Hype: Methylenblau als „Gehirndoping“?
Auf TikTok und Co. präsentieren sich momentan zahlreiche Nutzer mit einer blauen Zunge. Die Färbung beruht auf einer Einnahme von Methylenblau und soll zu einer Art „Gehirndoping“ führen. Passend dazu sind auch zahlreiche Rezepte wie „Methylenblau Orangensaft“ oder „Zitronencreme mit Methylenblau“ zu finden. Doch ist diese Einnahme von Methylenblau sinnvoll oder gar gefährlich?
Anwendung von Methylenblau als Farbstoff
Methylenblau wurde erstmals Ende des 19. Jahrhunderts synthetisiert. Der Feststoff liegt in Form dunkelgrüner Kristalle vor, die in Wasser gelöst zu einer tiefblauen Lösung führen.
Die chemische Substanz ist auch unter dem Namen Methylthioniniumchlorid bekannt.
Gut zu wissen: Chemischer Hintergrund zu Methylenblau
Methylenblau ist ein Farbstoff aus der Phenothiazin-Gruppe, dessen Grundgerüst das tricyclische 3,7-Diaminophenothiazin ist.
Durch eine ausgedehnte Beweglichkeit der Elektronen im aromatischen Ringsystem kann Licht im sichtbaren Bereich absorbiert werden und die Substanz besitzt in Wasser gelöst eine intensive blaue Farbe.
Durch Reduktion, also Aufnahme von Elektronen, kann Methylenblau auch in eine farblose Leuko-Form umgewandelt werden.
Methylenblau findet eine breite Verwendung als Farbstoff in der Mikroskopie: Durch Zugabe einer alkoholischen Methylenblau-Lösung erscheinen bestimmte Strukturen blau. Vor allem die Zellkerne werden stark angefärbt, das Zytoplasma dagegen nur leicht.
Dadurch können unter anderem die Formen von Körperzellen und möglicherweise vorhandene Mikroorganismen unter dem Mikroskop beurteilt werden.
Methylenblau auch als Antimalariamittel
Wie zahlreiche andere Farbstoffe auch wurde Methylenblau auf seine pharmakologischen Eigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten zur Therapie von Erkrankungen getestet.
Vor über 100 Jahren wurde die Substanz bereits zur Behandlung der Malaria eingesetzt, bis Methylenblau dann von neueren Arzneistoffen wie Chloroquin verdrängt wurde. Erst als gegen zahlreiche verfügbare Präparate Resistenzen auftraten, rückte auch Methylenblau wieder in den Fokus der Malariatherapie.
Auch als Mittel gegen Alzheimer war Methylenblau schon im Gespräch, bisher konnte eine Wirkung aber nicht durch klinische Studien nachgewiesen werden.
Methylenblau auch zur Therapie bei Methämoglobinämie
Als Arzneimittel zur intravenösen Applikation besitzt Methylenblau eine Zulassung zur Therapie einer Methämoglobinämie. Das entsprechende Fertigarzneimittel ist unter dem Handelsnamen Methylthioniniumchlorid Proveblue® 5 mg/ml Injektionslösung erhältlich.
Eine Methämoglobinämie kann durch eine Vergiftung mit aromatischen Nitroverbindungen, aber auch durch Nitrite oder Nitrate ausgelöst werden. Dabei werden Fe2+-Kationen des Hämoglobins zu Fe3+ oxidiert. Das entstandene Methämoglobin kann den Sauerstoff nicht mehr transportierten, da dreiwertiges Eisen Sauerstoff nicht binden kann. Mit steigendem Methämoglobinanteil im Blut nimmt die Sauerstoffversorgung im Gewebe ab und es kann zu einer inneren Erstickung kommen.
Zur Therapie einer solchen Vergiftung kann Methylenblau intravenös als Antidot verabreicht werden. Der Farbstoff beschleunigt dabei die körpereigene enzymatische Reduktion von Methämoglobin wieder zu Hämoglobin. Die übliche Dosis bei Erwachsenen beträgt 1 bis 2 mg pro kg Körpergewicht, verabreicht über einen Zeitraum von fünf Minuten.
Monographie zu Methylenblau im Arzneibuch
Methylenblau ist im Europäischen Arzneibuch unter seiner INN-Bezeichnung Methylthioniniumchlorid zu finden. Unter der Prüfung auf Reinheit sind dort auch die zulässigen Maximalgehalte an Aluminium und Schwermetallen wie Blei, Cadmium, Chrom und Quecksilber zu finden.
Zur Synthese von Methylenblau, das im Fertigarzneimittel verwendet wird, kommt dabei ein Herstellungsprozess zum Einsatz, der zu einer Substanz führt, die fast frei von Metallrückständen ist. In zahlreichen Onlineshops erhältliches Methylenblau ist zwar preisgünstig zu erwerben, auf eine pharmazeutische Reinheit der Substanz kann man sich aber nicht verlassen.
Führt Methylenblau nun zu „Gehirndoping“?
Menschen, die sich in den sozialen Netzwerken mit blauer Zunge zeigen, schwärmen von einer erhöhten Konzentrationsfähigkeit, einem verbessertem Gedächtnis und gesteigertem Antrieb nach der Einnahme von Methylenblau.
Die Substanz kann aufgrund ihrer lipophilen Eigenschaft die Blut-Hirn-Schranke durchdringen, sich in neuronalem Gewebe anreichern und ist dort vor allem in den Mitochondrien zu finden. Diese Zellorganellen gelten als „Kraftwerke der Zelle“ und sorgen für eine ausreichende Bereitstellung von Adenosintriphosphat (ATP) für den Körper.
Methylenblau kann nun in den Mitochondrien die Entstehung reaktiver Sauerstoffverbindungen unterdrücken und wird dabei zum farblosen Leukomethylenblau reduziert. Der Farbstoff hat damit durchaus das Potenzial, Schäden in den Mitochondrien, die durch oxidativen Stress ausgelöst werden, zu reduzieren.
Bei zahlreichen altersbedingten Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson spielt diese Schädigung der Mitochondrien eine Rolle. Methylenblau übt damit als Antioxidans durchaus eine neuroprotektive Wirkung aus und kann die Energieversorgung des Körpers verbessern.
Einnahme von Methylenblau harmlos oder gefährlich?
Auf den ersten Blick scheint die Einnahme von Methylenblau also harmlos zu sein, möglicherweise sogar von positiven Effekten begleitet. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Zunächst spricht die unklare Qualität der zu erwerbenden Produkte gegen eine Einnahme.
Bei der Aufnahme von zu viel Methylenblau – meist ab etwa 2 mg Substanz pro Kilogramm Körpergewicht – können Beschwerden wie
- Übelkeit,
- Erbrechen,
- Schwindel und
- Kopfschmerzen
auftreten. Außerdem kann es zu einer Blaufärbung der Haut und des Urins kommen.
Vorsicht ist auch bei der gleichzeitigen Einnahme von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) wie Citalopram und Fluoxetin geboten. Diese häufig verschriebene Arzneistoffgruppe gehört zu den Antidepressiva und steigert durch Wiederaufnahmehemmung die Serotoninkonzentration im Zentralnervensystem (ZNS).
Da Methylenblau das Enzym Monoaminooxidase hemmt, das für den Abbau von Serotonin zuständig ist, kann die Konzentration von Serotonin ansteigen und sich ein teilweise lebensgefährliches Serotoninsyndrom entwickeln.
Toxikologische Untersuchungen an Ratten haben zudem gezeigt, dass die Tiere nach lebenslanger Methylenblau-Behandlung häufiger Tumoren an der Bauchspeicheldrüse zeigen. Ob diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen werden können, ist zwar damit nicht klar, trotzdem sollte von einer längerfristigen Einnahme von Methylenblau abgeraten werden.
Abgabe von Methylenblau in der Apotheke: Was ist zu beachten?
Ein Kunde möchte nun eine Methylenblau-Lösung in der Apotheke kaufen, wie sollte sich das Apothekenteam verhalten?
Für Chemikalien gibt es bekanntlich keinen Kontrahierungszwang, das heißt, es liegt im Ermessen der jeweiligen Apotheke, ob eine chemische Substanz dem Kunden verkauft wird oder nicht. Gesetzlich vorgeschriebene Abgabeverbote sind selbstverständlich einzuhalten.
Wie bei anderen Chemikalien auch sollte der Kunde zunächst nach dem Verwendungszweck gefragt werden. In diesem Zusammenhang sollte über mögliche Gefahren umfassend informiert werden. Bestehen hinsichtlich der Anwendung Sicherheitsbedenken, so sollte die Abgabe verweigert werden.
Wird Methylenblau jedoch verkauft, sollten alle besprochenen Punkte schriftlich festgehalten werden. Dazu eignet sich eine formlose, vom Kunden unterschriebene Empfangsbestätigung, die Informationen zur Bezeichnung und Menge der Substanz, dem Verwendungszweck sowie das Datum und den Namen der abgebenden Person enthält. Quellen:
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/09/11/was-hinter-dem-social-media-trend-um-methylenblau-steckt
- Fachinformation Methylthioniniumchlorid Proveblue 5 mg/ml Injektionslösung
- https://edoc.ub.uni-muenchen.de/29663/1/Bekka_Elias.pdf
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2016/daz-28-2016/methylenblau-verbessert-gedaechtnis
- https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffgruppen/ssri
Gut zu wissen: ABDA rät von einer Abgabe von Methylenblau klar ab
In einem aktuellen Hinweis hat die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände e.V. (ABDA) eindrücklich vor einer Abgabe von Methylenblau in der Apotheke abgeraten.
Auf Facebook wird noch einmal deutlich gemacht, dass Chemikalien nicht zur Einnahme geeignet sind, da die dabei auftretenden Risiken unkalkulierbar sind. Die meisten Hersteller der Substanz kennzeichnen die entsprechende Verpackung daher auch mit dem Gefahrenhinweis H302 „Gesundheitsschädlich beim Verschlucken“.