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H1-Antihistaminika: erhöhtes Risiko für Krampfanfälle bei Kindern

Kranker Junge liegt in Bett, Mutter misst Fieber
H1-Antihistaminika der ersten Generation sind für Kinder unter 3 Jahren nur bedingt geeignet. | Bild: alfa27 / AdobeStock

Die Arzneistoffgruppe der H1-Antihistaminika hemmt durch eine Blockade von H1-Rezeptoren die Wirkung von Histamin. 

Diesem Gewebshormon kommt eine besondere Bedeutung bei allergischen Reaktionen zu: Durch die Freisetzung von Histamin kommt es unter anderem zu Rötungen und Juckreiz auf der Haut. In schweren Fällen kann es auch zu einem Abfall des Blutdrucks, Atemnot bis hin zum anaphylaktischen Schock kommen. 

Unterschiede der Generationen der Antihistaminika

H1-Antihistaminika wirken antiallergisch und sind bei zahlreichen allergischen Erkrankungen indiziert. Antihistaminika der ersten Generation können aufgrund ihrer Lipophilie gut in das Zentrale Nervensystem (ZNS) eindringen und wirken daher auch an zentralen H1-Rezeptoren zusätzlich sedierend und antiemetisch. 

Wirkstoffe wie Diphenhydramin, Dimenhydrinat und Doxylamin werden hauptsächlich als Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie als Antiemetika eingesetzt. Bei Allergien kommen die Antihistaminika der ersten Generation nicht mehr zum Einsatz und sind durch nichtsedierende Antihistaminika der zweiten Generation abgelöst worden. 

Diese neueren Antihistaminika wie Loratadin oder Cetirizin weisen nur eine geringe Lipophilie auf und gelangen daher kaum ins ZNS. 

Sicherheitsbedenken bei Antihistaminika für Kinder

Viele Jahre lang waren die Antihistaminika der ersten Generation fester Bestandteil der Arzneimitteltherapie bei Kindern. Die entsprechenden Präparate waren nicht verschreibungspflichtig und wurden als harmlos angesehen. 

Bei Magen-Darm-Infekten, die von Übelkeit und Erbrechen begleitet sind, fragten Eltern häufig nach einem H1-Antihistaminikum. Doch im Jahr 2012 äußerte die Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter Sicherheitsbedenken, da es bei jüngeren Kindern teilweise zu schweren Nebenwirkungen und sogar zu Todesfällen gekommen war. 

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) startete daraufhin zur Anwendung der Antihistaminika der ersten Generation ein Risikobewertungsverfahren. Nach Abschluss des Verfahrens wurde Doxylamin (Sedaplus® Saft) zur Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern bis 18 Jahren verschreibungspflichtig, für Dimenhydrinat (Vomex A® Sirup) wurden verschiedene Warnhinweise aufgenommen. 

Der Wirkstoff darf bei Kindern unter drei Jahren bei einem akuten Magen-Darm-Infekt mit Erbrechen und Fieber sowie bei fieberhaften Infekten nicht mehr angewendet werden. Ein Warnhinweis macht darauf aufmerksam, dass Überdosierungen lebensbedrohlich sein können und daher unbedingt vermieden werden müssen. 

Diphenhydramin wird als Schlafmittel (vivinox® Sleep Tabletten) ab 18 Jahren oder bei Reiseübelkeit (Emesan® Tabletten) ab 6 Jahren eingesetzt und ist für jüngere Kinder ohnehin nicht geeignet. 

Studie untersucht Anfallsrisiko nach H1-Antihistaminika

Insbesondere bei jüngeren Kindern ist die Entwicklung des Gehirns noch nicht abgeschlossen. Sie sind daher besonders anfällig für auftretende Nebenwirkungen durch Arzneimittel. H1-Antihistaminika können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und unter anderem Hirnströme beeinflussen. 

Eine kürzlich durchführte südkoreanische Untersuchunghttps://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC11358850/  ging dem Anfallsrisiko nach Einnahme der H1-Antihistaminika nach. Das Team wertete dabei Abrechnungsdaten der südkoreanischen Krankenversicherung aus. 

Erste-Hilfe-Maßnahmen bei einem epileptischen Anfall mit Bewusstseinsstörung:

Am wichtigsten ist es, anfallsbedingte Verletzungen zu verhindern. Deshalb: 

  • Den Betroffenen aus etwaigen Gefahrenzonen wie Treppennähe, Straßenverkehr etc. bringen, scharfkantige Möbel entfernen, evtl. Brille abnehmen und etwas Weiches unter den Kopf schieben.
  • Nicht versuchen, krampfende Gliedmaßen festzuhalten, festgehaltene Gegenstände mit Gewalt zu entfernen oder die Zähne auseinanderzubringen.
  • Kleidung lockern, um die Atmung zu erleichtern.
  • Möglichst während der gesamten Anfallsdauer beim Betroffenen bleiben. Ruhe bewahren. Ein epileptischer Anfall hört in der Regel von selbst wieder auf und schädigt das Gehirn nicht. Nach dem Anfall kann der Betroffene allerdings eine Zeit lang verwirrt sein.
  • Wenn der Betroffene nach dem Anfall schläft, ihn in eine stabile Seitenlage bringen (um Speichelabfluss zu ermöglichen).
  • Dauert der Anfall länger als 5 bis 10 Minuten oder treten mehrere Anfälle hintereinander auf, Notruf absetzen.

Überprüft wurden dabei die Daten von über 10.000 mehr als sechs Monate alten Kindern, die aufgrund eines Krampfanfalls in die Notaufnahme eingeliefert wurden. Es stellte sich heraus, dass nach der Einnahme eines H1-Antihistaminikums der ersten Generation bei den Kindern ein um 22 % erhöhtes Anfallsrisiko bestand. Dieser Zusammenhang galt vor allem bei Kindern zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. 

Auch wenn noch einige Fragen geklärt werden müssen, ist es offensichtlich so, dass jüngere Kinder besonders empfindlich auf zentral wirksame Arzneimittel reagieren. Kinder dieser Altersklasse neigen ohnehin zu Fieberkrämpfen im Rahmen von Infektionen. Dieses Risiko kann durch die Einnahme eines möglicherweise krampfauslösenden Arzneistoffs gesteigert werden. 

Bei Dimenhydrinat: Dosierung unbedingt beachten

Dimenhydrinat (Vomex A® Sirup) besitzt zwar eine Zulassung für Kinder ab 6 kg Körpergewicht. In der Beratung sollten Eltern aber noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Kinder unter 3 Jahren mit einfachen Magen-Darm-Infekten oder fiebrigen Infektionen nicht mit Dimenhydrinat behandelt werden sollen. 

In dieser Altersklasse ist bei Erbrechen und Durchfall vielmehr auf eine ausreichende Zufuhr von Elektrolyten und Flüssigkeit zu achten. Überdosierungen sind bei jüngeren Kindern besonders gefährlich, da es zu schweren Nebenwirkungen wie eben Krampfanfällen kommen kann. 

Um eine unbeabsichtigte Überdosierung durch die Eltern zu verhindern, darf die Dosierung bei Säften nicht nur in Milligramm angegeben werden. Die jeweilige Einzeldosis sowie die maximale Tagesdosis sollten in Millilitern auf der Packung notiert werden. 

Empfohlene Dosis von Vomex A® Sirup

Körpergewicht des KindesEinzeldosisTagesgesamtdosis
6 bis 10 kg

2,5 ml  

(= 8,25 mg Dimenhydrinat)

3 mal 2,5 ml  

(= 24,75 mg Dimenhydrinat)

> 10 bis 15 kg

5,0 ml

(= 16,5 mg Dimenhydrinat)

3 mal 5,0 ml

(= 49,5 mg Dimenhydrinat)

> 15 bis 20 kg

7,5 ml

(= 24,75 mg Dimenhydrinat)

3 mal 7,5 ml

(= 74,25 mg Dimenhydrinat)


Weiterhin sollten die Eltern informiert werden, dass bei einer vermeintlich ungenügenden Aufnahme des Medikaments beispielsweise durch Erbrechen des Kindes nicht nachdosiert werden darf. 

Sind Antihistaminika bei Reisekrankheit geeignet?

Antihistaminika der ersten Generation werden häufig auch zur Prophylaxe und Behandlung von Kinetosen (Reisekrankheiten) nachgefragt. Vomex A® Sirup ist auch zur Therapie der Reisekrankheit zugelassen. 

Eine Reiseübelkeit wird dadurch ausgelöst, dass der Körper während einer Fahrt mit Auto, Bus oder Schiff sowie beim Fliegen widersprüchliche Sinneseindrücke wahrnimmt. Histamin gilt hier als mitverantwortlich für möglicherweise auftretendes Erbrechen. 

Bei Kindern ab 3 Jahren ist der Einsatz Dimenhydrinat-haltiger Präparate vertretbar, auch Diphenhydramin kann ab 6 Jahren eingesetzt werden. Bei Kindern unter 3 Jahren sollten dagegen bei Reisekrankheit nichtpharmakologische Maßnahmen ausgeschöpft werden. Babys leiden ohnehin selten an Reisekrankheit, da bei ihnen das Gleichgewichtssystem noch nicht voll entwickelt ist. Quellen:
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/09/13/h-sub-1-sub-antihistaminika-erhoehen-risiko-fuer-krampfanfaelle-bei-kindern
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2020/daz-37-2020/problematische-antihistaminika
https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffgruppen/h1-antihistaminika
Gebrauchsinformation Sedaplus® Saft
Gebrauchsinformation Vomex A® Sirup
 

Im Überblick: ältere H1-Antihistaminika bei Kindern

H1-Antihistaminika wie Dimenhydrinat, Diphenhydramin und Doxylamin können die Blut-Hirn-Schranke durchdringen und wirken an zentralen H1-Rezeptoren sedierend und antiemetisch. 

Da bei Kindern unter 3 Jahren die Entwicklung des Gehirns noch nicht abgeschlossen ist, reagieren diese besonders empfindlich auf zentral wirksame Antihistaminika. 

Kinder unter 3 Jahren sollten daher in der Selbstmedikation zur Therapie einfacher Magen-Darm-Infekte, bei fieberhaften Erkrankungen und bei Reiseübelkeit keine H1-Antihistaminika der ersten Generation erhalten.