Aktuelles
4 min merken gemerkt Artikel drucken

EMA: Bedingte Zulassung für Zolgensma erteilt

Bei Kindern mit spinaler Muskelatrophie führt der fortschreitende Untergang motorischer Nervenzellen im Rückenmark dazu, dass die Muskulatur nach und nach schwindet. Sie lernen nie laufen, viele von ihnen sterben unbehandelt in den ersten zwei Lebensjahren. Die seltene Erkrankung betrifft in Deutschland etwa 1 von 10.000 Neugeborenen pro Jahr. | Bild: imago images / ZUMA Press

Es gilt als Durchbruch für die Behandlung von Kindern mit spinaler Muskelatrophie Typ 1: Das Gentherapeutikum Zolgensma™ soll, anders als das bisher einzige für diese Indikation zugelassene Medikament Spinraza® (Nusinersen), in der Lage sein, die Erkrankung zu heilen – und das mit nur einer einzigen Anwendung. In der Vergangenheit hatte Novartis mit seinem Mittel jedoch nicht nur für positive Schlagzeilen gesorgt: Krankenkassen, Universitätsklinika und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) warfen dem Unternehmen vor, die europäische Zulassung zu verschleppen, um vorher noch einmal ordentlich abkassieren zu können.

Medienkampagne schürte Hoffnung

Der Hintergrund: In den USA ist Zolgensma™ bereits seit Mai 2019 auf dem Markt – zu einem Preis von rund 2,1 Millionen US-Dollar (etwa 1,9 Millionen Euro) pro Behandlung. Europäern stand das Mittel lediglich als Einzelimport zur Verfügung. Kassen, Unikliniken und G-BA sahen die Gefahr, dass Ärzte und Kostenträger massiv unter Druck geraten könnten, das Gentherapeutikum betroffenen Kindern zulasten der Solidargemeinschaft zu verordnen. Denn unbehandelt erleben viele von ihnen ihren dritten Geburtstag nicht, das Zeitfenster für die Therapie ist folglich klein.

Zudem habe Novartis mithilfe einer „beispiellosen Medienkampagne“ auf seine innovative Therapie aufmerksam gemacht und so die Hoffnungen der Eltern auf Heilung geschürt. Das Unternehmen hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und wollte seinen Gegnern mit einem Härtefallprogramm (Compassionate Use) für Zolgensma™ den Wind aus den Segeln nehmen.

Therapie nach dem Losverfahren

Mit der Ausgestaltung dieses Programms tappte Novartis jedoch gleich ins nächste Fettnäpfchen: Weil dem Unternehmen zufolge nicht genügend Dosen des Mittels produziert werden konnten, um den Bedarf zu decken, plante es, 100 Dosen pro Jahr bereitzustellen und dann das Los darüber entscheiden zu lassen, welche Kinder die Therapie bekommen sollten. Das hatte für öffentliche Empörung gesorgt.

Bereits vor Preisfindung für Patienten verfügbar

Nun hat das Ringen um Zolgensma™ – zumindest in Europa – offenbar ein Ende: Bereits Ende März hatte der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA die Zulassung empfohlen. Dem ist die EMA jetzt gefolgt. Die Zulassung gilt für an spinaler Muskelatrophie erkrankte Säuglinge und Kleinkinder mit bis zu 21 kg Körpergewicht, heißt es.

Novartis hat sich in diesem Zuge nach eigenen Angaben in Gesprächen mit den europäischen Regierungen und anderen Organisationen auf ein sogenanntes Day-one-Programm verständigt. Demnach soll das Mittel zur Behandlung der betroffenen Patienten sofort zur Verfügung stehen, noch bevor die Bewertung und Preisfindung im jeweiligen Land abgeschlossen sind. In Deutschland ermittelt bei Zulassung eines neuen Wirkstoffs zunächst der G-BA Wahrscheinlichkeit und Ausmaß des Zusatznutzens gegenüber der Standardtherapie. Darauf basierend verhandelt der GKV-Spitzenverband mit dem Hersteller des Produkts den Erstattungspreis. Dies kann bis zu ein Jahr in Anspruch nehmen.

„In Kürze“ in Deutschland verfügbar

Das Day-one-Programm von Novartis enthält Vereinbarungen etwa zu Rabatten, die rückwirkend nach erfolgter Preisfindung gewährt werden sollen, sowie die Möglichkeit für die Kostenträger, die fällig werdende Summe in Raten zu zahlen. Für die Behandlung von Patienten, die Zolgensma™ während der frühen Zugangsphase erhalten, sind „ergebnisbasierte Rabatte“ möglich, die sich an klinischen und wirtschaftlichen Bewertungen orientieren. Zudem schule man die behandelnden Einrichtungen bezüglich der Nachsorge.

Ziel ist es laut Novartis, eine rasche Verfügbarkeit in den einzelnen Ländern zu ermöglichen, die an „die jeweiligen Preis- und Erstattungsrahmen“ angepasst sind, schreibt der Pharmakonzern. Mit Frankreich habe man bereits eine entsprechende Vereinbarung getroffen, mit Deutschland werde eine solche „in Kürze“ erwartet.