Rote-Hand-Brief: Schwere Nebenwirkung: Thrombotische Mikroangiopathie unter Zolgensma®
Zolgensma® ist bislang die einzige zugelassene Gentherapie, um Spinale Muskelatrophie (SMA) ursächlich zu behandeln. Zugelassen seit Mai 2020 in der EU, können seither
- Patienten mit 5q-Spinaler Muskelatrophie mit einer biallelischen (beide Allele betreffenden) Mutation im SMN1-Gen und einer klinischen Diagnose von SMA Typ 1 oder
- Patienten mit 5q-SMA mit einer biallelischen (beide Allele betreffenden) Mutation im SMN1-Gen und bis zu 3 Kopien des SMN2-Gens
Onasemnogen-Abeparvovec erhalten.
Zur Erinnerung: Was ist die Spinale Muskelatrophie (SMA)
SMA ist eine seltene, genetisch bedingte und fortschreitende neuromuskuläre Erkrankung, die durch das Fehlen eines funktionalen SMN1-Gens verursacht wird (Mutation des Chromosoms 5q im SMN1-Gen). Sie führt zum raschen und irreversiblen Verlust von Motoneuronen, was die Muskelfunktionen, einschließlich Atmung, Schlucken und Grundbewegung, beeinträchtigt. In Europa kommen jährlich 550 bis 600 Babys mit Spinaler Muskelatrophie zur Welt.
Nun informiert Novartis – Zulassungsinhaber von Zolgensma® – in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und dem Paul-Ehrlich-Institut in einem Rote-Hand-Brief über eine schwere, lebensbedrohliche Nebenwirkung der Gentherapie: Eine Thrombotische Mikroangiopathie (TMA). Hier kommt es zu
- einem Abfall der Thrombozyten (Thrombozytopenie),
- einer hämolytischen Anämie (Blutarmut, bei der die Erythrozyten verfrüht zugrunde gehen)
- und akuter Nierenschädigung.
Laut dem Rote-Hand-Brief trat die TMA vor allem in den ersten Wochen nach Behandlung mit Zolgensma® auf. Insgesamt wurden bisher, unter den ungefähr 800 behandelten Patienten, fünf bestätigte Fälle von TMA bei Patienten im Alter von vier bis 23 Monaten nach der Behandlung mit Onasemnogen-Abeparvovec gemeldet.
Gut zu wissen: TMA – was ist das?
Die Thrombotische Mikroangiopathie beschreibt unterschiedliche Syndrome, die mikroangiopathische hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und thrombotische Verschlüssen der Mikrozirkulation aufweisen. Auch das Hämolytische Urämische Syndrom (HUS) sowie die Thrombotische Thrombozytopenische Purpura (TTP) gehören dazu. Insgesamt liegt die Inzidenz einer TMA bei nur wenigen Fällen pro eine Million Kinder pro Jahr. Diagnostiziert wird eine TMA durch eine nachgewiesene Thrombozytopenie, hämolytische Anämie und akute Nierenschädigung. Sie tritt nach Angaben der Roten Hand „aufgrund einer Dysregulation und/oder einer übermäßigen Aktivierung des Komplementsystems auf“.
Was sind Symptome einer TMA?
Laut Novartis hatten alle fünf Kinder innerhalb von sechs bis elf Tagen nach Zolgensma® eine TMA entwickelt. Sie erbrachen, hatten einen erhöhten Blutdruck, eine verminderte Harnmenge und/oder Ödeme. Im Labor wurde eine Thrombozytopenie, erhöhtes Serumkreatinin, Proteinurie und/oder Hämaturie sowie hämolytische Anämie festgestellt.
Bei zwei der Kinder lag eine Infektion vor, zudem waren sie innerhalb von zwei bis drei Wochen nach Zolgensma®-Gabe geimpft worden. Novartis empfiehlt in der Fachinformation zu Zolgensma®, den Impfplan des Patienten an die begleitende Cortisongabe vor und nach der Infusion von Onasemnogen-Abeparvovec anzupassen.
Dem Rote-Hand-Brief ist zu entnehmen, dass in der akuten Phase der TMA „alle Patienten gut auf medizinische Interventionen wie Plasmapherese, systemische Corticosteroide, Transfusionen und unterstützende Behandlungen“ ansprachen. Zwei Patienten erhielten eine Hämodialyse oder Hämofiltration, wobei einer der beiden Patienten sechs Wochen nach dem Ereignis verstarb.
Was ist künftig zu beachten?
Laut Novartis ist eine TMA „behandelbar und kann durch rechtzeitige und angemessene Therapie geheilt werden“. Umso wichtiger sei, dass Ärzte und Betreuungspersonen auf Symptome einer TMA achten, um frühzeitig intervenieren zu können. Vor der Verabreichung von Onasemnogen-Aberparvovec sind künftig zusätzlich zu den derzeit empfohlenen Laboruntersuchungen auch die Bestimmung des Kreatininwertes sowie ein großes Blutbild (einschließlich Hämoglobin und Thrombozytenzahl) erforderlich. In der Woche nach der Infusion soll die Thrombozytenzahl „engmaschig kontrolliert und danach regelmäßig überwacht“ werden. Liegt eine Thrombozytopenie vor, erfolgen weitere Untersuchungen einschließlich diagnostischer Tests auf hämolytische Anämie und Nierenfunktionsstörung.
Wie wirkt Zolgensma?
Zolgensma® ersetzt das defekte Gen SMN1 und behandelt so SMA erstmals ursächlich. Es liefert eine voll funktionsfähige Kopie des menschlichen SMN-Gens, sodass die Patienten ausreichend Survival Motoneuron bilden können und das Fortschreiten der Erkrankung und ein weiterer Verlust der Motoneurone aufgehalten werden. Wichtig: Bereits zerstörte Motoneurone werden nicht wieder repariert, der schon stattgefundene Verlust von Motoneuronen kann folglich nicht rückgängig gemacht werden. Zolgensma® wird als einmalige intravenöse Infusion verabreicht. Das funktionsfähige Gen wird mittels eines Virus, das jedoch beim Menschen keine Erkrankung verursacht, in die Zellen geschleust. Das Virus dient lediglich als „Fähre“ (Vektor) für das SMN-Gen.
Auf Symptome achten und rasch reagieren
Sollten Patienten Anzeichen, Symptome oder Laborbefunde aufweisen, die auf eine TMA hindeuten, sollte direkt fachärztlicher und multidisziplinärer Rat in spezialisierten Zentren eingeholt und die TMA unverzüglich wie klinisch angezeigt behandelt werden. Zudem sollten Betreuungspersonen Anzeichen und Symptome einer TMA – z. B. Blutergüsse, Krampfanfälle, Oligurie – kennen und angewiesen werden, beim Auftreten dieser Symptome den Patienten unverzüglich in ärztliche Notfallbehandlung zu übergeben. Novartis passt die Produktinformationen um das Risiko einer TMA unter Zolgensma® entsprechend an.