Rote-Hand-Brief: Zolgensma: Risiko für schwere Leberschäden beachten
Bei Onasemnogen-Abeparvovec (Zolgensma®) handelt es sich um ein Gentherapeutikum, welches für die Anwendung bei spinaler Muskelatrophie mit biallelischer Mutation im SMN(Survival Motoneuron)1-Gen zugelassen ist.
Zur Erinnerung: Was ist die Spinale Muskelatrophie?
Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine seltene, genetisch bedingte und fortschreitende neuromuskuläre Erkrankung, bei der aufgrund eines Gendefekts ein bestimmtes Protein, Survival Motoneuron (SMN), fehlt oder zu wenig vorhanden ist. Dies führt zum raschen und irreversiblen Verlust von Motoneuronen, was die Muskelfunktionen, einschließlich Atmung, Schlucken und Grundbewegung, beeinträchtigt.
In Europa kommen jährlich 550 bis 600 Babys mit Spinaler Muskelatrophie zur Welt. Unbehandelt ist die Lebenserwartung betroffener Kinder stark eingeschränkt. /cb
Behandlungsoptionen bei Spinaler Muskelatrophie
Für die Behandlung der Spinalen Muskelatrophie sind derzeit drei Arzneimittel zugelassen: Spinraza® (Wirkstoff: Nusinersen, Antisense-Oligonukleotid-Medikament), Evrysdi® (Wirkstoff: Risdiplam, small molecule) und Zolgensma®.
Während die ersten beiden Arzneimittel durch Eingriff in den Spleißing-Prozess dazu führen, dass mehr funktionale SMN-Proteine gebildet werden, verfolgt Zolgensma® einen anderen Therapieansatz: Auf einem Adeno-assoziierten Virus-9(AAV9)-Vektor enthält das Gentherapeutikum gesunde Arbeitskopien des SMN-1-Gens, die nach der einmaligen Infusion des Therapeutikums eine Produktion des funktionstüchtigen SMN-1-Proteins ermöglichen.
Zolgensma® ist seit 2020 in der EU zugelassen. In die Schlagzeilen schaffte es das Medikament nicht zuletzt wegen seines Preises von 2 Millionen US-Dollar pro Dosis. Derzeit haben bereits etwa 3.000 Patienten das Therapeutikum erhalten.
Nebenwirkungen und Risiken von Zolgensma®
Wenngleich innovativ, ist dieser Therapieansatz nicht nebenwirkungsfrei. Als „häufig“ werden in der Fachinformation Thrombozytopenie, Erbrechen, Fieber und Lebertoxizität angegeben. In Bezug auf Letztere ist hierzu ausgeführt:
„Nach der Anwendung von Onasemnogen-Abeparvovec wird eine Immunreaktion gegen das Kapsid des AAV9 erfolgen […]. Dies kann zu einer Erhöhung der Leberaminotransferasen, Erhöhungen der Troponin I-Spiegel oder einer Verminderung der Thrombozytenzahlen führen […]. Zur Abschwächung der Immunantwort wird eine Immunmodulation mit Kortikosteroiden empfohlen.“
Um die Lebertoxizität für die kleinen Patienten so gering wie möglich zu halten, sind daher begleitende Maßnahmen erforderlich: Vor Therapiebeginn sollten verschiedene Laborwerte erhoben werden, unter anderem der AAV9-Antikörperstatus und Leberenzymwerte.
Eine Gabe von 1 mg Prednisolonäquivalent pro kg Körpergewicht und Tag soll 24 Stunden vor der Infusion angesetzt und über mindestens 30 Tage nach der Infusion fortgesetzt werden. Liegt dann eine normale Leberfunktion vor, kann das Steroid ausgeschlichen werden. Andernfalls ist die Steroidbehandlung zu verlängern. Eine regelmäßige Kontrolle der Leberwerte ist in den ersten drei Monaten angezeigt.
Zolgensma®: erneuter Rote-Hand-Brief
Bereits 2021 hatte es einen Rote-Hand-Brief zu Zolgensma® gegeben. In diesem war auf das Risiko für thrombotische Mikroangiopathien hingewiesen worden. Als Sicherheitsmaßnahme wurden damals zusätzliche Laboruntersuchungen vor sowie nach der Infusion empfohlen.
In dem nun aktuellen, zweiten Rote-Hand-Brief steht die Lebertoxizität im Fokus. Auslöser waren zwei Todesfälle durch akutes Leberversagen nach einer Zolgensma®-Behandlung. Bei den betroffenen Kindern war innerhalb der ersten beiden Wochen nach der Infusion eine asymptomatische Erhöhung der Leberaminotransferasen beobachtet worden, der durch eine Erhöhung der Prednisolondosis begegnet wurde.
Fünf bis sechs Wochen nach der Infusion, also ein bis zwei Wochen nach Beginn des Ausschleichens des Steroides, wiesen Erbrechen, Schwäche und ein erneuter Anstieg der Leberwerte auf eine akute Leberschädigung hin. Durch die rasche Verschlechterung der Leberfunktion kam es zu einer hepatischen Enzephalopathie und einem Multiorganversagen, das in der Woche sechs bzw. sieben nach der Infusion zum Tod der vier und 28 Monate alten Kinder führte.
Zur Erinnerung: Was ist eine hepatische Enzephalopathie?
Die hepatische Enzephalopathie ist eine Funktionsstörung des Gehirns, die durch schwere Lebererkrankungen hervorgerufen wird: Dabei wird, aufgrund der gestörten Leberfunktion, Ammoniak nicht mehr korrekt abgebaut. Über das Blut gelangt dieses Zellgift ins Gehirn und führt dort zum Anschwellen von Hirngewebe (Hirnödem). /sn
Auf Grundlage dessen weist der am 16. Februar 2023 veröffentlichte Rote-Hand-Brief erneut auf die Relevanz der regelmäßigen Kontrolle der Leberfunktion hin. Diese solle während des ersten Monates und der Ausschleichphase des Kortikoids wöchentlich, danach zweiwöchentlich für insgesamt mindestens drei Monate erfolgen.
Werden in diesen Untersuchungen oder durch andere Symptome Anzeichen einer Leberfunktionsstörung festgestellt, sollen die Patienten unverzüglich untersucht und in Absprache mit einem pädiatrischen Gastroenterologen oder Hepatologen eine Anpassung der Steroidtherapie besprochen werden. Ein Ausschleichen des Steroides darf erst erfolgen, wenn die Leberfunktionstests unauffällig sind.
Patienten bzw. deren Betreuungspersonen sollen auf das Risiko der schweren Leberschäden hingewiesen werden. Das Apothekenpersonal könne zusätzlich auch auf das Blaue-Hand-Informationsmaterial für Patienten hinweisen, das im Fall von Zolgensma® zur Verfügung steht.