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Glucocorticoide bei Schwangeren: Gefahr fürs Kind?

Systemische Glucocorticoide werden seit vielen Jahren in der Schwangerschaft eingesetzt. Doch wie beeinflusst eine systemische Glucocorticoid-Therapie der werdenden Mutter die psychische Gesundheit des Kindes? Das untersuchte eine groß angelegte dänische Kohortenstudie mit über einer Million Kinder.
Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass systemische Glucocorticoide das Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen erhöhen, wie
- Autismus-Spektrum-Störung,
- geistige Behinderung,
- Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie
- depressive und stressbedingte Störungen und Angststörungen.
Glucocorticoide in Schwangerschaft manchmal unvermeidbar
In bestimmten Fällen sind systemische Glucocorticoide zum Schutz von Mutter und Kind auch in der Schwangerschaft indiziert und notwendig, wie beispielsweise bei entzündlichen oder autoimmunen Erkrankungen der Mutter.
Als Mittel der Wahl gelten Prednisolon und Prednison. Analog zum körpereigenen Cortisol werden diese zum Großteil durch ein Enzym der Plazenta inaktiviert, sodass nur ein geringer Anteil die Plazenta passiert.
Droht eine Fehlgeburt, wählen Ärzte hingegen bewusst das plazentagängige Dexamethason oder Betamethason, um bei Feten die Lungenreifung zu beschleunigen. Der Einsatz soll das Risiko für ein Atemnotsyndrom bei Frühgeborenen reduzieren.
Gut zu wissen: Glucocorticoide beeinflussen die Hirnentwicklung
Cortisol spielt eine bedeutende Rolle in der Hirnentwicklung des ungeborenen Kindes. Hohe Mengen Glucocorticoide – sowohl exogen zugeführt als auch durch hohen Stress endogen produziert – können über vielfältige Mechanismen die Entwicklung stören, Struktur und Funktion des zentralen Nervensystems verändern und das Risiko für mentale Störungen erhöhen
In Tierstudien verzögerten hohe Gaben von Glucocorticoiden beispielsweise sowohl die Reifung der Astrozyten (Gliazellen des zentralen Nervensystems) als auch der Tight Junctions der Kapillaren (Zellverbindungen; regulieren Durchlässigkeit der Kapillaren). Zudem könnte die Therapie die körpereigene Cortisol-Produktion hemmen.
Synthetische Glucocorticoide wirken möglicherweise auf Rezeptorebene anders als endogenes Cortisol und könnten so die natürliche Hirnreifung stören.
Studie: Glucocorticoide erhöhen Risiko für psychische Erkrankungen beim Kind
Um zu untersuchen, ob und in welchem Ausmaß die Glucocorticoid-Therapie die psychische Gesundheit des Nachwuchses beeinflusst, verglichen die Forschenden in einer großen populationsbasierten Kohortenstudie Daten von 1.061.548 Kindern. Die mediane Beobachtungszeit betrug neun Jahre.
31.518 der Kinder wurden von Müttern geboren, bei denen eine Frühgeburt drohte. Laut Leitlinie werden in Dänemark zur Lungenreife bei drohender Fehlgeburt zweimal 12 mg Betamethason im Abstand von 24 Stunden empfohlen.
Anschließend verglichen die Forschenden das Auftreten bestimmter psychischer Erkrankungen bei Kindern mit Glucocorticoid-Therapie gegenüber Kindern, deren Mütter keine Therapie bei drohender Fehlgeburt erhalten hatten. Tatsächlich litten exponierte Kinder signifikant häufiger an bestimmten psychischen Erkrankungen:
- Autismus-Spektrum-Störung (6,6 % vs. 4,3 %)
- geistige Behinderung (1,6 % vs. 1,3 %)
- ADHS (5,8 % vs. 4,3 %)
- depressive und stressbedingte Störungen und Angststörungen (7,2 % vs. 4,6 %).
Bei ihrer Auswertung berücksichtigten die Forscher auch Komplikationen wie Gestationsdiabetes, Präeklampsie und beispielsweise mütterliche Infektionen.
Zudem lagen Daten von 288.747 Kindern vor, deren Mütter an einer autoimmunen oder entzündlichen Erkrankung litten, die typischerweise mit Glucocorticoiden therapiert wird. Je nachdem, ob die Mutter während der Schwangerschaft behandelt wurde oder nicht, litten auch in dieser Gruppe die exponierten Kinder signifikant häufiger an mentalen Störungen als nichtexponierte Kinder:
- Autismus-Spektrum-Störung (4,8 % vs. 3,8 %)
- geistige Behinderung (1,1 % vs. 0,8 %)
- ADHS (5,5 % vs. 4,4 %)
- depressive und stressbedingte Störungen und Angststörungen (6,6 % vs. 4,6 %)
Studien oft widersprüchlich
Zwei Observationsstudien hatten bereits in der Vergangenheit eine Assoziation zwischen antenataler (vorgeburtlicher) Betamethasongabe und mentalen Störungen festgestellt. Allerdings berücksichtigten diese keine potenzielle Risikoerhöhung durch die zu Grunde liegende Erkrankung, da sie die Anwendung mit der Gesamtpopulation verglichen. Diese Schwäche konnten die Forschenden in der aktuellen Studie durch das Design ausschließen.
Dennoch ergeben Untersuchungen regelmäßig widersprüchliche Ergebnisse: Bereits in den 1950er Jahren hatten Tierversuche beispielsweise erstmals Hinweise geliefert, dass die systemische Glucocorticoid-Therapie der Mutter beim Kind mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte assoziiert ist.
Während einige Fall-Kontroll-Studien und eine Metaanalyse im Verlauf tatsächlich ein erhöhtes Risiko feststellten, konnte 2014 eine große Auswertung wiederum kein erhöhtes Risiko attestieren.
Glucocorticoid-Therapie erfordert strenge Indikation
Die Autoren schlussfolgern, dass systemische Glucocorticoide vorsichtig und wohlüberlegt eingesetzt werden sollten. Sie betonen, dass eine Nicht-Therapie ebenfalls Risiken birgt. Diese müssen gegen die absoluten Risiken der Therapie abgewogen werden, die die Autoren als gering bis moderat bezeichnen.
Zur Reduzierung von Glucocorticoiden in der Schwangerschaft sei auch Forschung notwendig, wann tatsächlich eine Frühgeburt droht und wann nicht. Eine Metaanalyse zeigte kürzlich, dass bis zu 40 % der Fälle unnötigerweise eine Glucocorticoid-Stoßtherapie erhalten, obwohl sie schließlich termingerecht entbinden konnten und die Spritze für Lungenreife nicht benötigt hätten.
Auch bei unerfülltem Kinderwunsch helfen teilweise Glucocorticoide, wie beispielsweise bei dem polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS). Glucocorticoide stellen hierbei eine mögliche Therapieoption dar, um die (Über-)Produktion männlicher Hormone zu bremsen. Wie sich eine präkonzeptionelle Einnahme (vor der Befruchtung) auswirkt, wurde im Rahmen der Studie jedoch nicht untersucht.
Nasale Glucocorticoide in Schwangerschaft sind indikationsgerecht sicher
Die Ergebnisse der Studie lassen sich ebenfalls nicht auf topisch, inhalativ oder nasal angewandte Glucocorticoide übertragen. Zwar rät beispielsweise die Fachinformation von Nasonex®, einem Mometason-haltigen Nasenspray, explizit von dem Einsatz in der Schwangerschaft ab, außer „der mögliche Nutzen rechtfertigt jegliches potenzielles Risiko für die Mutter, den Fetus bzw. den Säugling“.
Das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie Embryotox gibt hingegen Entwarnung und verweist darauf, dass die systemische Resorption sowohl bei inhalativer als auch dermaler oder nasaler Anwendung zu vernachlässigen sei. Das deckt sich auch mit der Fachinformation von Nasonex® Nasenspray (Stand 2024):
„Die systemische Bioverfügbarkeit von Mometasonfuroat in der Darreichungsform des wässrigen Nasensprays beträgt < 1 % im Plasma …“
Im Falle des Nasensprays liegen bei Anwendung im ersten Trimenon Daten von mehr als 1.000 Schwangeren vor und es zeigte sich keine signifikant erhöhte Rate für Fehlbildungen. Dies gilt ebenso für ein Budesonid- oder Beclometason-haltiges Nasenspray.
Wie steht es um inhalative und topische Glucocorticoide?
Die inhalative Anwendung von Glucocorticoiden wird allgemein als sicher eingestuft. Im zweiten und dritten Trimenon sowie in der Stillzeit konnte bisher kein fetotoxisches Risiko beobachtet werden. Bei Asthma sollten Ärzte bevorzugt Budesonid oder Beclometason einsetzen, da hierfür die meisten publizierten Erfahrungen vorliegen.
Im Falle einer allergischen Rhinitis wären LoratadinQuelle: https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/loratadin und Cetirizin als systemische Antiallergika ebenso wie AzelastinQuelle: https://www.embryotox.de/erkrankungen/details/ansicht/erkrankung/allergie und Levocabastin als lokale Antihistaminika beispielsweise gut untersuchte und akzeptable Alternativen.
Auch für die Anwendung von Salben und Cremes gibt es Entwarnung: Im Falle von topisch angewandtem Mometason konnte ein systematisches Review laut Embryotox kein erhöhtes Risiko ableitenQuelle: https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/mometason . Gleiches gilt für beispielsweise Methylprednisolon (Advantan®). Allerdings erfordert auch die lokale Anwendung stets eine kritische Nutzen-Risiko-Abwägung. Quellen:
- https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11699534/
- https://www.organon.com/germany/wp-content/uploads/sites/38/2024/10/002960_73585_108178_1_DL_2024-05-02_NASONEX.pdf
- https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/mometason
- https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/loratadin
- https://www.embryotox.de/erkrankungen/details/ansicht/erkrankung/allergie