Begleiterscheinungen der Pandemie
Nicht nur eine Infektion hinterlässt Spuren bei den Genesenen, auch nicht Erkrankte spüren die Auswirkungen der Pandemie deutlich. Die Gesellschaft hat sich verändert. Um sich vor einer Ansteckung zu schützen, verlassen viele kaum noch ihr Zuhause: Psychische Belastungen wie Depressionen und Vereinsamung, aber auch Gewichtszunahme und Vernachlässigung von wichtigen Vorsorgeuntersuchungen sind nur einige der Begleiterscheinungen der Pandemie. Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf unser Leben aus? Wir berichten darüber.
Titelbild: pololia / AdobeStock
5 min merken gemerkt Artikel drucken

Nach Pandemie: Psyche von Kindern leidet noch immer

Jugendliche mit Handy in Hand schaut deprimiert aus Fenster
Kinder und Jugendliche leiden noch immer unter den Folgen der Corona-Pandemie. | Bild: New Africa / AdobeStock

Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Lockdown im März 2020 haben die Beschränkungen noch immer bei vielen Kindern und Jugendlichen tiefe Spuren hinterlassen. Die häufigsten psychischen Erkrankungen seien Essstörungen, Depressionen und Angststörungen, berichtet Christine Freitag vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP).

Auch Entwicklungsstörungen – etwa reduzierte Feinmotorik, geringere Sprach- und Konzentrationsfähigkeit vor allem bei den Jüngeren, die nicht in Kita oder Schule gehen konnten – seien einschneidend. 

„Das kann man nicht einfach so aufholen. Das ist ein gewaltiges Zukunftsproblem für die gesamte Gesellschaft“, mahnt die Medizinerin der Uniklinik Frankfurt. 

Starke Zunahme bei Einweisungen aufgrund von Magersucht

Aktuelle Zahlen zu Neuerkrankungen von Magersucht (Anorexia nervosa) gebe es nicht, sagt Beate Herpertz-Dahlmann, die seit Jahrzehnten zu dem Thema forscht. „Wir wissen aber, dass die stationären Aufnahmen erheblich zugenommen haben.“ Bei Klinikeinweisungen von jungen Magersüchtigen zwischen 9 und 19 Jahren haben Forschende um die Aachener Medizinerin sehr beunruhigende Erkenntnisse gewonnen – besonders mit Blick auf Kinder.

In der Gruppe von 9 bis 14 Jahre – vor allem bei Mädchen – seien die Einweisungen 2023 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 immens gestiegen, nämlich um 42 Prozent. Bei Jugendlichen – 15 bis 19 Jahre – lag die Klinikaufnahme Magersüchtiger 2023 um 25 Prozent höher als 2019, schildert Herpertz-Dahlmann. Basis ihrer Studie waren rund 2,5 Millionen Krankenversicherten-Daten des Verbands der Ersatzkassen (VdEK).  

Eine Hochrechnung des VdEK für ganz Deutschland zeigt: Aufgrund von Essstörungen, aber auch von Depressionen und Angststörungen, wurden 2023 erheblich mehr junge psychiatrische und psychosomatische Patienten unter 18 Jahren stationär in Kliniken behandelt als 2019. 

Gut zu wissen: Magersucht für Minderjährige hochgefährlich

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Anorexia nervosa als eine der gefährlichsten psychischen Erkrankungen für Kinder und Jugendliche ein. 

Symptome können sein: 

  • niedriger Blutdruck, 
  • Bauchbeschwerden, 
  • bei Unterernährung dann Mangelerscheinungen, 
  • hormonelle Veränderungen, 
  • Osteoporose oder/und 
  • Haarausfall. 

Mitunter sind weitere Organe, einschließlich des Gehirns, betroffen. Oft lässt sich ambulant mit Arzt und Psychotherapie gegensteuern, in schweren Fällen ist eine Klinikbehandlung ein Muss. 

Warum leiden Kinder so stark unter der Pandemie?

„[Kinder] waren in der Pandemie noch stärker vereinsamt als die Jugendlichen“, sagt Herpertz-Dahlmann. Der Verzicht auf Verein, sportliche Aktivitäten, Lebensort Schule und Miteinander sei für sie vergleichsweise schlimmer gewesen.

Auch die Belastung und Probleme der Eltern daheim hätten Jüngere stärker gespürt als die unabhängigeren Teenager oder jungen Erwachsenen, was Essstörungen wohl ebenfalls begünstigt habe, sagt die frühere Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Aachen. 

Und: Der Social-Media-Konsum habe gerade bei Kindern zugenommen – und damit die Begegnung mit bedenklichen Schlankheits- oder Körperform-Idealen und Apps etwa zu Gewichtsabnahme oder exzessivem Bodybuilding. 

Adipositas bei Jugendlichen auf dem Vormarsch

Auch bei der Zahl der Adipositas-Fälle vermerkten die Krankenkassen deutliche Zuwächse: In Sachsen gab es im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit bei Jungen 54 Prozent mehr Fälle, bei den Mädchen dagegen ein Minus von 14 Prozent. 

Im Grundschulalter wäre dagegen die Zunahme der Fälle bei Mädchen auffällig, so die DAK-Gesundheit: Laut den Zahlen aus Schleswig-Holstein gab es in der Altersgruppe der Fünf- bis Neunjährigen 35 Prozent mehr Adipositasdiagnosen. Die Zunahme war bei Mädchen mit 42 Prozent deutlich stärker als bei Jungen mit 29 Prozent.

Auch heute sind noch etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen bundesweit zu dick, zusätzlich 5 Prozent adipös, einige von ihnen wegen einer „Binge-Eating-Störung“. Unkontrolliertes Heißhunger-Essen könne später zu Diabetes, Bluthochdruck oder Herzkrankheiten führen, weiß die Medizinerin aus Aachen. 

Zudem gibt es eine große Gruppe junger Menschen mit unspezifischen Essstörungen, die keine bestimmten Kriterien erfüllen, jedoch gesundheitsschädlich sind. 

Angststörungen bei Jugendlichen gehen nicht zurück

Bereits im Jahr 2022 meldete die DAK-Gesundheit in Sachsen, dass bei den 10- bis 14-jährigen Mädchen Angststörungen um fast ein Viertel im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit zugenommen hatten. Bei den gleichaltrigen Jungen war die Neuerkrankungsrate hingegen um ein Drittel zurückgegangen. 

Bei den Älteren nahmen Angststörungen bei beiden Geschlechtern zu, zeigten Zahlen der DAK-Gesundheit in Schleswig-Holstein: 2021 wären im Vergleich zu 2019 rund 59 Prozent mehr Jugendliche von 15 bis 17 Jahren mit Angststörungen und 25 Prozent mehr mit depressiven Episoden ärztlich versorgt worden. 

Aktuell sei davon auszugehen, dass fünf bis sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen Angststörungen haben, sagt Christine Freitag. „Das geht nicht so richtig zurück. Und die Zahlen liegen höher als vor der Pandemie.“ Bei den Jüngeren handele es sich auch um Trennungsangst oder übersteigerte Sorge, dass den Eltern etwas passieren könnte. 

Soziale Phobien seien ebenfalls häufiger geworden. „Wenn jemand eher ängstlich veranlagt ist, wegen Schulschließung und fehlender Sozialkontakte aber nicht lernt, mit anderen Kindern zu interagieren, bleibt die korrigierende Übung und Erfahrung aus, die es zur Angstbewältigung braucht. Dann kann sich die Angststörung chronifizieren.“

Depressionen sieht die Medizinerin in etwa wieder auf dem Niveau vor Corona. Dass phasenweise kaum Kontakte möglich waren, Sport und Bewegung fehlte, habe zu Lustlosigkeit, Antriebsschwäche, Traurigkeit, Schlafproblemen, Müdigkeit oder Unzufriedenheit geführt. 

Mit Öffnung der Schulen und Vereine seien die depressiven Symptome seit 2023 allmählich wieder auf dem Rückzug. Professorin Freitag rät zu viel sozialen Kontakten, Sport und wenig MedienkonsumQuelle: dpa / mia 

Zurück