Essstörungen: Wie Eltern vorbeugen können
Essstörungen treten vor allem in Lebensphasen mit Umbrüchen auf. Unsicherheit und schwankendes Selbstwertgefühl können den Boden dafür bereiten. Gerade bei Mädchen in der Pubertät lassen Zufriedenheit mit dem Aussehen und positive Gefühle dem eigenen Körper gegenüber nach. Da kann dann schon eine unbedachte Bemerkung wie „Du solltest echt mal abnehmen!“ den Auslöser für die Krankheit geben.
Was zeichnet Essstörungen aus?
„Von einer Essstörung spricht man, wenn das Essverhalten und das Körperbild eines Menschen gestört sind“, erklärt Friederike Schneider-Hanses, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin der DRK-Kinderklinik Siegen in einer Pressemitteilung. Typischerweise kreisten die Gedanken zunehmend um Nahrung, Kalorienwerte und das eigene Aussehen. Gleichzeitig verändere sich die Art und Menge der Mahlzeiten stark, außerdem würde häufig viel Sport getrieben.
„Mit Essstörungen gehen meist körperliche und seelische Schäden einher“, so die Psychotherapeutin weiter. „Die Krankheitsbilder können dabei sehr ernste Konsequenzen haben – in Extremfällen sogar bis hin zum Tod.“
Zur Erinnerung: Die drei häufigsten Essstörungen
Magersucht (Anorexia nervosa): Betroffene hungern bis hin zu einem lebensbedrohlichen Untergewicht. Dennoch haben sie panische Angst, dick zu werden. Ihr Gewicht und ihren Körper nehmen sie verzerrt wahr. Die Kontrolle über ihr Gewicht stellt für Anorexie-Patienten die Basis ihres Selbstwertgefühls dar.
Bulimie (Ess-Brechsucht, Bulimia nervosa): Aufgrund eines anfallsweise auftretenden Verlangens nach Essen nehmen die Betroffenen in kürzester Zeit unkontrolliert sehr große Mengen zu sich. Aus Angst vor einer Gewichtszunahme erbrechen sie nach den Essanfällen oder missbrauchen Abführmittel.
Binge-Eating-Störung: Betroffene leiden an wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essanfällen. Im Gegensatz zur Bulimie ergreifen sie aber keine Gegenmaßnahmen. Dies führt meist zu starkem Übergewicht oder Adipositas.
Essstörungen nehmen zu
Essstörungen sind jedoch keine Seltenheit. In einer systematischen Übersichtsarbeit kamen Forschende Anfang des Jahres zu dem Ergebnis, dass in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen etwas mehr als jeder Fünfte ein gestörtes Essverhalten aufweist . Dabei waren Mädchen deutlich häufiger betroffen als Jungen (30,03 Prozent vs. 16,98 Prozent).
In einer Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) zeigte sich zudem, dass die Fallzahlen in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen sind. Litten im Jahr 2019 noch 12,9 von 1.000 Jugendlichen (12–17 Jahre) an einer Essstörung, waren es 2021 schon 17,6. Betrachtet man in dieser Altersgruppe nur Mädchen bzw. Frauen, kam es zwischen 2020 und 2021 zu einem massiven Anstieg um über 30 Prozent.
Ursachen für Essstörungen
Einen Grund für die Zunahme von Essstörungen sehen Experten vor allem in gesellschaftlichen Einflüssen durch bestimmte Schönheitsideale oder Schlankheitsdruck. Dies wurde mit Etablierung der Social-Media-Plattformen noch verstärkt, denn diese vermitteln häufig ein unrealistisches und teils gar gefährliches Körperideal. Hinzu kommen virtuelle Challenges, bei denen Jugendliche sich z. B. darin messen, wer am meisten innerhalb eines bestimmten Zeitraums abnimmt.
Auch die Isolation während der Corona-Pandemie kann zur Entwicklung der Fallzahlen beigetragen haben. Denn in dieser Zeit beschäftigten sich Jugendliche mangels Alternativen verstärkt mit digitalen Medien, während gleichzeitig der Kontakt zum realen Leben und echten Menschen „ohne Filter“ entfiel.
Essstörungen sind jedoch noch von verschiedenen anderen Faktoren abhängig. Dazu gehören genetische Grundlagen und Persönlichkeitsmerkmale wie etwa Perfektionismus. Viele Betroffene haben ein falsches Selbstbild und/oder Schwierigkeiten, mit negativen Emotionen angemessen umzugehen. „Insbesondere bei der Magersucht spielt der Wunsch nach Kontrolle und ein ausgeprägter Leistungsgedanke eine große Rolle“, so Friederike Schneider-Hanses. Da Abnehmen Glückshormone auslöse, hätten die Betroffenen das Gefühl, etwas zu leisten und erfolgreich zu sein. Um dieses Gefühl aufrechtzuerhalten, würde sodann immer weiter abgenommen.
Eine entscheidende Rolle spielt außerdem das soziale und familiäre Umfeld. So können gerade die Eltern rechtzeitig Strategien entwickeln, um einem gestörten Essverhalten vorzubeugen.
Gut zu wissen: Behandlungseinsicht oft nicht gegeben
Durch die verzerrte Körperwahrnehmung erkennen Menschen mit Essstörung oft selbst nicht, dass sie zu dünn sind. Häufig empfinden sie sich nach wie vor als „zu dick“. Daher ist ihnen die Notwendigkeit einer Therapie oft nicht bewusst.
Prävention von Essstörungen: Das können Eltern tun
Selbstwertgefühl stärken
Alles, was das Selbstbewusstsein und die Selbstannahme fördert, wirkt präventiv. Eltern sollten ihren Kindern vorleben, dass Unzulänglichkeiten und Fehler zum Leben dazugehören.
Gesundes Körperbewusstsein fördern
Eltern können ein positives Körpergefühl fördern, zum Beispiel durch Freude an Bewegung und ein respektvoll-zärtliches Miteinander. Kritische Bemerkungen über die Figur sollten unterbleiben.
Gutes Ernährungsverhalten vorleben
Bei gemeinsamen Mahlzeiten können Eltern mit gutem Beispiel vorangehen – durch eine gesunde und gleichzeitig genussvolle Ernährung. Machtspiele und Zwang beim Essen sollte es nicht geben. Umgekehrt sollten Essen oder Süßigkeiten nicht als Belohnung, Trost oder Liebesersatz eingesetzt werden.
Übergewicht vorbeugen
Ein normales Körpergewicht in der Kindheit – durch gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung – beugt späteren Essstörungen vor.
Kein Smalltalk über das Gewicht
Eltern sollten sich den Smalltalk über das eigene Gewicht und das der anderen Familienmitglieder verkneifen. Studien zeigen, dass schon kleine Mädchen verunsichert sind, wenn ihre Mütter mit dem eigenen körperlichen Erscheinungsbild unzufrieden sind.
Keine Diät für Heranwachsende
Durch eine radikale Diät können Teenager leicht in eine Essstörung rutschen. Heranwachsende, für die ein Gewichtsverlust sinnvoll wäre, sollten nur langsam abnehmen und dabei ärztlich begleitet werden.
Kritisches Medienbewusstsein fördern
Eltern sollten ihre Kinder dazu anregen, typisch männliche und weibliche Rollenzuweisungen zu hinterfragen. Dazu gehören auch gängige Schönheitsideale. Hierfür ist es wichtig, dass Kinder ein kritisches Medienbewusstsein entwickeln.
Was tun, wenn eine Essstörung vermutet wird?
Besteht der Verdacht einer Essstörung, sollten Eltern mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Friederike Schneider-Hanses rät in diesem Fall gezielte Nachfragen zu stellen, z. B. „Was bedrückt oder belastet Dich?“ oder „Wie können wir Dir helfen?“. „Im Ernstfall sollten die Eltern mit ihrem Nachwuchs zügig den Kinderarzt aufsuchen – auch wenn es gegen den Willen des Kindes ist. Er kann wiegen, die Größe messen und abklären, ob wirklich Grund zur Sorge besteht.“ Quellen: Deutsches Grünes Kreuz e.V.; Bundesministerium für Gesundheit; DRK-Kinderklinik Siegen gGmbH