Beeinflusst die Körpergröße das Krankheitsrisiko?
Die Menschen werden immer größer. Das ist statistisch belegt: Betrug 1896 die Durchschnittsgröße deutscher Männer noch 1,67 Meter, so waren es 2017 fast 1,80 Meter. Bei den Frauen kletterte der Wert im gleichen Zeitraum von 1,56 auf 1,66 Meter – eine Entwicklung, die sich nahezu weltweit zeigt.
Nun zeigen Analysen, dass die Körpergröße eines Menschen Einfluss auf das Risiko für bestimmte Krankheiten nehmen kann. Entscheidend ist natürlich, wie gesundheitsbewusst jemand seinen Alltag verbringt. Dennoch spielt auch die Körpergröße eine Rolle.
Kleine Menschen haben ein erhöhtes Risiko für Diabetes
Eine deutsche Untersuchung 2019 ergab, dass kleine Menschen – ungeachtet ihrer Körperfettmasse – ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes haben.
Denn die genetischen Faktoren für das Körperwachstum hängen mit weniger Fettgehalt in der Leber und einer besseren Insulin-Empfindlichkeit zusammen, erklärt Norbert Stefan, Professor für klinisch-experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen. Diese beiden Faktoren sorgten dafür, dass große Menschen weniger an Diabetes erkranken. Bei kleinen Menschen kommt es dagegen zu einer schlechteren Verwertung von Glucose, dadurch bekommen sie im Schnitt eher Diabetes.
Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Auswertung von Mai 2023: Je größer Frauen und Männer in allen Altersgruppen sind, desto weniger wahrscheinlich bekommen sie Typ-2-Diabetes. Risikofaktoren dafür sind aber auch starkes Übergewicht und Bewegungsmangel. Karel Kostev, wissenschaftlicher Leiter in der epidemiologischen Forschung des Auftragsforschungsinstituts IQVIA, hat dazu mit einem Internisten-Team der Uniklinik Düsseldorf Daten von 780.000 erwachsenen Patienten untersucht.
Ihr Fazit: Pro zehn Zentimeter geringerer Körpergröße steigt das Risiko für neu auftretenden Typ-2-Diabetes bei Frauen um 15 Prozent und bei Männern um 10 Prozent. Zusammenhänge zwischen der Körpergröße und der Entwicklung von Typ-1-Diabetes, die durch einen absoluten Mangel des Hormons Insulin häufig bereits im Kindes- oder Jugendalter beginnt, gibt es demnach aber nicht.
Große Menschen haben geringeres Herzinfarktrisiko
Die Körpergröße kann auch Einfluss auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Dazu wurden von der Uniklinik Düsseldorf Daten von knapp 660.000 Patienten ausgewertet – mit dem Ergebnis: Kleinere Frauen und Männer erkranken wahrscheinlicher an Bluthochdruck als große oder bekommen einen Schlaganfall.
Nach Auskunft von Prof. Stefan aus Tübingen sind große Menschen gleich mehrfach im Vorteil. Er zählt auf: „Fettsäuren weniger, LDL-Cholesterin niedriger, Glukose niedriger und Hepatokine (Leberproteine) günstiger.“ Das bedeutet addiert: Große Menschen haben ein geringeres Herzinfarktrisiko.
Bei dem Datensatz aus Düsseldorf hatten kleine Frauen und Männer ein höheres Risiko für eine koronare Herzerkrankung, bei der Blutgefäße verengt sind, was ebenfalls das Herzinfarktrisiko erhöht.
Pro zehn Zentimeter Zunahme bei der Körpergröße nimmt laut Untersuchung das Risiko dafür um neun Prozent bei Frauen und 13 Prozent bei Männern ab. Im Gegensatz dazu haben größere Frauen und Männer nach diesem Datensatz ein höheres Risiko für Vorhofflimmern.
Thromboserisiko bei großen Menschen höher
Allerdings bedeuteten lange Extremitäten auch lange Beinvenen – das Blut müsse somit einen längeren Weg zum Herzen gepumpt werden, was das Risiko für Thrombosen erhöhe, erklärt Prof. Stefan. Die Thrombosen entstehen nach seinen Worten bis zu 90 Prozent in den tiefen Beinvenen und können zu einer Lungenembolie führen.
Entsprechend sollten sich insbesondere große Menschen bei Langstreckenflügen oder langen Autofahrten regelmäßig bewegen, genug trinken und im Flieger Stützstrümpfe tragen.
Auch Kollege Kostev kommt mit dem Internisten-Team in Düsseldorf zum Fazit, dass die Gefahr einer Erkrankung je zehn Zentimeter Körpergröße um 23 Prozent zunimmt. Dies bestätigt ein Blick in eine schwedische Analyse aus dem Jahr 2017: Große Menschen haben ein höheres Thromboserisiko.
Ein Team um den Mediziner Sridharan Raghavan von der University of Colorado kam ebenfalls zum Ergebnis, dass große Menschen ein höheres Risiko für Vorhofflimmern und Krampfadern haben, die die Entstehung von Thrombosen begünstigen können. Dazu analysierte das Team von der University of Colorado Informationen zu mehr als 250.000 Erwachsenen auf mehr als 1.000 Krankheiten und Merkmale.
Krebsrisiko steigt mit zunehmender Körpergröße
Auch beim Krebs besteht ein Zusammenhang zwischen Körpergröße und Häufigkeit der Krankheit. Der Vergleich der Daten durch die Uniklinik Düsseldorf ergab, dass größere Patienten anfälliger sind. Das Risiko erhöht sich bei Frauen um elf Prozent und bei Männern um sechs Prozent je zehn Zentimeter Zunahme bei der Körpergröße.
Forscher stellten aber auch einen Zusammenhang zwischen Größe und der Häufigkeit bestimmter Krebsarten fest. Prof. Stefan nennt die drei häufigsten bei großen Menschen: den schwarzen Hautkrebs, Darm- und Brustkrebs.
Rückenschmerzen hängen nicht mit Körpergröße zusammen
„Ein Zusammenhang zwischen Körpergröße und Kreuzschmerzen wird immer postuliert, ist aber nicht bewiesen“, sagt Bernd Kladny, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie.
Die Belastung sei bei großen Menschen zwar höher, wenn sie sich zum Beispiel nach vorne beugen und etwas aufheben, „sie haben aber auch eine andere Anatomie mit kräftigeren Muskeln als kleine Menschen“. Es gebe sehr viele Faktoren, die zu Rückenschmerzen beitragen.
Körpergröße kann über hundert klinische Merkmale beeinflussen
Die US-Forscher um Raghavan entdeckten noch weitere Zusammenhänge: Demnach haben große Menschen ein erhöhtes Risiko für periphere Neuropathie, die durch Nervenschäden an den Extremitäten verursacht wird, sowie für Haut- und Knocheninfektionen wie Bein- und Fußgeschwüre.
Insgesamt gebe es Hinweise darauf, dass die Körpergröße von Erwachsenen über hundert klinische Merkmale beeinflussen könne, wird Raghavan in einer Mitteilung zitiert. Darunter seien mehrere Erkrankungen, die mit geringerer Lebenserwartung und schlechterer Lebensqualität verbunden seien. Dass die Körpergröße ein Risikofaktor für mehrere häufige Erkrankungen bei Erwachsenen sei, müsse allerdings in weiteren Studien bestätigt werden.
Gene bestimmen Körpergröße
Für Norbert Stefan, Professor für klinisch-experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen, stellen die Ergebnisse keine Überraschung dar: Seit Jahren sei bekannt, dass zahlreiche Gene bestimmen, wie groß oder klein ein Mensch werde. Eben jene Gene seien aber nicht nur mit der Körpergröße, sondern auch mit anderen Vorgängen im Körper verbunden und damit direkt oder indirekt mit bestimmten Krankheitsrisiken.
„Dennoch sollte die Genetik nicht überbewertet werden“, betont der Mediziner, auch sozioökonomische Faktoren könnten eine Rolle spielen: Große Menschen hätten Studien zufolge häufig einen höheren sozialen Status. Der gehe damit einher, dass sie weniger stark von bestimmten Volkskrankheiten betroffen seien.
Umweltfaktoren beeinflussen Körpergröße
Noch stärker würden sich wahrscheinlich Umweltfaktoren auswirken, so Stefan mit Blick auf China, wo die Körpergröße seit Jahren zunehme: „Ein Grund dafür ist, dass die Menschen dort immer mehr Milch- und Molkeprodukte konsumieren, welche die Gene IGF-1 und IGF-2 aktivieren, und das schon im Mutterleib.“ Diese Gene würden das Körperwachstum treiben und – einmal aktiviert – lebenslang aktiv bleiben. IGF-1 fördere das Zellwachstum, was das erhöhte Risiko großer Menschen für bestimmte Krebsarten erkläre.
Eine stärkere IGF-1-Aktivierung sorge aber auch dafür, dass Fette in den Organen besser verbrannt würden. Daher zeige sich bei großen Menschen seltener eine Fettleber, sagt Stefan unter Verweis auf eigene Untersuchungen.
Körpergröße in Praxis stärker berücksichtigen
Die Körpergröße sei im klinischen Alltag ein stark unterschätztes Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdiene, sagt Stefan.
Obwohl es schon einige Veröffentlichungen gebe, werde aus der Körpergröße in der Praxis nur in den seltensten Fällen eine medizinische Schlussfolgerung gezogen: „Da die Menschen aber immer größer werden, ist das ein Problem, denn diese Zusammenhänge werden weiter an Bedeutung gewinnen.“ Quelle: dpa / vs, mia