Was ist eigentlich eine kognitive Verhaltenstherapie?
Ein und dieselbe Beobachtung lässt sich bei vielen psychischen und auch körperlichen Störungen machen: Das Ausmaß der Beschwerden hängt mit davon ab, wie Betroffene mit ihrer Beeinträchtigung umgehen.
So kann eine negative Erwartungshaltung tatsächlich zur Verschlimmerung führen, während eine eher gelassene Einstellung manches erträglicher macht. Dieses Prinzip macht sich auch die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) zunutze.
Verhalten und Denkmuster beeinflussen Krankheiten
Die KVT ist eine spezielle Form der Psychotherapie, mittlerweile fest etabliert und wissenschaftlich gut untersucht. Wie der Begriff „kognitive Verhaltenstherapie“ besagt, steht bei der Therapie das Verhalten im Mittelpunkt.
Verhalten schließt dabei aber nicht nur die offensichtlichen Verhaltensweisen einer Person ein. Es geht ebenso um deren „Kognitionen“ – das heißt, um die Denkmuster, also wie die betreffende Person bestimmte Dinge, Situationen und das Erlebte gedanklich und emotional bewertet.
Die KVT geht davon aus, dass ungünstige (dysfunktionale) Gedanken und Gefühle zu ungünstigen Überzeugungen und diese dann zu ungünstigen Verhaltensweisen führen können. Verselbstständigen sich diese Prozesse und laufen ohne bewusste Steuerung ab, können bestimmte Krankheiten ausgelöst oder verstärkt werden.
Ziel der KVT: Erlerntes Verhalten umstrukturieren
Die kognitive Verhaltenstherapie, die sich in den 1970er-Jahren aus der Verhaltenstherapie heraus entwickelte, basiert auf der Lernwissenschaft. Demnach ist jedes Verhalten – ob angemessenes oder fehlgeleitetes – erlernt und kann daher auch wieder verlernt bzw. verändert werden.
Das Behandlungsziel der KVT ist es nun, schädliches Verhalten zu ermitteln und durch angemesseneres, günstigeres Verhalten zu ersetzen (kognitive Umstrukturierung).
KVT Mittel der ersten Wahl bei Schlafstörungen
Dieses Therapieprinzip lässt sich am Beispiel von Schlafstörungen gut veranschaulichen: Die KVT hat hier den Zweck, Denkmuster zu analysieren und zu modifizieren, die vom Schlaf abhalten.
So ist zum Beispiel ein typischer schlafstörender Gedanke: „Wenn ich jetzt nicht endlich einschlafe, kann ich den morgigen Tag vergessen.“ Eine neutralere und angemessenere Einstellung wäre beispielsweise: „Jetzt warte ich mal ab, was passiert. Vielleicht schlafe ich ja doch ein. Wenn nicht, ist das auch keine Katastrophe. Ich weiß, dass ich den nächsten Tag trotzdem überstehe.“
Die KVT setzt bei Schlafstörungen außerdem darauf, unrealistische oder überzogene Betrachtungen des Schlafs zu korrigieren. So haben viele Menschen die zwanghafte Vorstellung, unbedingt sieben bis acht Stunden schlafen zu müssen.
Eine wirklichkeitsnähere Bewertung des Schlafs fixiert sich jedoch nicht so sehr auf die Schlafdauer. Wichtiger ist es, ob der Schlaf erholsam genug ist und man sich tagsüber wohlfühlt.
Bei manchen Patienten wird aus negativen Gedanken sogar eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wer etwa davon überzeugt ist, um zwei Uhr nachts aufzuwachen und nicht wieder einschlafen zu können, erlebt dies irgendwann tatsächlich so. Auch hier wird in der KVT versucht, das schädigende Denkmuster durch ein neutrales zu ersetzen.
Darüber hinaus baut die KVT bei Schlafstörungen noch auf weitere Komponenten. Dazu zählt zum Beispiel die Schlafhygiene, also die Verbesserung von Gewohnheiten, die den Schlaf beeinträchtigen (z. B. spätes Essen, Medienkonsum etc.).
Ein weiterer Bestandteil ist die Stimuluskontrolle, bei der erreicht werden soll, dass man das Bett automatisch mit Schlafen assoziiert. Auch Entspannungstechniken und paradoxe Interventionen wie Schlafrestriktion oder „Schlafverbot“ gehören zum therapeutischen Arsenal.
Die KVT gilt bei Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen als Mittel der ersten Wahl. Im Gegensatz zu einer Pharmakotherapie verfolgt sie nicht nur einen symptomatischen, sondern einen ursächlichen Behandlungsansatz. Medikamente können allerdings unterstützend oder im Vorfeld hilfreich sein.
KVT bei Depressionen, Phobien und Süchten
Im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapie bedient man sich eines Baukastenprinzips: Je nach Störung und individueller Ausprägung kommen andere Bausteine zum Einsatz.
So hat sich zum Beispiel bei Angststörungen die Expositions- oder Konfrontationsmethode als wirksam erwiesen. Hierbei werden die Betroffenen mit dem angstauslösenden Objekt (z. B. Spinne) oder der angstbesetzten Situation (z. B. Menschenmenge) kontrolliert konfrontiert, was zur Überwindung der Ängste führen soll.
Bei einer sozialen Phobie kann der Aufbau sozialer Kompetenzen, etwa in Form eines Kontakt- oder Kommunikationstrainings, ein wichtiger Therapiebaustein sein. Bei zwanghaftem Verhalten (z. B. Waschzwang) ist eventuell das Modell-Lernen hilfreich. Hierbei sollen von Vorbild-Personen bestimmte Verhaltensweisen nachgeahmt werden (z. B. normales Händewaschen).
Bei Depressionen steht die Korrektur irrationaler Gedanken (Schuld, Schwäche, erlernte Hilflosigkeit etc.) im Mittelpunkt, außerdem das Herausarbeiten angenehmer Gedanken und Tätigkeiten sowie das Erlernen von Selbstsicherheit, Problemlösefähigkeiten, Stressmanagement etc.
Bei Süchten sucht man nach den Gründen für das Suchtverhalten, erarbeitet Strategien gegen das Verlangen nach dem Suchtstoff und übt neue Verhaltensweisen.
Bei der körperdysmorphen Störung geht es um die Reduktion der Beschäftigung mit dem Aussehen, eine realistischere Selbstwahrnehmung und den Aufbau von Identitäten, die nicht vom Aussehen abhängen.
Und bei Essstörungen strebt man eine Normalisierung des Essverhaltens, eine Steigerung des Selbstwertgefühls und eine verbesserte Emotionsregulation an.
KVT wirkt auch bei körperlichen Beschwerden
Auch bei körperlichen Beschwerden zeigt die KVT Wirkung, zum Beispiel bei Fibromyalgie, Rheuma- oder chronischen Rückenschmerzen. Die Betroffenen lernen, schmerzbezogene Empfindungen wie Angst und „Schmerzüberzeugungen“ kognitiv zu ändern. Ungünstige Verhaltensweisen wie Schonhaltung und Bewegungsvermeidung werden in der KVT ebenfalls bearbeitet.
Erfolgversprechend ist die KVT auch bei Tinnitus. Hier zielt sie darauf ab, eine übermäßige Fokussierung der Betroffenen auf ihre Ohrgeräusche zu verringern. Der Tinnitus soll umbewertet und Vermeidungsverhalten (Vermeidung akustischer Exposition) aufgegeben werden.
Spezielle Formen der kognitiven Verhaltenstherapie
Insbesondere bei Borderline-Patienten kommt häufig die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) zum Einsatz. Bei dieser speziellen KVT-Form steht die gestörte Affektregulation im Mittelpunkt. Um mit den emotionalen Spannungszuständen zurechtzukommen und selbstverletzendes Verhalten zu überwinden, üben die Betroffenen bestimmte Bewältigungsstrategien ein.
Eine spezielle Weiterentwicklung der KVT ist die Schematherapie. Sie bezieht sich vor allem auf emotionale Defizite in der Kindheit. Diese haben zu frühen ungünstigen Mustern aus Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen etc. – den Schemata – geführt. Solche Schemata können später im Leben durch bestimmte Umstände wieder aktiviert werden. In der Therapie versucht man, die Schemata zu erkennen und kognitiv umzustrukturieren. Die Schematherapie kommt vor allem bei Persönlichkeitsstörungen zur Anwendung.
KVT: Wo, für wen, wie lange?
Eine kognitive Verhaltenstherapie wird von Psychotherapeuten durchgeführt. In der Regel finden die Therapiestunden einmal wöchentlich statt. Wie lange eine KVT dauert, lässt sich nicht pauschal sagen, sondern ist abhängig von Art und Schwere der jeweiligen Probleme.
Manchen Menschen helfen schon ein paar KVT-Sitzungen, andere wiederum benötigen mehrere Monate. Bei Schlafstörungen geht man im Allgemeinen von einer Therapiedauer von vier bis sechs Wochen aus.
Grundsätzlich gilt aber: Eine KVT erfordert viel aktive Mitarbeit der Patienten. So muss das in der Therapiestunde Erarbeitete im Alltag regelmäßig trainiert werden. Schließlich handelt es sich bei der KVT um eine Hilfe zur Selbsthilfe.
Wer an ausgeprägten Störungen wie einer schweren Depression leidet, kann mit einer KVT daher überfordert sein. Wegen des Selbsthilfecharakters basieren übrigens viele Apps aus dem Bereich Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) – etwa zu depressiven Störungen, Ängsten oder Tabakabhängigkeit – auf Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie.
Liegt die Diagnose einer psychischen Erkrankung wie Depression, Angststörung oder Suchterkrankung vor, werden die Kosten einer KVT von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Quellen: Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. (DGSM); Institut für Qualität und WirtschaftIichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG); Neurologen und Psychiater im Netz; Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN); Universitätsspital Zürich (USZ); M.A. Wirtz: Dorsch – Lexikon der Psychologie, Hogrefe Verlag
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) in Kürze
- Etablierte und wissenschaftlich fundierte Form der Psychotherapie
- Therapieziel besteht darin, krankheitsverursachende oder -verstärkende Gedanken-, Gefühls- und Verhaltensmuster bewusst zu machen und kognitiv zu verändern (kognitive Umstrukturierung).
- Basiert auf wissenschaftlicher Lerntheorie, wonach menschliches Verhalten erlernt wird und auch wieder verlernt werden kann.
- Bei vielen psychischen und körperlichen Erkrankungen anwendbar, u. a. bei Schlafstörungen, Depressionen, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, Süchten, Tinnitus, Schmerzen.
- Abhängig von Art und Stärke der Erkrankung kommen individualisiert unterschiedliche Therapiebausteine der KVT zum Einsatz, z. B. Expositionsmethode, Modell-Lernen, Kompetenzaufbau.
- Erfordert viel aktive Mitarbeit der Patienten; vermittelt Hilfe zur Selbsthilfe.
- Viele DiGA basieren auf KVT.