Hormonelle Verhütung: Erhöhtes Risiko für Thromboembolien?

In zwei aktuellen Publikationen wird das Risiko für Thromboembolien unter verschiedenen hormonellen Verhütungsmitteln unter die Lupe genommen.
In einer prospektiven Kohortenstudie, publiziert im „BMJ“, beschäftigten sich die Wissenschaftler mit dem Risiko für arterielle thromboembolische Ereignisse (Herzinfarkt und Schlaganfall) unter den Kontrazeptiva.
Das Risiko für venöse Thromboembolien haben Yonis et al. in einer zweiten Kohortenstudie ausgewertet und in einem Research Letter im „JAMA“ veröffentlicht.
Zur Erinnerung: Unterschied zwischen venösen und arteriellen Thromboembolien
Bei einer Thromboembolie kommt es zum Verschluss eines Blutgefäßes durch ein Blutgerinnsel.
Ein arterielles thromboembolisches Ereignis (ATE) entsteht durch eine veränderte Gefäßinnenwand (z. B. Plaque) in Arterien. Der Thrombus kann am Entstehungsort das Gefäß verschließen oder ins arterielle System wandern, u. a. in zerebrale oder kardiovaskuläre Gefäße, und Infarkte (ischämischer Hirninfarkt, Myokardinfarkt) verursachen.
Venöse Thromboembolien (VTE) umfassen tiefe Venenthrombosen und die Lungenarterienembolie. Oft kommt es zu einer Beinvenenthrombose, insbesondere im Unterschenkel.
Löst sich das Gerinnsel im Bein, wandert es häufig in die Lunge und kann dort eine lebensgefährliche Lungenembolie verursachen.
Hormonelle Verhütungsmethoden im Vergleich
Sowohl in die Analyse zu den arteriellen thromboembolischen Ereignissen (ATE) als auch in die zu den venösen Thromboembolien (VTE) flossen Daten dänischer nationaler Register ein.
Beide Kohortenstudien wurden über bestimmte Zeiträume landesweit in Dänemark durchgeführt und jeweils alle Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren einbezogen, bei denen bestimmte studienspezifische Ausschlusskriterien in der Vorgeschichte nicht aufgetreten waren, z. B. arterielle oder venöse Thrombosen.
Berücksichtigte Verhütungsmethoden in beiden Analysen waren
- kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK),
- orale Gestagen-haltige Kontrazeptiva („Minipille“),
- Vaginalringe (15 µg Ethinylestradiol/24 h + Etonogestrel),
- Hormonpflaster (33,9 µg Ethinylestradiol/24 h + Norelgestromin),
- Intrauterinpessare (IUP, „Spirale“, Levonorgestrel),
- Implantate (Etonogestrel) und
- Injektionen (Medroxyprogesteron).
Erhöhtes Schlaganfallrisiko bei vielen Verhütungsmitteln
In die landesweite prospektive Kohortenstudie zu Herzinfarkt und Schlaganfall wurden über zwei Millionen Frauen (22.209.697 Personenjahre) einbezogen. Die Inzidenzraten wurden u. a. auf die Verteilung von Alter, Kalenderzeit und die Bildung der Frauen in den Gruppen standardisiert.
Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sowohl moderne Estrogen-Gestagen- als auch Gestagen-Monopräparate mit einem erhöhten Risiko für ischämische Schlaganfälle und in manchen Fällen auch für Herzinfarkte verbunden waren. Lediglich unter Levonorgestrel freisetzenden Intrauterinpessaren war das Risiko nicht erhöht.
Wendeten Teilnehmerinnen kein hormonelles Kontrazeptivum an, lag die standardisierte ischämische Schlaganfallrate bei 18 pro 100.000 Personenjahre und die standardisierte Herzinfarktrate bei 8 pro 100.000 Personenjahre.
Im Vergleich dazu lagen die Raten bei
- kombinierten oralen Kontrazeptiva bei 39 bzw. 18 (21 zusätzliche Schlaganfälle und 10 zusätzliche Herzinfarkte pro 100.000 Personenjahre),
- oralen Gestagen-Präparaten bei 33 bzw. 13 (15 zusätzliche Schlaganfälle und vier zusätzliche Herzinfarkte pro 100.000 Personenjahre),
- Intrauterinpessaren bei 23 bzw. 11.
Erhöhte arterielle Thromboserisiken wurden auch bei der Verwendung eines kombinierten Vaginalrings (adjustiertes Inzidenzratenverhältnis Schlaganfall: 2,4; Herzinfarkt: 3,8), Hormonpflasters (Schlaganfall: 3,4; Herzinfarkt: keine) oder bei Gestagen-Implantaten (Schlaganfall: 2,1; Herzinfarkte: ≤ 3) beobachtet.
Gebährfähige Frauen haben insgesamt niedriges Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall
Da das Grundrisiko der Frauen im gebärfähigen Alter für einen ischämischen Schlaganfall oder Herzinfarkt sehr gering ist, fällt auch das zusätzliche Risiko durch ein hormonelles Kontrazeptivum gering aus, schreiben die Autoren.
Auch verschiedene Expertinnen betonen auf Anfrage des britischen Science Media Centres, dass das Schlaganfall- und Herzinfarkt-Risiko für Frauen im gebärfähigen Alter insgesamt sehr gering sei.
„Wenn Sie hormonelle Verhütungsmittel anwenden oder dies in Erwägung ziehen, sollten Sie von diesen Ergebnissen nicht allzu beunruhigt sein […]“, erklärt Dr. Sonya Babu-Narayan, klinische Direktorin der British Heart Foundation und beratende Kardiologin. Das zusätzliche Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall sei für die überwiegende Mehrheit sehr gering.
Die Studie untermauere frühere Belege für einen Zusammenhang zwischen der Verwendung hormoneller Verhütungsmittel und einem leichten Anstieg der Zahl von Herzinfarkten und Schlaganfällen. Die Fülle an Informationen und Daten von zwei Millionen Frauen machten die Ergebnisse zuverlässiger und vollständiger als frühere Untersuchungen.
Allerdings könne man, weil es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, Ursache und Wirkung nicht beweisen, und möglicherweise spielten auch andere Faktoren eine Rolle. Die Studie unterstütze die derzeitige Praxis, Gestagen-Intrauterinpessare für diejenigen zu empfehlen, die ein hohes kardiovaskuläres Risiko haben.
Thromboserisiko bei Kombipille am höchsten
In der Analyse zum Risiko von venösen Thromboembolien unter hormonellen Kontrazeptiva wurden Daten von knapp 1,4 Millionen Frauen einbezogen. Endpunkt war eine tiefe Venenthrombose (TVT) der unteren Gliedmaßen oder Lungenembolie.
Die Raten wurden hinsichtlich verschiedener Faktoren (u. a. Alter, Kalenderzeit, kardiovaskuläre Komorbiditäten und chronische Entzündungserkrankungen) standardisiert. Insgesamt kam es zu 2.691 TVT pro 8.455.601 Personenjahren.
Am höchsten war das Risiko für eine tiefe Venenthrombose für Anwenderinnen von kombinierten oralen Kontrazeptiva. Für Intrauterinpessare war das Risiko im Vergleich zu Nichtanwenderinnen hingegen nicht signifikant unterschiedlich. Für Hormonpflaster und Implantate war die Risikobestimmung aufgrund unzureichender Daten unsicher.
Folgende standardisierte TVT-Raten pro 10.000 Personenjahre traten auf:
- 2,0 bei den Frauen, die kein Verhütungsmittel anwendeten
- kombinierte orale Kontrazeptiva: 10 (8,0 zusätzliche TVT pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Nichtanwenderinnen)
- Vaginalringe: 8 (6,0 zusätzliche TVT pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Nichtanwenderinnen)
- Pflaster: 8,1 (6,1 zusätzliche TVT pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Nichtanwenderinnen)
- orale Gestagen-haltige Kontrazeptiva: 3,6 (1,6 zusätzliche TVT pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Nichtanwenderinnen)
- Intrauterinpessare: 2,1 (0,1 zusätzliche TVT pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Nichtanwenderinnen)
- Implantate: 3,4 (1,4 zusätzliche TVT pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Nichtanwenderinnen)
- Injektionen: 11,9 (9,9 zusätzliche TVT pro 10.000 Personenjahre im Vergleich zu Nichtanwenderinnen)
Je nach Gestagen Thromboserisiko unterschiedlich hoch
Bei den kombinierten oralen Kontrazeptiva variierte je nach Kombination das Risiko für eine tiefe Venenthrombose. Die standardisierten TVT-Inzidenzraten [IR] (Anzahl Ereignisse/10.000 Personenjahre) der untersuchten oralen Kontrazeptiva lagen unter KOK mit 30 bis 40 µg Ethinylestradiol +
- Desogestrel bei 16,2
- Gestoden bei 14,7
- Drospirenon bei 13,6
- Norgestimat bei 13,2
- Cyproteronacetat bei 11,6
- Levonorgestrel bei 7,6
und mit 20 µg Ethinylestradiol +
- Gestoden bei 15,4
- Desogestrel bei 12,8
- Drospirenon bei 6,7
- Levonorgestrel bei 5,0
Bei oralen Gestagen-Monopräparaten lagen die IR mit Norethisteron bei 4,3 und mit Desogestrel bei 3,7. Auch Präparate mit bioidentischem Estradiol wiesen erhöhte TVT-Raten auf (standardisierte IR = 5,0 Ereignisse pro 10.000 Personenjahre). Quellen:
https://doi.org/10.1136/bmj-2024-082801
https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-study-looking-at-hormonal-contraceptives-and-stroke-and-heart-attack-risk/
doi:10.1001/jama.2024.28778
Hormonelle Empfängnisverhütung. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Registernummer 015 - 015, gültig bis Juli 2024, Stand: August 2019
Gut zu wissen: Das sagt die Leitlinie zum Thromboserisiko
Laut der deutschen Leitlinie „Hormonelle Empfängnisverhütung“ (abgelaufen Juli 2024) erhöhen kombinierte hormonelle Kontrazeptiva das Risiko für ischämischen Schlaganfall und Myokardinfarkt und das Risiko für venöse Thromboembolien. Die arteriellen thromboembolischen Ereignisse sind bei Frauen im gebärfähigen Alter selten, und auch VTE-Ereignisse sind bei diesen mit etwa 5/10.000 pro Jahr niedrig.
Kontrazeptiva beeinflussen das Gerinnungssystem, worauf vor allem Ethinylestradiol und auch Estradiol einen starken Einfluss haben. Deshalb sollen bei Frauen mit erhöhtem vaskulärem Risiko Kontrazeptiva, die nur Gestagene enthalten, bevorzugt eingesetzt werden, und auch bei erhöhtem VTE-Risiko sollen kombinierte Kontrazeptiva nicht angewendet werden.
Risikofaktoren für ATE sind u. a. Bluthochdruck, Rauchen und Hyperlipidämie. Risikofaktoren für VTE sind u. a. starkes Übergewicht, Rauchen, Immobilität bzw. geplante große Operationen und Thrombose/Thromboembolie bei einem nächsten Angehörigen in jungen Jahren.
Das VTE-Risiko unter hormonellen Kontrazeptiva kann sowohl je nach Konzentration des Estrogens als auch nach Art des Gestagens etwa um den Faktor zwei bis vier erhöht sein. Dagegen erhöhen Gestagen-Monopräparate das VTE-Risiko nicht entscheidend (die Dreimonatsspritze ausgenommen). Im ersten Anwendungsjahr bzw. nach einem erneuten Beginn der Anwendung (nach einer Anwendungspause von mindestens vier Wochen) ist das VTE-Risiko unter kombinierten hormonellen Kontrazeptiva am höchsten.