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Ziresovir hilft Kindern mit RSV

Kleinkind liegt mit Inhalationsmaske im Krankenhausbett
In China wurde ein antivirales Mittel gegen RSV erfolgreich getestet. | Bild: Apichit / AdobeStock

Eine RSV-Impfung für Schwangere und eine passive Immunisierung für alle Säuglinge im ersten Lebensjahr: Mit der Zulassung des aktiven RSV-Impfstoffs Abrysvo® (August 2023) und des Antikörpers Nirsevimab in Beyfortus® (Oktober 2022) hat sich in den letzten beiden Jahren viel verbessert, wenn es um den Schutz von Babys vor schweren Erkrankungen mit dem respiratorischen Synzytialvirus (RSV)  geht.  

STIKO-Empfehlung nur für Nirsevimab

Den Impfstoff Abrysvo® erhalten Schwangere zwischen den Schwangerschaftswochen 24 und 36, um ihren Säugling in den ersten sechs Lebensmonaten passiv durch mütterliche Antikörper vor RSV-Erkrankungen zu schützen. Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) fehlt derzeit noch.

Anders bei Nirsevimab, hier rät die STIKO am Robert Koch-Institut (RKI), dass alle Babys diesen Antikörper in ihrem ersten Lebensjahr erhalten sollten. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) rät in ihrer Leitlinie manchen Kindern zusätzlich zu einer RSV-Prophylaxe vor ihrem zweiten RSV-Winter.

Ziresovir: Arzneimittel zur Akutbehandlung bei RSV

Damit ist die Pipeline bei RSV noch nicht erschöpft. Eine im „The New England Journal of Medicine“ veröffentlichte Phase-3-Studie („NEJM“: „Ziresovir in Hospitalized Infants with Respiratory Syncytial Virus Infection“)  (doppelblind, Placebo kontrolliert) präsentiert Ziresovir. 

Ziresovir ist ein Fusionsproteininhibitor, der verhindert, dass RSV in die menschlichen Atemwegszellen gelangt und diese infiziert. Anders als der Impfstoff Abrysvo® und die passive Immunisierung mit Nirsevimab, die prophylaktisch wirken, soll Ziresovir damit therapeutisch genutzt werden und bereits an RSV erkrankten Kindern helfen. 

Bislang gibt es weltweit keine speziellen antiviralen Arzneimittel gegen RSV-Erkrankungen.

Gut zu wissen: So erfolgt eine RSV-Infektion

Das Adhäsionsprotein (G-Protein) und das Fusionsprotein (F-Protein) von RSV spielen eine wichtige Rolle bei RSV-Infektionen. Beide sind in die Lipidhülle von RSV eingelagert. 

Über das G-Protein heftet sich das RSV an seine Wirtszelle (zilientragende Epithelzellen der Atemwege). Das F-Protein sorgt im Anschluss dafür, dass das RSV in die menschlichen Atemwegszellen eindringt, diese infiziert und die Zellen miteinander verschmelzen (Synzytienbildung).

Studie testete orale antivirale RSV-Behandlung mit Ziresovir

Die Studie schloss ursprünglich 311 Kinder im Alter von einem Monat bis zwei Jahren ein, die aufgrund einer RSV-Infektion in einem Kinderkrankenhaus in China behandelt wurden. Im Median vier Tage nach Symptombeginn erhielt je ein Drittel der Kinder oral 10 mg Ziresovir oder 40 mg Ziresovir (abhängig vom Körpergewicht), und ein Drittel der Kinder bekam Placebo, jeweils zweimal pro Tag und über fünf Tage. 

Die Studie verlief in zwei Abschnitten: Zunächst erhielten lediglich 54 Kinder Ziresovir oder Placebo, um die Sicherheit des Arzneimittels zu bewerten. Nachdem die Studie keine Sicherheitssignale zeigte, wurden 256 weitere Kinder randomisiert.

Die Studienautoren interessierten sich vor allem dafür, wie die jeweilige Behandlung die Schwere der Bronchiolitis – Entzündung der kleinen Atemwege (Bronchiolen) – beeinflusst (primärer Studienendpunkt). 

Bewertet haben sie dies 48 Stunden nach Behandlungsbeginn mithilfe des Wang-Bronchiolitis-Score (klinisch nicht validiert). Um an der Studie teilnehmen zu können, mussten die Kinder mindestens einen Wang-Bronchiolitis-Score von 5 haben.

Gut zu wissen: Was ist der Wang-Bronchiolitis-Score?

Der Score umfasst vier klinische Parameter und insgesamt 12 Bewertungspunkte:

  • Atemfrequenz
  • Atemgeräusche (wie Keuchen)  
  • Einziehen des Brustkorbs
  • Allgemeinzustand, Zyanose (Sauerstoffmangel-bedingte Blaufärbung der Haut)

Jedes klinische Zeichen kann hinsichtlich der Schwere mit bis zu drei Punkten bewertet werden (von 0 bis 3): je schwerer die Erkrankung, desto höher der Score.

Unter Ziresovir: Nach drei Behandlungstagen erste Verbesserungen

Am dritten Behandlungstag hatte sich der klinische Zustand der mit Ziresovir behandelten Kinder stärker verbessert als der der Kinder mit Placebobehandlung: Der Wang-Bronchiolitis-Score verringerte sich unter Ziresovir um 3,4 Punkte, unter Placebo um 2,7 Punkte (und war damit 30 Prozent besser in der Ziresovir- als in der Placebogruppe). 

Der Unterschied war statistisch signifikant, also nicht allein durch Zufall erklärbar. Auch reduzierte Ziresovir die Viruslast in der Nase bei den erkrankten Kindern nach vier Tagen mehr, als Placebo dies schaffte (sekundärer Endpunkt).

Durchfall häufigste Nebenwirkung bei Ziresovir

Das forschende Pharmaunternehmen hinter Ziresovir, Ark Biopharmaceutical Co., Ltd. mit Hauptsitz in Shanghai (China), das die Studie finanzierte, beschreibt die Verträglichkeit seines neuen, antiviralen Wirkstoffs mit „exzellent“. 

Die Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen betrug für Ziresovir laut Studie 16 Prozent, für Placebo 13 Prozent. Am häufigsten kam es zu Durchfall (4 Prozent vs. 2 Prozent), erhöhten Leberenzymwerten (je 3 Prozent) und Hautausschlag (2 Prozent vs. 1 Prozent).  

Interessant ist auch, dass die Studienautoren bei 15 Kindern (9 Prozent) nach Therapieende mit Ziresovir mutierte RS-Viren gefunden haben, die mit einer Resistenz gegen Ziresovir assoziiert waren. 

Auf den Behandlungserfolg hätten sich die Resistenzmutationen nicht ausgewirkt, möglicherweise, da sie erst später im Behandlungszyklus aufgetreten seien, erklären die Studienautoren. 

In einer früheren Suite (Phase 2) gab es solche Mutationen lediglich bei der höheren Dosierung von Ziresovir, was die Wissenschaftler vermuten lässt, dass die Resistenzbildung dosisabhängig sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit einer Resistenzbildung ist ihnen zufolge ähnlich hoch, wie sie für die antiviralen Grippemittel (Neuraminidasehemmer, wie Oseltamivir in Tamiflu® oder Zanamivir in Relenza®) beschrieben ist.

Frühe Ziresovir-Behandlung könnte Hospitalisierungen verhindern

In einem Editorial zur Studie(„NEJM“: „Editorial – Creeping toward Effective Antiviral Agents for RSV Infection“)  gibt Edward E. Walsh, M.D. von der University Rochester (US-Staat New York)zu bedenken, dass Säuglinge mit RSV-Infektionen in den Vereinigten Staaten durchschnittlich zwei bis drei Tage im Krankenhaus bleiben. 

Es müsse also geklärt werden, ob die in der Studie beobachtete klinische Verbesserung auch klinische Vorteile mit sich brächte: eine frühere Entlassung, kürzerer Sauerstoffbedarf oder kürzerer Aufenthalt auf der Kinderintensivstation. 

Auch ist das richtige Timing bei antiviralen Arzneimitteln wichtig: In der Studie hätten die Kinder im Median vier Tage nach Symptombeginn Ziresovir (oder Placebo) erhalten – „eine Zeit, in der die Viruslast bereits abnimmt“, erklärt Walsh. 

Zudem gebe es Daten, dass die Schwere einer RSV-Erkrankung weniger mit der Viruslast einhergehe, sondern mehr mit der „frühen, virusinduzierten Entzündungsreaktion, die mit einer verzögerten Interferonreaktion“ einhergeht (gemessen im Nasengewebe). 

Antivirale Grippearzneimittel wirkten am besten, wenn sie innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn angewendet würden – und dasselbe könnte auch für RSV gelten, überlegt der Wissenschaftler weiter. 

Unter dieser Voraussetzung könnte jedoch eine frühe Ziresovir-Behandlung möglicherweise die Schwere der Erkrankung besser „dämpfen“, sagt Walsh. Eine Studie habe gezeigt, dass etwa die Hälfte der hospitalisierten Säuglinge in den 24 Stunden vor der Einlieferung bereits beim Kinderarzt gewesen sei – ein früher ambulanter Einsatz von Ziresovir direkt beim Erstkontakt beim Kinderarzt könnte folglich sinnvoll sein. Dadurch könnten vielleicht Hospitalisierungen verhindert oder reduziert werden.

ArkBio ist optimistisch und will in China und auch weltweit die Zulassung von Ziresovir erreichen. https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2313551
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMe2410371
https://www.prnewswire.com/apac/news-releases/arkbio-announces-publication-of-phase-3-clinical-trial-results-of-ziresovir-for-the-treatment-of-rsv-infection-in-the-new-england-journal-of-medicine-302259902.html