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Was ist eigentlich die Borderline-Störung?

Unglückliche Frau betrachtet sich in gebrochenem Spiegel
Borderline-Betroffene haben viele Selbstzweifel und können ihre Gefühle nur schlecht regulieren. | Bild: triocean / AdobeStock

Höchste Glücksgefühle schlagen plötzlich in abgrundtiefe Traurigkeit um. Der gerade noch heißgeliebte Freund wird auf einmal zum Hassobjekt. Hat man sich eben noch Höchstleistungen zugetraut, würde man sich im nächsten Moment vor lauter Angst und Unsicherheit am liebsten verkriechen. 

Solche abrupten Wechsel zwischen intensiven und extremen Stimmungen und Gefühlen sind typisch für die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Diese psychiatrische Erkrankung wird auch als emotional-instabile Persönlichkeitsstörung klassifiziert. 

Borderline: Schwierigkeiten, Gefühle zu regulieren

Borderline-Betroffene haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu kontrollieren. Sie kennen sich mit sich selbst nicht richtig aus. Sie haben viele Selbstzweifel, ihr Selbstbild ist instabil. „Ich weiß nicht, wer ich bin“, ist deshalb eine typische Äußerung.  

„Borderliner“ haben aber nicht nur mit sich selbst Schwierigkeiten, sondern ganz besonders in ihren sozialen und intimen Beziehungen. Auch diese sind intensiv und wechseln abrupt zwischen Extremen, da Gefühle anderen gegenüber nur schwer kontrolliert werden können. So werden andere Menschen oft vorschnell als super nett, kurz darauf als ganz widerwärtig wahrgenommen. 

Borderline-Betroffene neigen zu Wutausbrüchen und fangen häufig unvermittelt heftigen Streit mit anderen an. Es kann dabei auch zu körperlichen Aggressionen kommen.  

Nur exzentrisch oder schon krank?

Je nach Charakter und Temperament zeigen zahlreiche Menschen mitunter extreme Verhaltensweisen, die durchaus Borderline-Merkmalen gleichkommen. Dennoch liegt nicht automatisch eine Borderline-Störung vor. 

Um eine solche handelt es sich dann, wenn die Person durch ihre Persönlichkeitsmerkmale langfristig in mehreren Lebensbereichen stark beeinträchtigt ist. Finden Selbstverletzungen statt, sollte auf jeden Fall professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.  

Borderliner plagt große Angst vor dem Alleinsein

Auch was Partnerschaften betrifft, sind Borderliner unkontrolliert und extrem. Sie lassen sich häufig schnell in eine intensive, aber instabile Beziehung ein. Oft verlieben sie sich Hals über Kopf in jemanden und schwärmen dann etwa: „Gestern habe ich meinen Traummann gefunden.“ 

Schon beim geringsten Anlass, beispielsweise wenn der „Traumpartner“ etwas später als verabredet kommt, kann aus dem großen Liebesglück unvermittelt abgrundtiefer Hass werden. Daher gehen Beziehungen von Borderlinern oft ganz plötzlich in die Brüche.  

Andererseits haben Borderline-Betroffene große Angst davor, verlassen zu werden. Sie versuchen das mit allen Mitteln zu verhindern, auch mit Selbstmorddrohungen. Die übermäßige Angst vor dem Verlust des Partners hat auch damit zu tun, dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung durch starke Gefühle innerer Leere gekennzeichnet ist. 

Die Angst vor dem Alleinsein kann dann bei den Betroffenen übermächtig werden. Eine junge Frau gesteht zum Beispiel: „Ich habe schon ganz widerliche Kerle mit nach Hause genommen, damit ich nur ja nicht allein bin.“

Häufig bei Borderline: riskantes impulsives Verhalten 

In anderen Lebensbereichen reagieren Borderliner ebenfalls oft impulsiv und unkontrolliert. Das kann sie in große Schwierigkeiten bringen, zum Beispiel wenn sie teure Anschaffungen machen, unüberlegt einen Vertrag abschließen oder den Job kündigen. Viele handeln sich dadurch soziale Probleme ein oder verlieren ihren Arbeitsplatz. 

Typische Selbstverletzungen bei Borderline: „Ritzen“ 

Ein weiteres Kennzeichen von Borderline-Patienten ist selbstverletzendes Verhalten. So praktizieren einige von ihnen das „Ritzen“, bei dem sie insbesondere die Unterarme durch zahlreiche blutige Schnitte misshandeln. Diese Selbstverletzung dient häufig dazu, die starke innere emotionale Spannung abzubauen. Es kommen aber auch suizidale Handlungen vor.  

Aufgrund der gestörten Emotionsregulation bzw. um Erregungszustände abzubauen, neigen manche Borderliner zu Essattacken oder Substanzmissbrauch. Mit der Zeit können sich daraus regelrechte Begleiterkrankungen wie Essstörungen oder Drogenabhängigkeit entwickeln.  

Ursachen von Borderline noch ungeklärt

Aber wie kommt es überhaupt zu einer Borderline-Persönlichkeitsstörung? Über die Ursachen weiß man noch nicht ausreichend Bescheid, allerdings scheinen Missbrauch und Vernachlässigung sowie Mobbingerfahrungen in der Kindheit wichtige Risikofaktoren zu sein. Man geht davon aus, dass die Störung aufgrund eines Zusammenspiels erblicher Veranlagung und äußerer Faktoren zustande kommt.  

Bei ungefähr zwei von 100 Menschen tritt die Borderline-Persönlichkeitsstörung auf. Bei Frauen ist die Diagnoserate wesentlich höher als bei Männern. Meist wird die Störung im jungen Erwachsenenalter erkannt. Doch Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen zeigen sich oft schon viel früher. Mit zunehmendem Alter wird die Symptomatik teilweise schwächer.

In Bildgebungsuntersuchungen konnten bei Patienten Aktivitätsänderungen in einigen Hirnarealen festgestellt werden.  

Behandlung mit Psychotherapie 

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung kann bereits ab dem frühen Jugendalter erfolgversprechend behandelt werden. Im Vordergrund steht dabei die Psychotherapie, hierbei speziell die sogenannte Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) sowie die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT).  

Eine medikamentöse Behandlung soll höchstens begleitend und zeitlich begrenzt erfolgen – z. B. mit Antipsychotika wie Aripiprazol oder Olanzapin, Antikonvulsiva wie Lamotrigin oder Valproinsäure bzw. Antidepressiva wie Fluoxetin oder Fluvoxamin. Sie findet stets im Off-Label-Use statt, da es bislang kein zugelassenes Borderline-Medikament gibt. 

Für Erwachsene mit PBS steht jüngst auch die Webanwendung „Priovi“, basierend auf der kognitiven Verhaltenstherapie, als Behandlungsmöglichkeit bereit.

Botox gegen Borderline?

Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover untersuchen seit einigen Jahren den Einsatz von Botulinumtoxin (Botox®) auf seine Wirksamkeit bei Depressionen sowie Borderline-Störungen. 

Das Bakteriengift dämpft hier nachhaltig negative Emotionen. Die Wirkweise beruht wahrscheinlich auf einem Rückkopplungsmechanismus: Eine Injektion über der Nasenwurzel lähmt jene Muskeln, die an Zornesfalten beteiligt sind. 

Da sich Gesichtsmimik und psychisches Befinden gegenseitig beeinflussen, erzeugt eine entspannte Stirn positivere Gefühle. Mittels Magnetresonanztomographie konnte eine gedämpfte Aktivität in der für Ängste zuständigen Hirnregion (Amygdala = Mandelkern) nachgewiesen werden. Quellen: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN), S3 Leitlinie Borderline-Persönlichkeitsstörung; Universität Ulm; Medizinische Hochschule Hannover; www.borderline-plattform.de  

Borderline-Persönlichkeitsstörung in Kürze

  • Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung
  • Komplexe Erkrankung, bei der die Gefühlskontrolle gestört ist
  • Vielfältige mögliche Symptome: starke Stimmungsschwankungen, gestörtes Selbstbild, Neigung zu intensiven, aber instabilen Beziehungen, große Angst vor dem Verlassenwerden, selbstschädigendes Verhalten, Gefühl der inneren Leere, Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, impulsives Verhalten, Neigung zu Wutausbrüchen und Aggressionen
  • Bei Frauen häufiger diagnostiziert
  • Wahrscheinlich ursächliches Zusammenspiel aus erblicher Veranlagung und äußeren Einflüssen; Risikofaktoren: Vernachlässigung und Misshandlung in Kindheit
  • Spezielle Psychotherapie; Medikamente höchstens begleitend off-label