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Tramadol: „Spiegel“ kritisiert fehlende BtM-Pflicht

„Wie deutsche Behörden in der Opioid-Kontrolle versagen“vom 20.03.2025 , so betitelt der „Spiegel“ eine aktuelle Reportage, in der allen voran dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorgeworfen wird, mehr im Interesse der Industrie als in dem von Patienten zu handeln.
Anstoß nahm die Recherche, die Spiegel-Journalisten gemeinsam mit der Rechercheplattform „The Examintion“ und Kollegen des „Centro Latinoamericano de Investigación Periodística“ durchführten, an der Frage, warum Tramadol nicht, wie andere Opioide auch, dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und den damit einhergehenden verstärkten Sicherheitsvorkehrungen unterliegt.
Zur Erinnerung: Was wird im BtMG gelistet?
Substanzen mit starkem Abhängigkeitspotenzial werden in Deutschland im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) geführt, „wenn dies nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit erforderlich ist“. So ist es auf der Seite der beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelten Bundesopiumstelle nachzulesen.
Das schwach wirksame Opioid Tramadol ist jedoch nicht in den Anlagen des BtMG gelistet.
Tramadol wurde 1977 von der Firma Grünenthal unter dem Handelsnamen Tramal auf den Markt gebracht. Das Betäubungsmittelgesetz gab es damals schon – dieses löste 1971 das zuvor gültige Opiumgesetz ab. Tramadol wurde diesem bei Zulassung jedoch nicht unterstellt – wohl, da es als bis heute in der einschlägigen Fachliteratur als schwaches Opioid eingestuft wird.
Versuch zur stärkeren Regulierung von Tramadol scheiterte
Allerdings gab es 2010 einen Anlauf, Tramadol als Betäubungsmittel einzustufen. Die Spiegel-Journalisten sprachen hierzu mit Peter Cremer-Schaeffer, der damals wie heute die Bundesopiumstelle des BfArM leitet.
Gemäß ihrer Darstellung setzte Cremer-Schaeffer Tramadol damals auf die Tagesordnung des Sachverständigenausschusses für Betäubungsmittel, nachdem es Beschwerden von Ärzten gegeben habe. Dann sei ein Schreiben von Grünenthal eingegangen, in dem der Hersteller von einer strengeren Regulierung abriet. Dieser sei eine „wissenschaftliche Bewertung“ beigefügt gewesen, die ein geringes Missbrauchspotenzial belegen sollte.
Statt unmittelbar im Ausschuss sei die Sachlage zunächst in einer Arbeitsgruppe beraten und anschließend einstimmig im Ausschuss abgestimmt worden. Wie der „Spiegel“ anmerkt, seien unter den Ausschussmitgliedern jedoch zahlreiche direkt oder indirekt mit Grünenthal verbundene Mitglieder gewesen, so etwa ein ehemaliger Grünenthal-Stiftungsprofessor.
Diese Entscheidung, Tramadol nicht als Betäubungsmittel einzustufen, ist bis heute nicht revidiert worden, auch wenn in anderen Ländern wie USA, Kanada, Australien, Großbritannien und seit kurzem auch Frankreich schärfere Regeln gelten. Die Suchtstoffkommission der Uno hat unterdessen Tramadol bis dato nicht als Suchtmittel gelistet.
Warnhinweise für Tramadol wurden 2024 verschärft
Die Spiegel-Journalisten bringen die wenig strenge Regulierung in Deutschland mit hohen Verordnungszahlen – und damit hohen Gewinnen ebenso wie Fällen von Abhängigkeit in Verbindung.
Eine 2019 im British Medical Journal veröffentlichte UntersuchungThe BMJ: "CCBYNC Open access Research Chronic use of tramadol after acute pain episode: cohort study", Staqnd: Mai 2019 deutet darauf hin, dass das Abhängigkeitspotenzial von Tramadol womöglich unterschätzt wird. Dort wurde gezeigt, dass die Verschreibung von Tramadol nach einer Operation genauso oft oder sogar öfter in einer Dauermedikation mit Opioiden mündete wie die mit anderen schnell wirksamen Opioiden wie Hydrocodon oder Oxycodon – die in Deutschland unter das BtMG fallen.
Zudem entschied die Europäische Arzneimittelbehörde 2024, dass Fach- und Gebrauchsinformationen von Arzneimitteln mit Tramadol auf das Missbrauchs- und Suchtpotenzial des Opioids hinweisen müssen.
Im Spiegel-Bericht wird die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen zitiert, wonach Tramadol „sehr häufig“ zur Abhängigkeit führe. Außerdem verweist der Spiegel auf die Auswertung einer Online-Umfrage des Instituts für Therapieforschung (IFT). Darin heißt es, im Partykontext werde „der Konsum niedrigpotenter opioidhaltiger Schmerzmittel“ (Tilidin, Tramadol, Oxycodon) zunehmend als normal angesehen, und diese seien leicht zugänglich.
Mitarbeitende in Substitutionsambulanzen und Suchtkliniken würden von „einer wachsenden Zahl vor allem junger Erwachsener“ berichten, „deren Konsummuster häufig mit Tilidin oder Tramadol beginnt, sich schrittweise auf stärkere Substanzen wie Oxycodon ausweitet und in einigen Fällen schließlich in den Konsum von Heroin mündet.“ Aus dem Bericht des IFT geht auch hervor, dass sich die Konsumenten die Substanzen auf dem Schwarzmarkt, also von Dealern, Bekannten oder online beschaffen und nicht über reguläre Rezepte.
Verordnungszahlen von Tramadol sind rückläufig
Bei den Verschreibungszahlen zeichnet sich zumindest keine dramatische Entwicklung ab, im Gegenteil. Sie waren in den vergangenen Jahren rückläufig. Pro 1.000 GKV-Versicherte waren laut Deutschem Arzneiprüfungsinstitut 2019 noch 2,31 Tagesdosen Tramadol verordnet worden, 2023 waren es nur noch 1,79 Tagesdosen, das entspricht einem Rückgang von 22 Prozent.
Das BfArM steht jedenfalls zu seinem 2011 getroffenen Urteil. Es beobachte „die Entwicklung und auch die fachliche Diskussion auf internationaler Ebene engmaschig“, teilte BfArM-Pressesprecher Maik Pommer mit. Aktuell lägen jedoch „keine Informationen vor, die eine geänderte Einschätzung für Deutschland begründen könnten.“
Das BfArM hatte eine Untersuchung von Krankenkassendaten zu Opiod-Verschreibungen beauftragt. Auch diese hatte ergeben, dass die Verordnung von Opioid-Analgetika in den letzten Jahren gesunken ist, und zwar zwischen 2005 und 2020 um 19 Prozent.
Tramadol: Wie erkennt die Apotheke einen Arzneimittelmissbrauch?
In einem Leitfaden der Bundesapothekerkammer ist beschrieben, wie Apotheken den Missbrauch von Opioiden in manchen Fällen erkennen können. „Beschwerden über eine angebliche Minderbefüllung oder Wirkungslosigkeit bei Tropfenpräparaten von Opioid-Analgetika, wie z. B. Tilidin oder Tramadol, wie sie der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) immer wieder gemeldet werden, weisen deutlich auf Missbrauch hin“, heißt es in dem Leitfaden.
Das Zentrallaboratorium der Deutschen Apotheker hätte in solchen Fällen so gut wie nie Hinweise auf Produktionsfehler gefunden. Die Befunde ließen sich aber durch Manipulation der Arzneimittel erklären: Dabei werde ein Teil der Arzneistofflösung entnommen, gegebenenfalls durch Wasser ersetzt und anschließend in der Apotheke reklamiert.
Alle derartigen Fälle sollten der AMK gemeldet werden. Zudem solle man versuchen, den behandelnden Arzt ausfindig zu machen und zu kontaktieren.