Was ist eigentlich das Kounis-Syndrom?
Seit Ende August 2024 müssen Fach- und Gebrauchsinformationen von Arzneimitteln mit der Wirkstoffkombination Ibuprofen plus Pseudoephedrin auf die Möglichkeit hinweisen, dass unter der Einnahme des entsprechenden Präparates ein Kounis-Syndrom auftreten kann. Das Syndrom ist zwar selten, kann jedoch einen tödlichen Verlauf nehmen.
Kounis-Syndrom: Allianz von Allergie und Myokardischämie
Das 1991 erstmals durch Nicholas G. Kounis und George M. Zavras pathophysiologisch beschriebene Kounis-Syndrom ist ein akutes Koronarsyndrom, das auf eine Allergie, Anaphylaxie oder allgemein eine Hypersensitivitätsreaktion zurückzuführen ist.
Es kann sich in Form eines Vasospasmus (krampfartige Verengung) der Koronararterien, myokardialer Ischämie oder plötzlichem Tod manifestieren. Das Ereignis wird durch Freisetzung von Mediatoren aus aktivierten Mastzellen eingeleitet, die sowohl im Herzmuskelgewebe als auch im Atherom der Koronargefäßwand vorhanden sind.
Die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren wie etwa Histamin löst einen Spasmus der Koronararterien aus und kann zu einer Schädigung der Herzmuskelzellen führen.
Welche Symptome treten beim Kounis-Syndrom auf?
Beim Kounis-Syndrom treten die Symptome einer allergischen Reaktion und die eines akuten Koronarsyndroms gemeinsam auf. Zu den Hauptsymptomen zählen:
- akute Thoraxschmerzen,
- Brustkorbbeschwerden beim Schlucken,
- Atemnot,
- Kopfschmerzen, Übelkeit und/oder Erbrechen,
- Ohnmachtsgefühl,
- juckende Haut, Hautausschlag,
- Schwitzen,
- kalte Extremitäten und
- Blässe.
Unterschiedliche Varianten des Kounis-Syndroms
Man unterscheidet anhand der Koronarangiographie und der möglichen Pathogenese drei Hauptvarianten:
Typ I: Es besteht noch keine Koronarerkrankung; nach dem Freisetzen inflammatorischer Mediatoren aus den Mastzellen kommt es zu einem Spasmus der Koronararterien ohne erhöhte kardiale Biomarker.
Typ II: Hier liegt bereits eine koronare Herzerkrankung vor; inflammatorische Mediatoren führen zum Vasospasmus, der zu einer Plaqueruptur und nachfolgend zu einem Myokardinfarkt führt.
Typ III: allergisch getriggerte Reaktionen gegen Komponenten bei medikamentenfreisetzenden Stents
Wie verbreitet ist das Kounis-Syndrom?
Das Kounis-Syndrom gehört zu den seltenen – zumindest selten diagnostizierten – Erkrankungen. Seine Häufigkeit ist nicht genau bekannt, wahrscheinlich wird die Erkrankung unterdiagnostiziert.
Einer großen epidemiologischen US-Studie zufolge wiesen von rund 235.000 Patienten, die aufgrund einer allergischen Reaktion hospitalisiert wurden, 1,1 % ein Kounis-Syndrom auf. Deren Mortalität lag bei 7,0 % im Vergleich zu 0,4 % der Patienten ohne Kounis-Syndrom.
Anderen Schätzungen zufolge sind 19,4 von 100.000 Krankenhauseinweisungen auf ein Kounis-Syndrom zurückzuführen. In den Packungsbeilagen entsprechender Arzneimittel wird die Häufigkeit als „nicht bekannt“ angegeben.
Vor allem Männer vom Kounis-Syndrom betroffen
Ein typischer Patient mit Kounis-Syndrom ist im Alter zwischen 40 und 70 Jahren, männlich und lebt im Süden Europas, vornehmlich in der Türkei, Griechenland oder Spanien.
Er berichtet über Symptome wie Brustschmerzen, Hypotension und allergische Symptome, die meist innerhalb einer Stunde nach Kontakt mit einem Trigger – häufig nach der Einnahme bestimmter Arzneimittel – auftreten.
Auch Hautreaktionen sowie respiratorische und gastrointestinale Symptome werden beschrieben.
Was sind die Ursachen für das Kounis-Syndrom?
Ein Kounis-Syndrom kann durch unterschiedliche Noxen ausgelöst werden, wobei an erster Stelle Arzneimittel stehen. Hier sind es vornehmlich Analgetika und Antibiotika.
Des Weiteren können Nahrungsmittel (z. B. Früchte, Gemüse, Fisch oder Pilze), Umweltfaktoren, Koronarstents, Insektenstiche oder Pollen ein Kounis-Syndrom hervorrufen. Risikofaktoren sind Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Hyperlipidämie und Allergien.
Wirkstoffe, in Zusammenhang mit deren Einnahme das Auftreten eines Kounis-Syndroms beschrieben wurde
Wirkstoffgruppe | Wirkstoffe |
---|---|
Analgetika / nichtsteroidale Antirheumatika | Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Metamizol, Paracetamol |
Antibiotika | Amoxicillin, Amoxicillin-Clavulansäure, Azithromycin, Cefazolin, Ceftriaxon, Cefuroxim, Gemifloxacin, Vancomycin |
Zytostatika | Carboplatin, Paclitaxel, Rituximab |
weitere Wirkstoffe | Bupivacain, ChAdOx1 (SARS-CoV-2-Vakzine), Insulin, Iopamidol, Midazolam, Pantoprazol, Rocuronium, Triamcinolon, Urapidil |
Ibuprofen plus Pseudoephedrin: Neue Warnhinweise
Nicht bei allen Wirkstoffen, unter deren Einnahme ein Kounis-Syndrom beobachtet wurde, sind entsprechende Informationen in der Fachinformation zu finden, zumal teilweise nur Fallbeobachtungen vorliegen.
Den neuesten Warnhinweis tragen Arzneimittel mit der Wirkstoffkombination Ibuprofen plus Pseudoephedrin. Der Änderung der Fach- und Gebrauchsinformationen gingen eine Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz der Europäischen Arzneimittel-Agentur sowie ein Beschluss der Koordinierungsgruppe voraus.
Mit Bescheid vom 20. August 2024 setzte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die einstimmigen Beschlüsse der Koordinierungsgruppe um. Die Fach- und Gebrauchsinformationen müssen nun zusätzlich darauf hinweisen, dass auftretende Brustkorbschmerzen unter der Anwendung entsprechender Präparate ein Anzeichen einer potenziell schwerwiegenden allergischen Reaktion sein können, die möglicherweise zum Herzinfarkt führt (Kounis-Syndrom).
Ferner wird der Patient darauf hingewiesen, dass beim Auftreten von Atemproblemen, Schwellungen im Bereich des Gesichts und des Nackens (Verdacht auf Angioödem) und Brustkorbschmerzen die Einnahme sofort zu beenden und ein Arzt zu kontaktieren ist.
Wie wird das Kounis-Syndrom behandelt?
Die Therapie zielt vor allem auf die Behandlung der Inflammation ab. Dabei werden je nach Variante und Ausprägung des Kounis-Syndroms unterschiedliche Wirkstoffe eingesetzt, um die allergischen Symptome zu lindern und den kardiovaskulären Zustand zu stabilisieren:
- Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin, Cetirizin)
- systemische Glucocorticoide (z. B. Prednison, Methylprednison)
- bei Vorliegen respiratorischer Symptome Bronchodilatatoren
- Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. Acetylsalicylsäure)
- Nitroglycerin als Vasodilatator zur Linderung der Brustschmerzen
- Betablocker (gelegentlich)
Unterstützende Maßnahmen wie Sauerstofftherapie, kardiales Monitoring und Flüssigkeitsgabe zur Aufrechterhaltung der Homöostase sowie eine Patientenschulung zur Prävention, konkret zur Vermeidung möglicher Trigger, ergänzen die Behandlung. Literatur
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Das Kounis-Syndrom in Kürze:
- ein akutes Koronarsyndrom, das auf eine Allergie, Anaphylaxie oder allgemein eine Hypersensitivitätsreaktion zurückzuführen ist
- betroffen sind meist Männer ab 40, Häufigkeit unbekannt, vermutlich unterdiagnostiziert
- Symptome sind u. a.: akute Thoraxschmerzen, Brustkorbbeschwerden beim Schlucken, Atemnot, Kopfschmerzen, Übelkeit und/oder Erbrechen, Hautausschlag und Schwitzen.
- Ursachen: meist Arzneimittel (Analgetika und Antibiotika), aber auch Nahrungsmittel, Insektenstiche und Umweltfaktoren
- Therapie: Behandlung der Inflammation mit u. a. Antihistaminika und systemischen Glucocorticoiden