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RSV-Impfung bei Frühgeborenen und Säuglingen

Vor allem Frühgeborene und Neugeborene haben ein erhöhtes Risiko für schwere RSV-Infektionen. Umso wichtiger ist eine passive Immunisierung. | Bild: ondrooo / AdobeStock

Nach dem milden Grippe- und Erkältungswinter im letzten Jahr fürchten Wissenschaftler nun, dass Influenza- und RSV-Wellen uns umso heftiger treffen könnten. Erste Anzeichen gibt es bereits. Schaut man auf Länder der Südhalbkugel, bei denen gerade Winter ist, verzeichnet Neuseeland momentan den höchsten Anstieg an RSV-Infektionen seit zehn Jahren, und Australien berichtete bereits im Oktober 2020 über eine starke RSV-Welle. Auch hierzulande meldete die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) bereits Ende Juli einen für diese Jahreszeit in Deutschland ungewöhnlichen Anstieg an RSV-Infektionen – normalerweise kommen RS-Viren (Respiratorisches Synzytial-Virus oder Respiratory Syncytial Virus) saisonal in den Wintermonaten vor. Das Robert Koch-Institut (RKI) nennt als RSV-Hauptzeit die Monate November bis April mit den höchsten Erkrankungsraten für gewöhnlich im Januar und Februar. Doch hat das RKI in den letzten Jahren einen jährlichen Wechsel dieser winterlichen RSV-Saison mit einem früheren Aufkommen im September und Oktober beobachtet.

„Es ist nicht gesund, wenn Kinder nie erkältet sind“ 

Nun ist es nicht so, dass diese Atemwegserreger im letzten Winter einfach weg waren und plötzlich wieder aus der Deckung kommen. Allerdings waren ihre Wirte – also wir – mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden und mit Maske, Kontaktbeschränkungen und Home-Office nur schwer infizierbar. Was uns damals als positive Nebenwirkung der COVID-19-Pandemie erschien – war man selbst und vor allem auch Kinder kaum bis nie erkältet –, könnte uns nun zum Verhängnis werden. Das machte Professor Dr. Markus Rose, Ärztlicher Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und CF im Klinikum Stuttgart, in einem Pressegespräch von AstraZeneca deutlich. „Es ist nicht gesund, wenn Kinder nie erkältet sind“, sagte Rose. Warum? Dem Immunsystem fehlt dann schlichtweg das Training.

Immunsystem wird träge ohne Erregerkontakt 

Rose erklärte: „Unser Immunsystem braucht Training, sonst erschlafft es wie ein Muskel.“ Erschwerend fehlten im letzten Winter durch die mangelnden sozialen Kontakte nicht nur die „natürlichen“ Stimuli für das Immunsystem, sondern auch Schutzimpfungen seien verspätet oder gar nicht wahrgenommen worden. Umso wichtiger sei es nun, an die Prävention zu denken, mahnte der Kinderlungenarzt. Dabei vertritt er die gleiche Meinung wie das RKI. Auch das RKI „erwartet“ im Herbst „aufgrund der reduzierten Grundimmunität (ausgebliebene Booster-Infektionen für Influenza und RSV) der letzten beiden Saisons“ einen parallelen Anstieg von SARS-CoV-2, Influenza und RSV. Außerdem rät das RKI zu Influenza-Impfungen, zum passiven Schutz gegen RSV und Impfungen gegen Pneumokokken und Meningokokken.

Neu- und Frühgeborene besonders gefährdet

Hat man den Grippeschutz bei Risikogruppen – zum Beispiel bei älteren oder vorerkrankten Menschen jeglichen Alters oder medizinischem Personal – noch einigermaßen auf dem Schirm, dürfte der Schutz vor RS-Viren eher vergessen werden. Der Stuttgarter Infektiologe erinnerte deswegen daran, gerade bei Risikokindern zusätzlich das Augenmerk auf die passive RSV-Immun-Prophylaxe zu legen. Denn auch bei RSV lassen sich Risikogruppen ausmachen, die eine RSV-Infektion besonders vehement trifft: Frühgeborene oder Neugeborene, vor allem mit angeborenen Herzfehlern oder chronischen Lungenerkrankungen.

Gut zu wissen: RSV – wer ist besonders gefährdet?

Laut der S2k-„Leitlinie zur Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Virus (RSV) bei Risikokindern“ sind vor allem Frühgeborene, Neugeborene und junge Säuglinge sowie Kinder mit chronischer Lungenerkrankung (z. B. interstitielle Lungenerkrankung, zystische Fibrose [Mukoviszidose] und angeborene Atemwegsanomalien), angeborenen Herzerkrankungen, neuromuskulären Erkrankungen, schweren Immundefekten, immunsuppressiver Therapie und chromosomalen Aberrationen wie der Trisomie 21 besonders für schwere RSV-Infektionsverläufe gefährdet. 

Zusätzlich nennen die Leitlinienautoren ein Alter unter sechs Monaten, eine Mehrlingsgeburt, männliches Geschlecht, Geschwisterkinder im Kleinkindalter, Krippenbesuch, Rauchexposition durch Eltern und im Haushalt, niedriger Sozial- und Ausbildungsstatus der Eltern, enge häusliche Verhältnisse und Unterernährung sowie eine positive Familienanamnese für atopische Erkrankungen oder Asthma als Risikofaktoren für eine schwer verlaufende RSV-Erkrankung.

RSV: häufigster Atemwegserreger bei Säuglingen

In der Tat ist RSV der häufigste Erreger für schwere und akute Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege im frühen Kindesalter. Das Virus ist die Hauptursache, weswegen Säuglinge im ersten Jahr im Krankenhaus behandelt werden müssen. Laut RKI haben innerhalb des ersten Jahres 50 bis 70 Prozent der Säuglinge und bis Ende des zweiten Lebensjahres nahezu alle Kinder mindestens eine RSV-Infektion durchgemacht.

Wenn mütterliche Antikörper fehlen – durch Frühgeburt oder Corona

Für Frühgeborene ist das RS-Virus besonders kritisch: Werden reifgeborene Säuglinge in ihren ersten vier bis sechs Lebenswochen durch diaplazentar übertragene mütterliche Antikörper in den letzten Wochen der Schwangerschaft geschützt, fehlt zu früh auf die Welt gekommenen Babys dieser Nestschutz. Besonders schwerwiegend sei, wenn dann die Mutter zusätzlich nicht stille, erklärte Rose, denn auch dadurch erhält das Kind Antikörper und einen Immunschutz. Doch selbst reifgeborene Säuglinge könnten durch die Kontaktbeschränkungen während Corona nun mit mütterlichen Antikörpern zu kurz kommen – schließlich habe sich auch die werdende Mutter nicht mit RSV infizieren (Booster-Infektion) und diesen Schutz an ihr Kind weitergeben können, erinnerte der Infektiologe.

Wie impft man gegen RSV?

Für einen medikamentösen RSV-Schutz steht derzeit nur ein einziger Impfstoff zur Verfügung – der passive Impfstoff Synagis® mit dem Antikörper Palivizumab (AstraZeneca). Palivizumab bindet an das RS-Virus und neutralisiert es, sodass dieses das Lungengewebe nicht mehr infizieren kann. Bislang ist es nicht geglückt, eine aktive Impfung gegen RSV zu entwickeln. Bei einer aktiven Impfung impft man ein Antigen oder die Information für ein Antigen (mRNA- oder Vektorimpfstoffe), und der Körper produziert daraufhin seine Antikörper selbst. Bei der passiven Impfung werden die Antikörper hingegen direkt gespritzt. Dies hat allerdings zum Nachteil, dass, sobald diese gespritzten Antikörper im Körper abgebaut sind, unser Körper diese nicht einfach neu herstellen kann – man muss sie folglich erneut applizieren. So auch bei Synagis®: Die Antikörpergaben erfolgen im Abstand von 28 Tagen und nur im Zeitraum der erhöhten RSV-Aktivität – laut RKI also die Monate November bis April.

Wer bekommt Synagis®?

Palivizumab ist zugelassen zur Prävention von durch das RSV hervorgerufenen, schweren Erkrankungen der unteren Atemwege, die Krankenhausaufenthalte erforderlich machen, und zwar nur bei Kindern mit hohem Risiko für RSV-Erkrankungen: Das sind erstens Kinder, die in der 35. Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind. Zweitens fallen Kinder unter zwei Jahren unter die Zulassung, wenn sie innerhalb der vorherigen sechs Monate wegen bronchopulmonaler Dysplasie behandelt wurden. Und drittens ist Synagis® zugelassen für Kinder unter zwei Jahren mit hämodynamisch signifikanten angeborenen Herzfehlern.

Für welche Patienten ist Palivizumab wirtschaftlich?

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sieht den Einsatz von Palivizumab „zum Beginn der RSV-Saison“ nur bei bestimmten Kindern als „wirtschaftlich“, auch sei der Nutzen für mehr als fünf Dosen nicht belegt. Wenn nun die RSV-Saison bereits im Juli spürbar war – wäre es dann nicht sinnvoll, bei den Risikokindern bereits früher mit der RSV-Prophylaxe zu beginnen? Der Kinderlungenarzt würde dies begrüßen, er wünscht sich, bereits im September mit den monatlichen Synagis®-Gaben starten zu können – und dann aber auch die Gewissheit zu haben, dass bei einer längeren RSV-Welle man die Kinder auch über die vom G-BA nutzenbelegten Dosen weiter behandeln könne.

Warum eine Impfung für alle Kinder sinnvoll sein könnte

Er geht sogar noch einen Schritt weiter: Rose hält Palivizumab nicht nur für Risikogruppen sinnvoll. Es gebe mittlerweile Daten, dass eine frühkindliche RSV-Infektion das Risiko der Kinder für Allergien und Asthma erhöhe. „Im Prinzip müsste man allen Kindern, zumindest aus Asthmatiker-Haushalten, eine solche RSV-Prophylaxe anbieten“, findet Rose. Wichtig sei vor allem, dass die Prophylaxe konsequent alle vier Wochen durchgeführt werde, um Durchbruchinfektionen zu vermeiden.

Neuer RSV-Antikörper in Entwicklung

Auch das Dosierintervall könnte sich im nächsten Jahr verbessern, entwickelt AstraZeneca doch derzeit einen weiteren Antikörper gegen RSV: Nirsevimab. Dieser könnte bereits im nächsten Jahr die Zulassung erhalten. Nirsevimab müsste nur einmal in der Saison gegeben werden und nicht monatlich wie Palivizumab.