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Pica-Syndrom: Schwere Hypokaliämie dank Tonerde

Bei einer asymptomatischen Schwangeren fiel in der 11. Schwangerschaftswoche (SSW) Eiweiß im Urin auf. Eine genauere Blutuntersuchung deckte daraufhin eine schwere Hypokaliämie und metabolische Alkalose auf. Beschwerden hatte die Schwangere nicht, doch die Hypokaliämie kannte sie bereits aus ihrer vorherigen Schwangerschaft. Was war die Ursache?
Wie entsteht eine Hypokaliämie?
Eine Hypokaliämie kann viele Ursachen haben: Sei es eine mangelhafte Aufnahme durch zu wenig kaliumreiches Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte oder eine vermehrte Ausschwemmung bei Durchfällen, durch Diuretika oder Laxantien. Die Einnahme von Arzneimitteln verneinte die Patientin, sodass sie mit oraler Kaliumsubstitution nach Hause entlassen wurde.
Gut zu wissen: Lebensmittel mit viel Kalium
Unter anderem Aprikosen, Bananen, Karotten, Kohlrabi, Avocado und Tomaten sind kaliumreich. Besonders hoch ist dabei der Kaliumgehalt in konzentrierter Form, z. B. bei Tomatenmark oder Trockenobst.
Da keine experimentell ermittelten Daten zum Kaliumbedarf vorliegen, gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nur Schätzwerte basierend auf der gemessenen Kaliumausscheidung Erwachsener in Deutschland an.
Demnach liegt der geschätzte Bedarf von Menschen ab 15 Jahren sowie für Erwachsene und Schwangere bei 4.000 mg/Tag. Bei Stillenden beträgt der Schätzwert für eine angemessene Kaliumzufuhr 4.400 mg/Tag. /mia
Hypokaliämie wegen Verzehr von Tonerde

Doch die orale Therapie schlug nicht an, sodass auch nach drei Wochen unverändert eine Hypokaliämie vorlag. Die Patientin musste für eine intravenöse Kaliumtherapie stationär aufgenommen werden.
Bei ihrer Recherche nach möglichen Ursachen stießen die Behandelnden auf die sogenannte Geophagie, also den Verzehr von Erde oder Ton.
Und tatsächlich: Die Patientin bejahte die Einnahme von Tonerde und holte drei Stücke Tonerde in der Größe 7 x 5 cm aus ihrer Handtasche.
Gut zu wissen: Was ist Geophagie?
Unter dem Begriff Geophagie bezeichnen Ärzte den Verzehr von Erde oder Ton. Es ist die häufigste Form von Pica. Bei dieser psychischen Störung verspüren Menschen den Drang, nicht essbare Substanzen wie Haare, Seife, Asche oder Erde/Ton zu essen. Pica wird am häufigsten bei Kleinkindern sowie vermehrt in der Schwangerschaft und Stillzeit beobachtet.
Pica wird weltweit beschrieben. Die Ätiologie scheint komplex und es wird diskutiert, dass ein Nährstoffmangel hinter den ungewöhnlichen Gelüsten stecken könnte. Sie könnten allerdings auch Folge der Pica-Erkrankung sein, da – je nach verzehrter Substanz – die Bioverfügbarkeit wichtiger Nährstoffe wie Eisen oder Kalium reduziert wird.
Tonerde bleibt monatelang im Darm
Die Patientin gab an, die Tonerde gegen Schwangerschaftsübelkeit und Sodbrennen zu verzehren. Sie beendete daraufhin die Einnahme und konnte mit für die Behandelnden zufriedenstellendem Kaliumspiegel entlassen werden.
Da Tonerde über Monate im Darm verbleiben kann, ist jedoch eine langanhaltende Resorptionsstörung von Kalium möglich. So auch bei der Schwangeren: Obwohl sie sofort mit dem Verzehr von Tonerde aufhörte, musste sie nach zwei Wochen mit erneut aufgetretener schwerer Hypokaliämie und erhöhter Kreatinkinase stationär aufgenommen werden.
Im weiteren Verlauf verschlechterte sich ihr Zustand so sehr, dass sie wegen Hypokaliämie-induzierter Rhabdomyolyse auf die internistische Intensivstation verlegt werden musste. Hierbei kommt es zum massiven Zerfall von Muskelzellen. Die freigesetzten Substanzen wie Myoglobin und Kreatinkinase (CK) belasten in großen Mengen die Nieren und können ein akutes Nierenversagen auslösen.
Schließlich entwickelte die Patientin eine Präeklampsie und musste in 27+2 SSW per Kaiserschnitt entbunden werden. Zwei Monate postpartal war die Patientin wieder voll belastbar und auch die CK-Werte hatten sich normalisiert. Die orale Kaliumsubstitution konnte schließlich nach einem halben Jahr beendet werden.
Gut zu wissen: Alternativen zu Tonerde laut Embryotox
30 bis 50 % der Schwangeren leiden im Laufe ihrer Schwangerschaft an gastroösophagealer Refluxkrankheit. Richtig dosiert, ist die innerliche Anwendung von Tonerde bei Magen-Darm-Beschwerden sicher, betonen die Autoren des Fallbeispiels.
Was hätte der Schwangeren alternativ empfohlen werden können? Hier lohnt ein Blick auf die Homepage des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie Embryotox:
- erste Wahl: nichtmedikamentöse Maßnahmen wie kleinere und dafür häufigere Mahlzeiten
- symptomatische Therapie mit einem Antazidum: aluminium- und magnesiumhaltige Antazida mit Schichtgitterstruktur oder natriumalginathaltige Antazida oder ein Calcium-/Magnesium-Carbonat-Antazidum (z. B. Talcid®, Talidat®, Riopan®, Rennie®, Gaviscon®)
- bei häufigen Beschwerden: je nach Indikation Protonenpumpenhemmer wie Omeprazol oder Pantoprazol möglich
Tonerde wegen Sodbrennen oder Pica-Syndrom?
Die Autoren des Fallberichts gehen nicht näher darauf ein, ob die Patientin tatsächlich an außergewöhnlich starker Schwangerschaftsübelkeit beziehungsweise Sodbrennen litt. Stattdessen sensibilisieren sie für Geophagie und empfehlen, bei unerklärlicher Hypokaliämie in der Schwangerschaft gezielt nach dem Verzehr von Erde oder Ton zu fragen.
„Studien deuten darauf hin, dass Pica während der Schwangerschaft eine unerwartet häufige Praxis ist. Insbesondere bei Minderheiten liegt die Prävalenz des Pica-Konsums bei über 50 %. Im Allgemeinen wird Pica wahrscheinlich unterschätzt, da das Verhalten als entweder beschämend, unwichtig oder ‚normal‘ angesehen wird“, so die Autoren.
Kaliumwerte bei Schwangeren: Nach Essgewohnheiten fragen
Wann immer Kaliumwerte unerklärlich aus der Norm fallen, lohnt sich also nicht nur eine Frage nach Arzneimitteln wie Laxantien oder Diuretika, sondern auch nach Essgewohnheiten.
In der Vergangenheit imponierten immer wieder Patientenfälle, in denen beispielsweise ein übermäßiger Lakritzverzehr kausal hinter unerklärlicher Hypokaliämie steckte. Lakritze enthält große Mengen Glycyrrhizin aus der Süßholzwurzel und muss als Starklakritze deklariert werden, wenn sie mehr als 200 mg pro 100 g Lakritze enthält.
Das Saponin inhibiert in großen Mengen ein Enzym, das für den Cortisol-Abbau verantwortlich ist, und führt bei übermäßigem Verzehr daher zu einer Aktivierung der Mineralokortikoidrezeptoren. Die Folge: Symptome wie Wasser- und Natriumretention, erhöhte Kaliumausscheidung sowie Hypertonie.
Eigentlich sind die Symptome typisch bei erhöhten Aldosteronwerten, bei Lakritz-Überdosierung ist Aldosteron jedoch erniedrigt. Daher sprechen Ärzte auch von einem Pseudohyperaldosteronismus. Experten schätzen, dass einige Fälle von Hypertonie auf erhöhten Lakritzkonsum zurückzuführen sind. Eine Frage lohnt sich also in der Beratung immer. Quellen:
- https://link.springer.com/article/10.1007/s00129-024-05289-9
- https://www.embryotox.de/erkrankungen/details/ansicht/erkrankung/refluxkrankheit