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Aktualisierte Leitlinie: MS: Welche Ernährung wird empfohlen?

Tisch voller Lebensmitteln
MS-Patienten sollten sich ausgewogen und pflanzenbasiert ernähren. Dazu gehört auch der Konsum von Nüssen sowie Fisch und moderate Mengen an Milchprodukten. | Bild: monticellllo / AdobeStock

Erstmals berücksichtigt die „S2k-Leitlinie zur Diagnose und Therapie der MS“ das „Lebensstil-Management bei MS“ und damit Faktoren, über die Menschen mit Multipler Sklerose (MS) ihre Erkrankung selbst beeinflussen können: Sport und Ernährung. Was sind die Tipps?

Ernährungsempfehlungen der DGE gelten auch bei MS

MS-Patienten sollen sich an den 2024 aktualisierten lebensmittelbasierten Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) orientieren, um sich „ausgewogen“ und auf die „kardiovaskuläre Gesundheit präventiv wirksam“ zu ernähren. 

Das Konzept der DGE umfasst dabei elf Punkte:

  1. am besten Wasser trinken
  2. Obst und Gemüse – viel und bunt
  3. Hülsenfrüchte und Nüsse regelmäßig essen
  4. Vollkorn ist die beste Wahl
  5. pflanzliche Öle bevorzugen
  6. Milch und Milchprodukte jeden Tag
  7. Fisch jede Woche
  8. Fleisch und Wurst – weniger ist mehr
  9. Süßes, Salziges und Fettiges – besser stehen lassen
  10. Mahlzeiten genießen
  11. in Bewegung bleiben und auf das Gewicht achten

MS: Kardiovaskuläre Risiken und Übergewicht vermeiden

Kardiovaskuläre Risikofaktoren (z. B. Rauchen, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen) sowie kardiovaskuläre Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, koronare Herzkrankheit) sind mit einer schlechteren Prognose – wie einer rascheren Behinderungsprogression, Schüben, vermehrten Läsionen und beschleunigter Hirn-Atrophie – assoziiert. 

Auch starkes Übergewicht (Adipositas, ab BMI ≥ 30 kg/m2) steht im Zusammenhang mit einer höheren Krankheitsaktivität. Übergewicht und Adipositas, vor allem im Jugendalter, erhöhen zudem das Risiko, an einer MS zu erkranken, und scheinen auch die Konversion eines klinisch isolierten Syndroms hin zur gesicherten MS zu befeuern.

Ernährung bei MS: Pflanzenbasiert, Fisch und moderat Milchprodukte

Gleichzeitig gibt es Daten, wie eine „gesunde Ernährung“ – pflanzenbetont mit Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Vollkorn und pflanzlichen Ölen, Nüssen sowie Fisch und moderaten Mengen an Milchprodukten – sich positiv und signifikant auf das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Mortalität und neurodegenerative Erkrankungen auswirkt. 

„Vor diesem Hintergrund scheint es besonders sinnvoll zu sein, MS-Betroffene zu einer ausgewogenen, auf die kardiovaskuläre Gesundheit positiv wirksamen Ernährungsweise zu raten und sie bei deren Umsetzung zu unterstützen“, schreiben deswegen die Autoren der erst jüngst aktualisierten (2024) MS-Leitlinie. 

Auch sollten Menschen mit MS wissen, dass Übergewicht und Adipositas sich negativ auf ihre Erkrankung auswirken und wie sie Übergewicht behandeln können.

Swank Diet bei MS – sinnvoll oder nicht?

Und wie sieht es mit speziellen „MS-Diäten“ aus? Helfen intermittierendes Fasten, eine ketogene Ernährung, eine Swank oder Wahls' Diet Menschen mit MS?

Bei der Swank Diet sollen MS-Patienten maximal 15 g gesättigte Fettsäuren pro Tag zu sich nehmen, dafür einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren aus Pflanzenölen und Fisch). Zudem sind viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, fettarme Milchprodukte und Nüsse (moderat) sowie 1 g Vitamin C täglich (als Supplement) erlaubt. Hingegen sollten die Patienten auf rotes Fleisch für ein Jahr komplett verzichten und danach den Verzehr auf 85 g pro Woche beschränken.

Roy Swank konnte 1990 zeigen, dass bei MS-Patienten, die weniger als 20 g gesättigte Fettsäuren täglich konsumierten, die Behinderung weniger zunahm und sie länger lebten als Patienten mit einem höheren Konsum gesättigter Fettsäuren. Allerdings fehlte eine Kontrollgruppe und die Ergebnisse basierten auf den Berichten der Patienten, was die Aussagekraft der Studie schwächt. Große randomisiere kontrollierte Studien, die die Swank-Diät bestätigen, fehlen bislang.

Keine Empfehlung für spezielle MS-Diäten

Bei der Diät nach Wahls sollen Patienten neun Portionen Obst und Gemüse täglich essen (drei Portionen grünblättriges Gemüse, wie Spinat, Grünkohl; drei Portionen Schwefel-haltiges, wie Zwiebel, Knoblauch; drei Portionen Buntes und Beeren). Ebenso sollten hochwertige Fette aus Avocado, Oliven, Nüssen und Fisch in den täglichen Speiseplan integriert werden. 

Fleisch aus Weidehaltung ist erlaubt, während Eier, glutenhaltiges Getreide, Milchprodukte und industriell verarbeitete Lebensmittel sowie Zucker gemieden werden sollen. Kleinere Studien zeigten positive Effekte auf die Lebensqualität und Fatigue, größere und randomisiert-kontrollierte Studien fehlen.

Auch die Leitlinien-Autoren empfehlen derzeit keine dieser speziellen Ernährungsformen, da „keine Studien ausreichend guter Qualität“ vorlägen, die einen „positiven Effekt zweifelsfrei belegen könnten“.

Ist eine salzarme Kost empfehlenswert bei MS?

Ob eine salzarme Kost sich positiv auf das Krankheitsgeschehen auswirkt, dazu sind die Daten widersprüchlich. Zurückhaltend äußern sich die Leitlinienautoren auch zu Supplementationsstudien mit antioxidativen Substanzen, die keine konsistenten klinischen Effekte zeigten. 

Dies gelte auch für Nahrungsinhaltsstoffe, die den zellulären Energiehaushalt und die neuronale Regeneration unterstützen sollen, die Modulation der Fettsäurezufuhr durch Supplemente und die Rolle von kurzkettigen Fettsäuren wie Propionsäure, für die randomisierte klinische Studien noch ausstehen. Propionsäure konnte in einer Studie die Schubrate bei Menschen mit schubförmiger MS verringern.

Sport bei MS: Kraft und Ausdauer sind wichtig

Unter das „Lebensstil-Management bei MS“ fallen auch die körperliche Aktivität und Sport. Wie bereits in der früheren Version der Leitlinie raten die Autoren zu Kraft- und Ausdauertraining, wobei sie nun deutlichere Empfehlungen aussprechen: „Bis EDSS 7,0 sollen nach WHO-Empfehlung minimal 75 Minuten intensives oder 150 Minuten moderates Ausdauertraining in der Woche erfolgen“, raten die Leitlinienautoren.

Zur Erinnerung: Was ist der EDSS?

Der EDSS (Expanded Disability Status Scale) bewertet den Schweregrad der Behinderung bei Patienten mit Multipler Sklerose. Die Skala reicht von null bis zehn (in 0,5er-Schritten) und bewertet Störungen in unterschiedlichen Funktionellen Systemen (FS) des Körpers:

  • Pyramidenbahn, z. B. Lähmungen
  • Kleinhirn, z. B. Störungen des Bewegungsablaufs, Tremor
  • Hirnstamm, z. B. Sprach- und/oder Schluckstörungen
  • Sensorium, z. B. verminderter Berührungssinn
  • Blasen- und Mastdarmfunktion, z. B. Harn- und/oder Stuhlinkontinenz
  • Sehfunktion, z. B. eingeschränktes Gesichtsfeld
  • Zerebrale Funktionen, z. B. Wesensveränderung, Demenz

Je nach Anzahl der betroffenen Funktionsbereiche und dem Ausmaß der Einschränkung erfolgt die Abstufung von EDSS null (keine Symptome, kein Funktionsbereich betroffen) bis EDSS zehn (Tod durch MS).

Damit gelten für Menschen mit MS die grundsätzlichen Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die zu 75–150 Minuten pro Woche intensivem Training (z. B. Joggen, Schwimmen) oder 150 bis 300 Minuten moderater körperlicher Aktivität (z. B. Walken, Wandern) rät. 

Menschen mit MS wiesen verglichen mit nicht erkrankten Menschen – unabhängig vom Grad der Einschränkung – ein reduziertes körperliches Aktivitätsniveau sowie eine eingeschränkte Fitness auf. Regelmäßiges Gehen alleine könne bereits Mobilitätstests verbessern, erklären die Leitlinienautoren. 

Bei MS: Welche Empfehlungen gemäß EDSS?

Zudem gehen die Autoren explizit auf ein 2020 vorgestelltes Konsensus-Papier ein, das an den Beeinträchtigungsgrad (EDSS) angepasste Empfehlungen zur Lebensstilaktivität gibt (MS-Trainingsempfehlungen nach Kalb 2020)

EDSS 0–6,5:

  • Aerobes Training: 2–3x/Woche à 10–30 Minuten bei moderater Intensität (40–60 % der maximalen Sauerstoffaufnahmekapazität bzw. maximalen Herzfrequenz) kombiniert mit 2–3x/Woche Krafttraining (5–10 Übungen mit je 8–15 Wiederholungen) sowie Beweglichkeits- und Balancetraining.
  • Intensives aerobes Training: bis zu 5x/Woche à 40 Minuten mit 80 % der maximalen Sauerstoffaufnahmekapazität bzw. maximalen Herzfrequenz, zusätzlich Hochintensitäts-Intervalltraining 1x/Woche mit 5 Intervallen von 30 bis 90 Sekunden mit 90–100 % der maximalen Herzfrequenz. Angestrebt werden sollten zusätzlich 150 Minuten in der Woche aktiver Lebensstil, bspw. mindestens 7.500 Schritte/Tag.

Ab EDSS 7,0:

  • Tägliches Training bis zu 20 Minuten, evtl. unterteilt in mehrere Einheiten oder auch ein Intervalltraining mit 6 x 3 Minuten Belastung. Zusätzlich wird Atemtraining und Beweglichkeitstraining empfohlen.

Wichtig ist den Leitlinienautoren zudem, dass das Ausmaß der körperlichen Aktivität immer wieder abgefragt wird, „um hier motivational wirksam werden zu können“. Sie wünschen sich unterstützende Programme, die einen körperlich aktiven Lebensstil für MS-Patienten erleichtern, und zwar sowohl dessen Start als auch die Adhärenz. Quellen:
- S2k-Leitlinie zur Diagnose und Therapie der MS, NMOSD und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen
- Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen der DGE (2024)
- Tettey P, Simpson S, Taylor B, Ponsonby AL, Lucas RM, Dwyer T, Kostner K; AUSLONG investigators group; van der Mei IA. An adverse lipid profile and increased levels of adiposity significantly predict clinical course after a first demyelinating event. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2017 May;88(5):395-401. doi: 10.1136/jnnp-2016-315037. Epub 2017 Mar 20. PMID: 28320766.
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