Magen-Darm-Beschwerden
Wissen am HV
7 min merken gemerkt Artikel drucken

Behandlung und Prävention von Kinetosen: Reisekrankheit: Was kann man tun?

Zwei Frauen lachend im Auto
Damit der Weg in den ersehnten Urlaub nicht zur Qual wird, können Sie Ihren Kunden wertvolle Tipps gegen Reiseübelkeit geben. | Bild: Flamingo Images / AdobeStock

Unter dem Begriff Reisekrankheit – auch als Bewegungsschwindel oder Kinetose bezeichnet – versteht man die Reaktionen des Organismus auf ungewohnte Bewegungs- oder Beschleunigungsreize. Meist kündigen typische Frühsymptome wie Müdigkeit, zwanghaftes Gähnen, leichte Kopfschmerzen und ein Schwindelgefühl die Reiseübelkeit an. Kinder werden oft auffallend ruhig, teilnahmslos und blass. Spätestens ein kalter Schweißausbruch, vermehrte Speichelsekretion und ein flaues Gefühl im Magen sind Signale zum Handeln, um ein Erbrechen noch zu verhindern.

Wen es am häufigsten erwischt

Prinzipiell kann jeder Mensch reisekrank werden. Doch die individuelle Anfälligkeit unterscheidet sich stark: Schätzungsweise 5 bis 10% der Menschen reagieren sehr empfindlich, während ebenso viele praktisch resistent gegen Kinetosen sind. Personen mit Neigung zu Schwindelgefühlen sowie Migränepatienten sind erfahrungsgemäß besonders anfällig. Frauen sind statistisch gesehen häufiger davon betroffen als Männer. 

Die größte Patientengruppe stellen Kinder dar. Jedes achte Kind ist von einer Kinetose betroffen. Das Prävalenzmaximum liegt zwischen dem zweiten und zwölften Lebensjahr. Säuglinge sind weitgehend davor gefeit, da ihr Gleichgewichtsorgan noch nicht vollständig ausgebildet ist. 

Nach dem 50. Lebensjahr kommt Reiseübelkeit nur noch selten vor. Vermutlich, weil die dafür verantwortlichen Sinnesorgane mit zunehmendem Alter unempfindlicher werden.

Fehler in der Schaltzentrale – Wie entstehen Kinetosen?

Kinetosen liegt ein Konflikt zwischen verschiedenen Sinneseindrücken zugrunde. Auf kurvenreichen Autofahrten, bei Turbulenzen im Flugzeug oder bei starkem Seegang ist der Körper intensiven, unnatürlichen Beschleunigungen und raschen Gleichgewichtsveränderungen ausgesetzt. Diese Reize werden im Innenohr aufgenommen und verarbeitet. Sie decken sich jedoch nicht mit der optischen Sinneswahrnehmung, da während der Fahrt rasch vorüberziehende Gegenstände visuell kaum fixiert werden können. 

Im Gleichgewichtszentrum des Gehirns gehen also unterschiedliche, scheinbar widersprüchliche Signale ein. Diese werden vom Gehirn als Gefahrensituation interpretiert. Die Folge sind vegetative Reaktionen sowie eine Aktivierung des Brechzentrums. Kinetosen stellen somit weniger eine Krankheit als vielmehr eine physiologische Reaktion auf ungewohnte Reize dar, an die der betroffene Organismus nicht angepasst ist. Aber auch psychische Einflüsse, eine negative Erwartungshaltung („mir wird gleich schlecht“) sowie organoleptische Sinneseindrücke (Fäkaliengeruch, Anblick von Erbrochenem etc.) spielen dabei eine Rolle. 

Für Betroffene ist es oft schon hilfreich, im Auto oder Bus einen Platz mit Sicht auf die Straße zu haben. Im Flugzeug bietet sich ein Sitzplatz direkt über den Tragflächen, im Schiff im Mittelteil des Rumpfes an, da dort die Eigenbewegungen des Verkehrsmittels weniger stark wahrgenommen werden.

Hilfe aus dem OTC-Segment

Dimenhydrinat wirkt durch eine Blockade der H1-Rezeptoren im Brechzentrum und im Vestibulariskern sowie durch eine Hemmung der Muskarinrezeptoren antiemetisch. Der Wirkstoff ist in verschiedenen Darreichungsformen auf dem Markt erhältlich: Zum Beispiel in

  • Reisegold® Tabletten (ab 6 Jahren),
  • Superpep® Reisekaugummis (ab sechs Jahren) oder
  • Vomex A® Suppositorien (40 mg ab acht Kilo, 70 mg ab 15 Kilo) bzw.
  • Vomex A® Sirup (ab 6 Kilo) und
  • Vomex A® Reise Sublingualtabletten (ab 12 Jahren).

Das Antiemetikum sollte dabei etwa eine halbe bis ganze Stunde vor Reiseantritt verabreicht und die Eltern darauf hingewiesen werden, dass das Medikament müde machen kann. 

Verlangt ein Kunde in der Apotheke ein Mittel gegen Reiseübelkeit, gilt es – neben dem Alter des Reisenden – zunächst abzuklären, ob das Mittel nur für den Fall eines Falles mit auf die Reise genommen werden soll, oder ob es dem Betroffenen regelmäßig auf der Fahrt übel wird. Je nachdem empfehlen sich unterschiedliche Darreichungsformen:

  • Wird nur ein „Stand-by-Medikament“ benötigt, sind schnell wirksame Reisekaugummis das Mittel der Wahl.
  • Wer dagegen regelmäßig von Reiseübelkeit geplagt wird, sollte schon prophylaktisch ein Antiemetikum in Tablettenform einnehmen.

Für die prophylaktische Einnahme gilt, die Tabletten eine halbe bis eine Stunde vor Reiseantritt mit etwas Flüssigkeit zu schlucken, damit sich die Übelkeit erst gar nicht einstellt. Nach drei bis vier Stunden kann die Einnahme wiederholt werden. 

Zäpfchen (Suppositorien) sind sowohl für Kleinkinder, als auch dann geeignet, wenn der Brechreiz bereits so stark ist, dass man mit Tabletten nichts mehr ausrichten kann.

Antihistaminika nichts für jedermann

Obwohl Antihistaminika im Handverkauf die meistverkauften Präparate gegen Reiseübelkeit sind, dürfen sie keinesfalls jedem empfohlen werden. Nicht zuletzt wegen ihrer anticholinergen Nebenwirkungen sind diese Wirkstoffe zum Beispiel ungeeignet bei

  • akuten Asthmabeschwerden,
  • Engwinkelglaukom,
  • Prostatahyperplasie,
  • Epilepsie,
  • Arrhythmien sowie
  • bei schweren Leberfunktionsstörungen.

Wegen potenzieller Wechselwirkungen gilt es abzuklären, ob der Patient weitere zentral dämpfende Medikamente, Anticholinergika, trizyklische Antidepressiva oder MAO-Hemmer einnimmt. Auch unter einer Antihypertonika-Therapie ist Vorsicht geboten, um eine verstärkte Blutdrucksenkung zu vermeiden. 

Sowohl Diphenhydramin als auch Dimenhydrinat (siehe Kasten) können stark sedierend wirken, sodass sich die aktive Teilnahme am Straßenverkehr verbietet. Der Fahrer selbst sollte daher auf die Einnahme verzichten. Da Fahrer und Piloten die gefühlten Bewegungen auch optisch registrieren, bleiben sie in der Regel jedoch ohnehin von Reiseübelkeit verschont. 

Zur Erinnerung: Diphenhydramin vs. Dimenhydrinat

Dimenhydrinat (Prodrug) ist das 8-Chlortheophyllin-Salz von Diphenhydramin. Durch die Kombination mit dem schwach anregend wirkenden 8-Chlortheophyllin sollen die sedierenden Eigenschaften des H1-Antihistaminikums abgemildert werden. In der Praxis konnte dieser Effekt jedoch nicht bestätigt werden.

Des Weiteren ist die Kombination mit Alkohol tabu! Kinder entwickeln auf Antihistaminika gelegentlich paradoxe Reaktionen mit übermäßiger Unruhe, Erregung und Schlaflosigkeit.

Reisekaugummi richtig kauen

Der wesentliche Vorteil von Reisekaugummis besteht darin, dass sie auch bei den ersten Anzeichen von Übelkeit noch wirksam sind. Daher müssen sie nicht bereits vorab, also prophylaktisch, eingenommen werden. Das enthaltene Dimenhydrinat wird beim Kauen innerhalb weniger Minuten über die Mundschleimhaut resorbiert. Etwa fünfminütiges Kauen reicht in der Regel aus, um den enthaltenen Wirkstoff freizusetzen. Ein weiterer Vorteil: Die Wirkung wird vom leichten antiemetischen Effekt des Kauvorgangs noch unterstützt. 

Längst nicht jeder Kunde weiß, dass man die drageeförmigen Kaugummis (z. B. Superpep®–Reise-Kaugummi-Dragees forte) nicht hinunterschluckt – auch nicht nach dem Kauen – sondern ausspucken sollte. Zwar ist versehentliches Verschlucken unbedenklich, das Präparat ist dann jedoch wirkungslos. Das Kauen kann zwischendurch auch ausgesetzt und das Kaugummi in der Wangentasche „geparkt“ werden. Wie normale Kaugummis sind auch Reisekaugummis für manche Zahnprothesenträger sowie für kleine Kinder, die noch nicht mit Kaugummis vertraut sind, ungeeignet.

Alternativen für die Beratung

Für Kunden, die ein pflanzliches Arzneimittel bevorzugen, stellt das Ingwer-Präparat Zintona® (ab sechs Jahren) eine Alternative dar. Der antiemetische Effekt des Ingwers beruht vermutlich auf seiner direkten beruhigenden Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt.

Eine andere Möglichkeit ist das Sea-Band® für Kinder oder Erwachsene. Dabei wird durch ein Armband Druck auf einen bestimmten, antiemetisch wirkenden Akupressurpunkt ausgeübt.

Bitterstoffe zur Beruhigung der Verdauung

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass bitterstoffhaltige Arzneimittel (z. B. Gasteo® Magentropfen, Iberogast®) eine vielversprechende Behandlungsoption für Reiseübelkeit bei Erwachsenen darstellen. Studien haben gezeigt, dass bitterstoffhaltige Arzneimittel die Symptome von Reiseübelkeit signifikant reduzieren können, ohne dabei nennenswerte Nebenwirkungen zu verursachen. 

Der genaue Mechanismus dahinter ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch angenommen, dass die Stimulation der Geschmacksnerven durch Bitterstoffe das Verdauungssystem beruhigen kann. Darüber hinaus könnten bitterstoffhaltige Arzneimittel die sensorische Desorientierung reduzieren und so die Symptome von Reiseübelkeit verringern.

Grenzen der Selbstmedikation

Wer trotz aller vorbeugenden Maßnahmen immer wieder unter schwerer Reisekrankheit leidet und mit den Möglichkeiten der Selbstmedikation keine Erfolge erzielt hat, sollte mit seinem Hausarzt über den verschreibungspflichtigen Wirkstoff Scopolamin (Scopoderm TTS®) sprechen. 

Gerade wenn man während der Reise aufmerksam bleiben möchte, eignet sich Scopolamin. Das Belladonnaalkaloid wird als transdermales Pflaster angeboten, das am Abend vor der Abreise, spätestens aber fünf Stunden vor Reiseantritt hinter das Ohr geklebt wird und den Wirkstoff über 72 Stunden freigibt.

Zurück