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Passiver Schutz und Impfstoffe: RSV: Welcher Impf­stoff schützt wen?

Schwangere Frau wird geimpft
Seit August dieses Jahres gibt es eine weitere Möglichkeit, Säuglinge bis zum Alter von sechs Monaten vor RSV-bedingten Erkrankungen zu schützen, und zwar durch aktive Impfung der Schwangeren zwischen Schwangerschaftswoche 24 und 36. | Bild: Africa Studio / AdobeStock

Palivizumab (Synagis®) war lange Zeit (Zulassung 1999) das einzige Arzneimittel, das vorbeugend – als passive Immunisierung (kein Impfstoff) – gegen das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) angewendet werden konnte. AstraZeneca hat die Zulassung des Antikörpers für Frühchen (vor der 35. Schwangerschaftswoche geboren) sowie für Kleinkinder unter zwei Jahren mit bronchopulmonaler Dysplasie (chronische Lungenerkrankung) und bestimmten Herzfehlern empfohlen.

Zur Erinnerung: Was ist das RS-Virus?

Das RS-Virus (Respiratorisches Synzytialvirus) ist einer der wichtigsten Erreger von Atemwegserkrankungen bei Säuglingen und Frühgeborenen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass RSV für jährlich mehr als 30 Millionen Infektionen der unteren Atemwege bei Kleinkindern verantwortlich ist, wovon drei Millionen Kinder schwer erkranken (Krankenhausbehandlung). RSV sei die häufigste Ursache für Krankenhausaufenthalte bei Kindern unter fünf Jahren. 

Die Ansteckung erfolgt über Tröpfcheninfektion, die Inkubationszeit beträgt zwei bis acht Tage. Nach Infektion vermehren sich die Viren sodann in den Schleimhäuten der Atemwege. 

Eine wichtige Rolle für das Krankheitsgeschehen von RSV spielt dabei das Fusionsprotein (F-Protein), das in die Lipidhülle des Virus eingelagert ist. Das F-Protein schädigt die Zellen der Atemwege – Synzytienbildung –, indem es die zilientragenden Epithelzellen miteinander verschmilzt. 

Die Folge: Immunzellen werden angelockt, Zelltrümmer und Schleim entstehen, die die Atemwege verlegen. Die Schädigung der Atemwegszellen ist jedoch reversibel, sodass sich die Epithelzellen innerhalb von vier bis acht Wochen wieder erholen.

Palivizumab bindet als Antikörper an das RS-Virus, neutralisiert es und verhindert, dass das RS-Virus in das Lungengewebe eindringen kann. Als passive Immunisierung bekämpft der Antikörper den Erreger direkt. Palivizumab stimuliert jedoch nicht das menschliche Immunsystem zur aktiven Bekämpfung des Virus, indem es selbst Antikörper und Gedächtniszellen zu bildet.

Palivizumab: monatliche Gaben nur für  bestimmte Kinder

Der Nachteil ist folglich: Der RSV-Schutz endet, sobald der Körper Palivizumab eliminiert hat. Für einen weiteren RSV-Schutz bedarf es einer erneuten Dosis.

In der Tat schützt Palivizumab nur kurz vor RSV. Kinder müssen den Antikörper während der RSV-Saison jeden Monat erhalten, also von November bis April (allerdings hält der Gemeinsame Bundesausschuss maximal fünf Dosen für wirtschaftlich).

Nirsevimab: eine Dosis und für alle Kinder zugelassen

Als passive Immunisierung funktioniert auch Nirsevimab (Beyfortus®). Sanofi erhielt für seinen RSV-Antikörper Ende Oktober 2022 die Zulassung. Wie auch Palivizumab bindet Nirsevimab an RSV. Genauer gesagt bindet der Antikörper an das Fusionsprotein (F-Protein), welches die Viren unbedingt benötigen, um in menschliche Lungenzellen zu gelangen – und verhindert so eine Infektion. 

Punkten kann Nirsevimab verglichen mit Palivizumab jedoch bei der Wirkdauer. Eine Dosis genügt, um die Kinder für eine gesamte RSV-Saison zu schützen. Auch die Zulassung ist für Nirsevimab weiter gefasst. Den RSV-Antikörper dürfen nicht nur Frühgeborene bzw. vorerkrankte Kinder erhalten, sondern alle Neugeborenen, Säuglinge und Kleinkinder während ihrer ersten RSV-Saison.  

In den Vereinigten Staaten raten die „Centers for Disease Control and Prevention“ (CDC) seit Herbst 2023 bei jedem Säugling unter acht Monaten zur Vorbeugung einer RSV-Infektion mit Nirsevimab vorzubeugen. Bei älteren Kindern – zwischen acht und 19 Monaten – sollen diejenigen mit Vorerkrankungen durch die passive Immunisierung geschützt werden.

Wie kann man Säuglinge noch vor RSV schützen?

Seit August dieses Jahres bietet Pfizer mit Abrysvo® eine weitere Möglichkeit, Säuglinge bis zum Alter von sechs Monaten vor RSV-bedingten Erkrankungen zu schützen – durch aktive Impfung der Schwangeren zwischen den Schwangerschaftswochen 24 und 36. Die Mutter gibt die RSV-Antikörper in den letzten Schwangerschaftswochen diaplazentar an ihr Baby weiter, sodass die aktive Impfung der Mutter den Säugling passiv schützt. 

Genutzt wird dieses Prinzip des Nestschutzes durch mütterliche Impfung bereits bei der Keuchhustenimpfung (Pertussis). Allerdings sollten zwischen der Impfung der Schwangeren gegen Keuchhusten und gegen RSV zwei Wochen liegen, rät Pfizer in der Fachinformation von Abrysvo®. Der Grund: In Studien war bei gleichzeitiger Verabreichung die Impfantwort auf die Keuchhustenimpfung niedriger als bei getrennter Verabreichung.

Zulassung auch für ältere Menschen

Pfizer hat für Abrysvo® noch eine zweite Zulassung erwirkt, und zwar zum aktiven RSV-Schutz für ältere Menschen ab 60 Jahren. Denn neben Frühgeborenen, Neugeborenen, jungen Säuglingen sowie Kindern mit 

  • chronischer Lungenerkrankung,
  • angeborenen Herz- oder neuromuskulären Erkrankungen,
  • schweren Immundefekten,
  • immunsuppressiver Therapie
  • und mit beispielsweise Trisomie 21

können insbesondere auch ältere Menschen durch RS-Viren schwer erkranken. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt ab 65-Jährige zur Risikogruppe bei RSV

Geimpft wird Abrysvo® einmalig und intramuskulär. Ungleich zur Pertussisimpfung bei Schwangeren darf Abrysvo® simultan mit einem Grippeimpfstoff verabreicht werden.

Wie funktioniert Abrysvo®?

Abrysvo® ist ein rekombinanter bivalenter Impfstoff. Bivalent, da er aus gleichen Teilen Präfusionsprotein der RSV-Subtypen A und B besteht. Diese Präfusionsform des F-Proteins ist das primäre Ziel neutralisierender Antikörper und die Struktur, die es einnimmt, um sich an die menschlichen Zellen zu heften und mit dieser zu verschmelzen (fusionieren).

Gut zu wissen: So unterscheiden sich RSV A und RSV B

Das respiratorische Synzytialvirus tritt als zwei Subtypen auf: RSV A und RSV B. Beide Subtypen zirkulieren parallel, wobei laut Robert Koch-Institut (RKI) meist RSV A dominiert.

RS-Viren besitzen eine Lipidhülle, in die Glykoproteine eingelagert sind. Wichtig für die krankmachenden Eigenschaften von RSV sind vor allem das Adhäsionsprotein (G-Protein) und das Fusionsprotein (F-Protein). RSV A unterscheidet sich von RSV B im Adhäsionsprotein.  

Während sich RSV mit dem Adhäsionsprotein an seine Wirtszelle (zilientragende Epithelzellen der Atemwege) heftet, sorgt das Fusionsprotein dafür, dass das Virus in die Zellen gelangt und die Atemwegszellen miteinander verschmelzen (Synzytienbildung). Die Schädigung der Epithelzellen und die dadurch ausgelöste Immunreaktion sorgen für Zelltrümmer und Schleim, die die Atemwege verengen.  

Die Antigene der in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe orientieren sich allesamt am Fusionsprotein, genauer gesagt der Präfusionsform des F-Proteins (preF). Diese Form nimmt das Protein ein, um sich an die Wirtszelle zu heften. Der Präfusionsansatz hat sich bislang als der vielversprechendste herauskristallisiert, um RSV-neutralisierende Impfstoff-Antikörper zu induzieren.

Arexvy: erster Aktivimpfstoff für ältere Menschen

Die zweite große Risikogruppe bei RSV-Infektionen – ältere Menschen – adressiert auch GSK: Seit Juni 2023 bietet GlaxoSmithKline einen proteinbasierten RSV-Impfstoff für Senioren an. Zugelassen ist er für Menschen ab 60 Jahren.

Arexvy war der erste aktive Impfstoff, der vor RSV schützt (zugelassen wenige Monate vor Abrysvo®). GSK nutzt als Antigen, wie auch Pfizer, ein im Labor rekombinant hergestelltes Präfusionsprotein von RSV. 

Der Geimpfte bildet Antikörper, die sodann verhindern, dass RSV in die Atemwegszellen eindringt. GSK hat Arexvy ein Adjuvans (Wirkverstärker) zugesetzt, um die Impfwirksamkeit zu verbessern. Dabei setzt der Impfstoffhersteller auf sein bereits bewährtes Adjuvans beim Gürtelrose-Impfstoff Shingrix® (AS01E). Laut der Fachinformation von Arexvy ist die „Notwendigkeit einer Auffrischimpfung mit einer weiteren Dosis nicht erwiesen“.

Kommt bald ein RSV-Impfstoff auf mRNA-Basis?

In Bälde könnte zudem ein RSV-Impfstoff auf mRNA-Basis die Zulassung erhalten: Moderna hat für seinen Impfstoffkandidaten mRNA-1345 im Sommer dieses Jahres unter anderem bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) die Zulassung beantragt. 

Schützen soll der Impfstoff, wie auch Arexvy und Abrysvo®, ältere Menschen ab 60 Jahren. Die mRNA kodiert für die Präfusionsform des F-Proteins.

Wem rät die STIKO zur RSV-Impfung mit den neuen Impfstoffen?

Derzeit spricht die Ständige Impfkommission (STIKO) keine Impfempfehlung für Schwangere oder ältere Menschen sowie zum passiven Schutz mit Nirsevimab für alle Kinder in der ersten RSV-Saison aus. Auf der Seite des Robert Koch-Instituts (RKI) steht: „Die STIKO berät aktuell zum Thema, ein genauer Zeitpunkt für eine Impfempfehlung ist derzeit jedoch nicht absehbar.“