Corona: Lebenserwartung während Pandemie gesunken
Die Lebenserwartung in Deutschland ist während der Corona-Pandemie um mehr als ein halbes Jahr gesunken. Das geht aus Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hervor. Demnach betrug die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland bei Geburt im Jahr 2022 für Frauen 82,9 Jahre und für Männer 78,2 Jahre.
Im Vergleich zu 2019 – dem letzten Jahr vor der Pandemie – habe sich die Lebenserwartung „insgesamt deutlich verringert“, berichten die Statistiker. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen sank sie um 0,6 Jahre.
Gut zu wissen: Was bedeutet Lebenserwartung bei Geburt?
Bei der statistischen Größe „Lebenserwartung bei Geburt“ handelt sich nicht um eine Prognose für heute Neugeborene, wie das Bundesamt betont.
Sie fasst unter anderem die Anzahl der Jahre zusammen, die eine Person rein rechnerisch vor sich hat, wenn sich an den aktuellen Sterbebedingungen nichts mehr ändern würde.
Das Ergebnis ist von der Altersstruktur und von der Größe der Bevölkerung unabhängig und deshalb dem Amt zufolge besonders gut für Zeitvergleiche geeignet.
Weil es immer mehr alte Menschen gibt, wird seit mehr als 20 Jahren mit einer jährlich steigenden Zahl der Sterbefälle gerechnet. Gleichzeitig stieg die Lebenserwartung vor Beginn der Corona-Pandemie jedoch tendenziell an.
Sterbefallzahlen in den letzten Jahren angestiegen
„Bei gleichzeitigem Wirken beider Effekte stiegen die Sterbefallzahlen vor Beginn der Pandemie jährlich um durchschnittlich ein bis zwei Prozent“, erklärten die Statistiker. „In den drei Pandemiejahren gingen die jährlichen Anstiege jeweils über dieses Ausmaß hinaus.“ So gab es von 2020 bis 2022 insgesamt etwa 140.000 bis 200.000 zusätzliche Sterbefälle.
Wie viele davon direkt auf Corona zurückzuführen sind, ist unklar. Beim Robert Koch-Institut wurden in diesen drei Jahren insgesamt etwa 164.000 COVID-19-Todesfälle gemeldet. Es gab aber auch einen außergewöhnlich warmen Sommer und eine starke Grippewelle, die zu mehr Todesfällen führten.
Unterschiedliche Entwicklung innerhalb der EU
Auch Wissenschaftler wie ein Team um Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung untersuchten die Entwicklung der Lebenserwartung – allerdings betrachteten sie die Daten von 29 Staaten in den Jahren 2015 bis 2021, mit besonderem Augenmerk auf die beiden Pandemiejahre. Neben vielen europäischen Staaten bezogen Schöley und Kollegen auch die USA und Chile ein.
Sie stellen fest, dass sich die Lebenserwartung in den europäischen Staaten in der Corona-Pandemie sehr unterschiedlich entwickelt hat. Während sie in Bulgarien Ende 2021 um 43 Monate niedriger lag als 2019 noch, stieg sie in Norwegen um 1,7 Monate.
Belgien, Frankreich, Schweden und die Schweiz konnten das Sinken der Lebenserwartung im Jahr 2020 durch eine Steigerung der Lebenserwartung im folgenden Jahr demnach weitgehend ausgleichen. Auch Italien und Spanien zeigten 2021 eine deutliche Anhebung der Lebenserwartung, haben allerdings beide in der Summe der Pandemiejahre 7,4 Monate eingebüßt.
Vor allem osteuropäische Staaten – mit Ausnahme Sloweniens – hatten in beiden Pandemiejahren eine Verringerung der Lebenserwartung zu verbuchen, beispielsweise in der Slowakei um 33,1 Monate. In den USA sank die Lebenserwartung 2020 und 2021 um 28,2 Monate.
Senkte COVID-19 die Lebenserwartung?
Während 2020 vor allem Menschen im Alter von 60 oder mehr Jahren starben, erhöhte sich laut der Studie 2021 die Sterberate bei den unter-60-Jährigen. Das führen die Studienautoren unter anderem auf den besseren Impfstatus der älteren Bevölkerung im zweiten Pandemiejahr zurück.
Insgesamt fanden sie einen deutlichen Zusammenhang zu den Impfungen: Je geringer der Anteil der vollständig Geimpften in einer Bevölkerung war, desto stärker sank auch die Lebenserwartung.
In Dänemark, Finnland und Norwegen änderte sich die Lebenserwartung während der Pandemie nur geringfügig. „Hier können wir die Kombination von Kampagnen sehen, die Impfstoffe schneller an mehr Menschen als im Durchschnitt der Europäischen Union lieferten, mit wirksamen nicht pharmazeutischen Interventionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und hohen Basiskapazitäten der Gesundheitssysteme.“
Durch statistische Analysen ermittelten die Forscher, dass das Sinken der Lebenserwartung überwiegend auf COVID-19 als Todesursache zurückzuführen war. Eine Ausnahme bilden demnach die Niederlande, wo die Verringerung der Lebenserwartung 2021 zu 51,7 Prozent auf andere Ursachen als COVID-19 zurückging.
Einfluss der Pandemie auf Lebenserwartung beispiellos
Das Team um Schöley verglich den Rückgang der Lebenserwartung mit anderen Ereignissen in den vergangenen 120 Jahren. Demnach sorgten nur die beiden Weltkriege und die Spanische Grippe 1918 für einen stärkeren Verlust bei der Lebenserwartung in Europa.
„Die COVID-19-Pandemie führte zu einem weltweiten Anstieg der Sterblichkeit und einem Rückgang der periodischen Lebenserwartung, die in den letzten 70 Jahren beispiellos waren“, schreiben die Forschenden.
Deutschland: Lebenserwartung steigt wieder
Inzwischen steigt die Lebenserwartung bei Geburt hierzulande wieder an – zumindest in Ostdeutschland. Nach starken Rückgängen während der Pandemie stieg sie 2022 bei ostdeutschen Frauen um 0,2 Jahre, bei ostdeutschen Männern sogar um 0,6 Jahre gegenüber 2021. Dennoch ist die Lebenserwartung im Osten weiterhin geringer als 2019: Bei Frauen liegt sie um 0,7 und bei den Männern um 0,8 Jahre niedriger.
Auch in Westdeutschland ist die Lebenserwartung im Vergleich zu 2019 zurückgegangen. Die Differenz zu 2019 war über den gesamten Zeitraum betrachtet jedoch geringer als in Ostdeutschland. Sie betrug im Jahr 2022 – wie in Deutschland insgesamt – 0,6 Jahre bei beiden Geschlechtern. Quelle: dpa / mia