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Kinder und Jugendliche: Gestörtes Essverhalten: Jeder fünfte junge Mensch betroffen

Junge Asiatin schaut lustlos auf Gemüse
Besonders Mädchen und junge Frauen haben ein erhöhtes Risiko für Essstörungen. | Bild: Pormezz / AdobeStock

Man isst, wenn man hungrig ist, und stoppt, sobald Sättigung eintritt: Ein gesundes Essverhalten orientiert sich an physiologischen und sozialpsychologischen Bedingungen. Dabei dient Essen der Gesundheit und Energiegewinnung, ist Genuss und hilft zugleich, soziale Beziehungen zu pflegen. 

Bei einem gestörten Essverhalten funktionieren diese Mechanismen nicht mehr, und die oben genannten Punkte verlieren an Bedeutung. Stattdessen wird Essen mehr und mehr zum Problem: Strenge Essregeln und Bewegungsziele stören den Alltag und belasten Freundschaften. 

Nicht zwangsläufig auch eine Essstörung

Ein gestörtes Essverhalten ist jedoch noch keine Essstörung. Damit eine Essstörung diagnostiziert wird, müssten zwar ähnliche Symptome, doch ein höheres Maß an Starrheit, Stress und Beeinträchtigung der Lebensfunktionen vorliegen, erklärte die Gründerin des Eating Disorder Center in Rockville (Maryland, USA) und Therapeutin Jennifer Rollin jüngst in einem CNN-Interview. 

Die Schweizerische Gesellschaft für Essstörungen spricht von einer „Essstörung im engeren Sinne“, „wenn übermässige Beschäftigung mit Nahrung und dem eigenen Körper dazu führt, dass die emotionale, die soziale und die körperliche Integrität verletzt wird“. Wichtig ist, dass nicht jedes gestörte Essverhalten unweigerlich in eine manifeste Essstörung mündet, doch das Risiko besteht.

Bei gestörtem Essverhalten frühzeitig eine Therapie beginnen

Daten von 2019 zufolge leiden weltweit 14 Millionen Menschen an einer Essstörung. Die bekanntesten Essstörungen sind

  • Anorexia nervosa (Magersucht), 
  • Bulimia nervosa (Bulimie, Ess-Brech-Sucht) 
  • und die Binge-Eating-Störung (wiederkehrende Essanfälle ohne Maßnahmen wie selbstinduziertes Erbrechen). 

Die Erfolge der Therapie sind überschaubar: Über die Lebenszeit schafft man bei Anorexie Heilungsquoten von knapp 50 Prozent. Bei Jugendlichen sind die Quoten „deutlich höher“, liest man in der aktuellen S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen. 

Die Sterberate liegt in den ersten zehn Jahren nach Diagnosestellung bei 6 Prozent, Magersucht ist die psychische Erkrankung mit der höchsten Mortalität. Vor allem ein niedriger Body-Mass-Index (BMI), eine lange Erkrankungsdauer und ein höheres Lebensalter scheinen sich ungünstig auf den Krankheitsverlauf auszuwirken. 

Gut ist also, die Betroffenen so früh wie möglich therapeutisch zu „erwischen“ – bestenfalls dann, wenn lediglich ein gestörtes Essverhalten vorliegt und noch keine manifeste Essstörung.

Zur Erinnerung: Was ist der BMI?

Der Body-Mass-Index (BMI) ist der Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße im Quadrat (kg/m2). Er wird zur Beurteilung von Übergewicht herangezogen.

Beispiel: Eine Person mit 50 Kilogramm und einer Größe von 1,60 Meter hat einen BMI von 19,5 kg/m².

Wie viele Kinder mit gestörtem Essverhalten gibt es?

In einer systematischen Übersichtsarbeit gingen José Francisco López-Gil vom Health and Social Research Center der spanischen Universidad de Castilla-La Mancha der Frage nach: Wie hoch ist der weltweite Anteil von Kindern und Jugendlichen mit einem gestörten Essverhalten? Lassen sich vielleicht Risikogruppen identifizieren, die man therapeutisch versorgen könnte, bevor sie eine Essstörung entwickeln?

López-Gil und seine wissenschaftlichen Kollegen werteten dafür 32 Studien mit 63.181 Teilnehmern aus 16 Ländern aus. Die Studienautoren interessierten sich dabei für Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 18 Jahren. Gescreent wurde anhand des SCOFF-Fragebogens, der mit fünf Fragen hilft, psychogene Essstörungen im Kindes- und Jugendalter früh zu erkennen.

Gut zu wissen: Die fünf Fragen des SCOFF-Fragebogens

  1. Übergibst du dich, wenn du dich unangenehm voll fühlst?
  2. Machst du dir Sorgen, weil du manchmal nicht mit dem Essen aufhören kannst?
  3. Hast du in der letzten Zeit mehr als 6 kg in 3 Monaten abgenommen?
  4. Findest du dich zu dick, während andere dich zu dünn finden?
  5. Würdest du sagen, dass das Nachdenken über das Essen bzw. die Kalorienzufuhr dein Leben sehr beeinflusst?

Vor allem Mädchen und junge Frauen betroffen

Die Wissenschaftler kamen in ihrer Übersichtsarbeit zu dem Ergebnis, dass bei 22,36 Prozent der Kinder und Jugendlichen ein gestörtes Essverhalten vorliegt – also bei mehr als jedem Fünften. Dabei berichteten Mädchen signifikant häufiger (30,03 Prozent; etwa jedes dritte Mädchen) über ein gestörtes Essverhalten, als es Jungen taten (16,98 Prozent). 

Dass der Anteil der Mädchen überwiegt, überrascht nicht: Der S3-Leitlinie zufolge haben Frauen im Alter von zwölf bis etwa 35 Jahren im Vergleich zu Männern ein deutlich höheres Risiko, an Anorexie oder Bulimie zu erkranken: „Frauen in dem Alter sind mindestens zwölfmal häufiger betroffen“, erklären die Leitlinienautoren. 

Bei der Binge-Eating-Störung ist das Verhältnis zwar etwas ausgeglichener, dennoch bleibt ein deutlicher Unterschied: Frauen mit 60–70 Prozent vs. Männer mit 30–40 Prozent. Möglicherweise sind die Zahlen jedoch etwas verzerrt, da Jungen und junge Männer vielleicht weniger über eine Essstörung sprechen.

Die Wissenschaftler fanden in ihrer aktuellen Arbeit zudem heraus, dass mit zunehmendem Alter und BMI auch ein gestörtes Essverhalten häufiger berichtet wurde.

Wahrscheinlich noch mehr Fälle von Essstörungen

Diese „hohen Zahlen“ sind den Forschern zufolge besorgniserregend. Zudem könnten sie in Wirklichkeit noch viel größer sein, denn die Studienergebnisse stützen sich lediglich auf Daten, bei denen Kinder und Jugendliche ihr Verhalten selbst angaben – diejenigen, die nicht darüber sprechen, fehlen. 

Auch könnte die Prävalenz höher sein, wenn die Kinder und Jugendlichen zusätzlich nach Essanfällen und Muskelaufbausymptomen befragt worden wären.

Gestörtes Essverhalten: Ein bedeutendes Problem 

Bereits diese Daten zeigen jedoch: „Essstörungen sind ein bedeutendes Problem bei Kindern und Jugendlichen, und eine frühzeitige Erkennung und Intervention sind entscheidend, um langfristige gesundheitliche Folgen zu verhindern“, erklärte der Erstautor der Studie, López-Gil, gegenüber dem US-Sender CNN.