Gewichtsverlust: Semaglutid oder Tirzepatid?
Mit Arzneimitteln zum Wunschgewicht – das ist offenbar für viele Menschen schon lange ein heimlich gehegter Traum. Seit in den sozialen Medien verbreitet wurde, dass sich mit dem Wirkstoff Semaglutid im Diabetes-Arzneimittel Ozempic® auch ganz hervorragend abnehmen lässt, stieg die Nachfrage danach so stark an, dass Lieferengpässe die Therapie des Typ-2-Diabetes erschweren.
Auch die Markteinführung von Semaglutid unter dem Handelsnamen Wegovy® – speziell für die Indikation der Gewichtsregulierung – konnte die Engpässe bei Ozempic® bislang noch nicht beheben.
Als wäre all die daraus folgende mediale Aufmerksamkeit noch nicht genug, wurden zuletzt immer mehr Nachrichten über (Rezept-)Fälschungen von Ozempic® bekannt. Das verdeutlicht erneut, wie hoch die Nachfrage nach dem Produkt zu sein scheint.
Bereits im November 2022 hatte die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) vor dem Off-Label-Einsatz von Semaglutid in Ozempic® zum Abnehmen gewarnt. Der Grund: Eine unkontrollierte Anwendung könnte zu Nebenwirkungen und noch unbekannten Langzeiteffekten führen. Allerdings erklärte die DGE damals auch, dass Semaglutid „auch bei Menschen ohne Diabetes zu einer Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent“ führt.
Was ist besser: Tirzepatid oder Semaglutid?
Die amerikanische Fachgesellschaft der Gastroenterologen (American Gastroenterological Association, AGA) hat Ende 2022 eine Praxisleitlinie zur medikamentösen Behandlung der Fettleibigkeit bei Erwachsenen veröffentlicht. Darin werden Arzneimittel wie Semaglutid bereits empfohlen, wenn Änderungen des Lebensstils nicht ausreichen.
Zudem wird dort auch kurz auf den neueren Wirkstoff Tirzepatid eingegangen. Dieser ist in der EU bereits – zur Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes – unter dem Handelsnamen Mounjaro® zugelassen. Im Dezember 2023 erfolgte dann die Zulassungserweiterung zum Gewichtsmanagement – neben anderen Maßnahmen – bei Adipositas.
Zur Erinnerung: Was ist Tirzepatid?
Tirzepatid (Mounjaro®) ist ein GIP-(glucoseabhängiges insulinotropes Peptid-) und GLP-1-(Glucagon-like-Peptide-1-)Rezeptor-Agonist und damit ein Vertreter einer neuen Substanzklasse. Er wirkt sowohl am GIP-Rezeptor als auch am GLP-1-Rezeptor als Agonist. Durch dieses duale Wirkprinzip wirkt er stärker auf Blutzuckerspiegel und Körpergewicht.
Mounjaro® wird subkutan, also ins Unterhautfettgewebe, appliziert. /da
Bereits 2022 hieß es in der AGA-Leitlinie, dass die Gewichtsabnahme in Studien bei Typ-2-Diabetes mellitus nach 40 Behandlungswochen durchschnittlich größer war als unter Semaglutid-Therapie.
Vergleichsstudie mit Tirzepatid und Semaglutid
Läuft das neuere Tirzepatid dem medial besonders präsenten Semaglutid also womöglich bald den Rang ab? Eine aktuelle Kohortenstudie aus dem Journal „JAMA Internal Medicine“ spricht dafür. Darin wurden Tirzepatid und Semaglutid erstmals direkt in der Behandlung übergewichtiger und adipöser Erwachsener hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, aber auch ihrer Nebenwirkungen miteinander verglichen.
Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass Tirzepatid bei übergewichtigen und adipösen Erwachsenen auch außerhalb des Settings randomisierter klinischer Studien zu einem signifikant größeren Gewichtsverlust führt als Semaglutid – obwohl die meisten Erwachsenen unter beiden Arzneimitteln in der Studie nach einem Jahr mindestens 5 % an Gewicht verloren hätten.
Genauer gesagt: Von den ausgewerteten Probanden erzielten innerhalb eines Jahres
- 81,8 % (95 % KI, 79,8 %–83,7 %) unter Tirzepatid einen Gewichtsverlust von mindestens 5 %, unter Semaglutid waren es 66,5 % (95 % KI, 64,3 %–68,7 %).
- Bei mehr als 10 % Gewichtsverlust standen 62,1 % (95 % KI, 59,7 %–64,3 %) 37,1 % (95 % KI, 34,6 %–39,4 %) gegenüber und
- bei mehr als 15 % Gewichtsabnahme 42,3 % (95 % KI, 39,8 %–44,6 %) 18,1 % (95 % KI, 16,1 %–20,0 %).
Weitere Vergleichsstudie in Arbeit
In der Studie wurden Daten aus elektronischen Gesundheitsakten in den USA analysiert, von Patienten, die zwischen Mai 2022 und September 2023 Semaglutid oder Tirzepatid erhalten hatten. Die Indikation der genutzten Präparate war dabei Typ-2-Diabetes. Von den 18.386 in der Studie ausgewerteten Patienten hatten 52 % Typ-2-Diabetes (absolut: 9.563). Die Patienten mit Diabetes Typ 2 zeigten einen geringeren Gewichtsverlust als jene ohne Diabetes, was bisherigen Studienergebnissen entsprechen soll. Die Hintergründe sind noch unklar.
Wie es in der Diskussion der Studie heißt, ist aktuell eine weitere Studie in Arbeit, die Tirzepatid und Semaglutid gezielt bei übergewichtigen Patienten ohne Typ-2-Diabetes vergleicht(SURMOUNT-5, NCT05822830) . Mit den Ergebnissen sei jedoch erst Ende des Jahres zu rechnen.
Mehrheit der Patienten brach Therapie ab
Im Schnitt wogen die Probanden zu Beginn 110 kg und waren 52 Jahre alt. 70,5 % der Patienten waren Frauen (absolut: 12.970), die meisten waren mit 77,1 % weiß, 11,8 % schwarz und 1,9 % waren asiatischer Herkunft. 22 % der Patienten litten innerhalb der zwei Jahre vor Studienbeginn an schweren depressiven Störungen.
55,9 % der Tirzepatid-Patienten brachen die Therapie ab, unter Semaglutid waren es 52,5 %. Man müsse in Zukunft die Gründe dafür – inklusive Engpässe, Nebenwirkungen, Kosten – untersuchen, meinen die Studienautoren.
Gastrointestinale Nebenwirkungen sollen währenddessen vergleichbar sein. Allerdings betonen die Studienautoren auch, dass künftige Studien noch die Unterschiede in anderen wichtigen Endpunkten untersuchen müssen – beispielsweise der Verringerung schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse.
Meta-Analyse aus 22 Studien: Tirzepatid im Vorteil
Auch eine Meta-Analyse aus 22 Studien zeigt, dass Tirzepatid sowohl bei der Blutzuckerkontrolle als auch der Gewichtsabnahme bei Menschen mit Typ-2-Diabetes wirksamer ist als Semaglutid.
Für diese Aussage wird auf Daten von 18.472 Patienten zurückgegriffen. Allerdings sind nur zwei der eingeschlossenen Studien randomisierte kontrollierte Studien, die Tirzepatid und Semaglutid direkt miteinander vergleichen. Ansonsten handelt es sich also auch in der Meta-Analyse nur um indirekte Vergleiche.
Allerdings gibt es (noch) keine Publikation der Ergebnisse, weil es sich lediglich um einen mündlichen Vortrag auf dem Treffen der „European Association for the Study of Diabetes (EASD)“ Anfang Oktober 2023 handelte.
Bessere Wirksamkeit, aber auch Nebenwirkungen
Dennoch kommt die Meta-Analyse laut Pressemitteilung unter anderem zu dem Schluss, dass jede der drei untersuchten Tirzepatid-Dosen (5, 10 oder 15 mg pro Woche) den HbA1c-Wert stärker senkt als die jeweilige niedrige, mittlere oder hohe Semaglutid-Dosis (0,5; 1,0 oder 2,0 mg pro Woche).
Zur Erinnerung: Was ist der HbA1c?
HbA1c steht für Hämoglobin A1c und beschreibt den Teil des Hämoglobins (Blutfarbstoff der roten Blutkörperchen), der Zucker binden kann. Wie viel Glucose sich an Hämoglobin bindet, hängt von der Höhe des Blutzuckerspiegels ab.
Diagnostisch ist der HbA1c-Wert als Langzeitblutzucker wertvoll, da er Aufschlüsse über die Blutzuckerspiegel der letzten acht bis zwölf Wochen gibt. Dies entspricht der Lebensdauer der roten Blutkörperchen (Erythrozyten).
Der HbA1c wird in Prozent angegeben und beschreibt den Anteil am Gesamthämoglobin. Bei Gesunden liegt der HbA1c-Wert bei 5 Prozent, die Grenze für einen Diabetes zieht man bei einem Wert ab 6,5 Prozent. /cb
Außerdem heißt es: „Im Vergleich zu Placebo war Tirzepatid bei der Reduzierung des Körpergewichts wirksamer (-10,96 kg, -8,75 kg und -6,16 kg für Tirzepatid 15, 10 bzw. 5 mg) als Semaglutid (-5,24 kg, -4,44 kg und -2,72 kg für Semaglutid 2,0; 1,0 bzw. 0,5 mg).“
Allerdings brachte die höchste Tirzepatid-Dosis auch die meisten gastrointestinalen Nebenwirkungen wie
- Übelkeit,
- Erbrechen und
- Durchfall mit sich.
Für schwerwiegende unerwünschte Ereignisse sollen hingegen keine Unterschiede zwischen Tirzepatid, Semaglutid und Placebo beobachtet worden sein.
Weitere Studien untersuchen Wirksamkeit
Derzeit läuft noch die SURPASS-CVOT-Studie´A Study of Tirzepatide (LY3298176) Compared With Dulaglutide on Major Cardiovascular Events in Participants With Type 2 Diabetes (SURPASS-CVOT)´ von Eli Lilly, welche die Wirksamkeit und Sicherheit von Tirzepatid und Dulaglutid bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko untersucht.
Mit welchen Empfehlungen Tirzepatid (und im Vergleich Semaglutid) in den nächsten Jahren Eingang in deutsche Leitlinien finden werden, bleibt – nicht nur angesichts solcher ausstehenden Ergebnisse – also noch abzuwarten. Quellen:
- Bruhn C. Mit Arzneimitteln abnehmen. DAZ 2023, Nr. 1, S. 38, 05.01.2023, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-1-2023/mit-arzneimitteln-abnehmen;
- Grunvald E et al. AGA clinical practice guideline on pharmacological interventions for adults with obesity. Gastroenterology 2022;163:1198–1225, www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0016508522010265?via%3Dihub;
- Pressemitteilung des „Annual Meeting of the European Association for the Study of Diabetes (EASD) meeting in Hamburg“ vom 2. bis 6. Oktober 2023. Tirzepatide more effective in blood sugar control and body weight loss than semaglutide, shows meta-analysis of 22 studies. 22. September 2023, www.eurekalert.org/news-releases/1002351;
- Karagiannis T et al. Tirzepatide compared to subcutaneous semaglutide for type 2 diabetes: a network meta-analysis. Abstract zum mündlichen Vortrag am 3. Oktober 2023 auf dem EASD-Meeting. cattendee.abstractsonline.com/meeting/10899/presentation/250;
- Eintrag in ClinicalTrials.gov: A Study of Tirzepatide (LY3298176) Compared With Dulaglutide on Major Cardiovascular Events in Participants With Type 2 Diabetes (SURPASS-CVOT). Letztes Update 5. Oktober 2023, classic.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04255433
https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/10.1001/jamainternmed.2024.2525?guestAccessKey=1d98a3bc-0a11-444c-a21a-2b875588f3f0&utm_source=For_The_Media&utm_medium=referral&utm_campaign=ftm_links&utm_content=tfl&utm_term=070824