfohlen. | Bild: tippapatt / AdobeStock

Viele Menschen kennen das Gefühl, etwas zu viel Zeit im Internet zu verbringen. Doch bei manchen nimmt die Kontrolle über das eigene Verhalten ab. Andere Alltagsaktivitäten werden zunehmend vernachlässigt, soziale Konflikte nehmen zu oder berufliche und schulische Leistungen verschlechtern sich. Bleibt das Verhalten unverändert oder eskaliert es sogar, spricht man von einer Internetnutzungsstörung.

Zu dieser hat die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie nun erstmals eine S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie entwickelt.

Was ist eine Internetnutzungsstörung?

Internetnutzungsstörungen umfassen viele Phänomene: Mal können sich Betroffene nicht von Computerspielen oder sozialen Netzwerken lösen, mal besuchen sie immer wieder Pornografie-, Shopping- oder Glücksspielseiten. 

Als offizielle Unterform sind nur die diagnos­tischen Kriterien der Computerspielstörung (Gaming Disorder) in der ICD-11 der World Health Organization (WHO) gelistet. Die Diagnose wird mithilfe validierter Fragebögen gestellt. 

Die letzte Prävalenzschätzung für Deutschland liegt bereits 14 Jahre zurück – damals gingen die Autoren von bis zu 2,1 Prozent Betroffenen aus. Experten vermuten jedoch, dass die Prävalenz insbesondere bei Jugendlichen in jüngster Zeit gestiegen ist, da während der Pandemie vermehrt Onlinespiele oder soziale Medien genutzt wurden.

Welche Therapie bei Internetnutzungsstörung?

Wird eine Internetnutzungsstörung diagnostiziert, ist für eine störungsspezifische kognitive Verhaltenstherapie die Evidenz am höchsten, auch wenn teilweise systematische Übersichtsarbeiten fehlen. 

Für männliche Patienten mit Computerspielstörungen sind Gruppensitzungen ebenso wirksam wie Einzelsitzungen. Die Leitlinienautoren empfehlen die ­Gruppentherapie, um die Wartezeit auf ­einen Therapieplatz möglichst kurz zu halten. Bei Kindern und Jugendlichen wird empfohlen, die Eltern in die ­Therapie einzubeziehen oder schul­basierte Interventionen zu initiieren.

Therapieoptionen zweiter Wahl basieren meist auf kleinen oder methodisch schwächeren Studien. Diskutiert werden hier Bewegungstherapien, ­Entspannungsverfahren oder medikamentöse Therapien. 

Helfen Arzneimittel gegen Internetnutzungsstörungen?

In einer Studie aus dem Jahr 2012 ­behandelten die Autoren 29 Patienten mit Computerspielsucht mit dem ­Monoamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion. 

Die Probanden in der ­Bupropion-Gruppe zeigten zwar signifikant weniger sucht- und depressionsspezifische Symptome als die Placebo-Gruppe, allerdings beobachteten die Autoren ihre Probanden nur über vier Wochen. Ein länger anhaltender Effekt bleibt daher unklar – ebenso wie die Rationale für die Empfehlung einer medikamentösen Therapie der Computerspielsucht.

Wenn psychotherapeutische Interventionen bei einer Pornografienutzungsstörung nicht den gewünschten Erfolg zeigen, kann eine Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern erwogen werden. 

Zudem sollten bestehende psychiatrische Begleiterkrankungen wie Depressionen mit Escitalopram oder ADHS bei entsprechender Indikation mit Atomoxetin oder Methyl­phenidat behandelt werden.

Beratung in der Apotheke: Auf Hilfsangebote hinweisen

Zudem können Apothekenmitarbeiter Hilfsangebote empfehlen. So bietet die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unter www.ins-netz-­gehen.de einen kostenlosen Selbsttest und ein vierwöchiges Coaching an. 

Ist eine Therapie unumgänglich, kann der Hinweis auf die Elternberatung Sucht (ELSA) oder die Deutsche ­Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung (DAJEB) hilfreich sein. Beide Stellen können wohnortnah spezialisierte Therapeuten vermitteln. Quelle:
Diagnostik und Therapie von Internetnutzungsstörungen. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, AWMF-Reg. Nr. 076-011, Stand 20. November 2024