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Adipositas früh behandeln, verhindert Spätfolgen

Adipositas unter Kindern nimmt stetig zu. Schätzungen zufolge wird der weltweite Anteil bei Mädchen bis 2035 auf 18 % und bei Jungen auf 20 % ansteigen. In Deutschland sind etwa 15 % der Kinder und Jugendlichen übergewichtig oder adipös. Bei den Erwachsenen sind es sogar ein Viertel der Bundesbürger.
Daraus resultieren nicht nur personenbezogene und individuelle Krisen wie ein erhöhter Leidensdruck, Mobbing und Ausgrenzung, sondern auch gesellschaftliche Probleme.
Disease-Management-Programm für Adipositas geplant
Die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG) sieht Handlungsbedarf und fordert die Politik auf, Adipositas zum zentralen gesundheitspolitischen Anliegen zu machen. Laut DAG werden adipöse Menschen häufig allein gelassen, weil es zu wenige Therapiemöglichkeiten gibt und auch die Umweltbedingungen (z. B. Werbung für ungesundes Essen) zu wenig angepasst werden.
Die DAG begrüßt aber auch die positiven Entwicklungen des vergangenen Jahres, wie das neu vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verabschiedete Disease-Management-Programm (DMP) Adipositas.
Wenn das DMP für Patienten mit Adipositas zur Verfügung steht, können sich
- Versicherte mit einem Body-Mass-Index (BMI) zwischen 30 und 35 kg/m² und einer Begleiterkrankung wie Bluthochdruck oder Diabetes bzw.
- Personen mit einem BMI von 35 oder mehr ohne Begleiterkrankung
bei ihren Krankenkassen für das strukturierte Behandlungsprogramm einschreiben lassen.
Zur Erinnerung: Was ist der Body-Mass-Index?
Der Body-Mass-Index ist ein Wert, der Körpergröße und Körpergewicht eines Menschen ins Verhältnis setzt. Anhand dessen lässt sich ein Körper nach Unter-, Normal- oder Übergewicht einordnen. In der Praxis wird der BMI vor allem verwendet, um die Ausprägung eines Übergewichts bzw. einer Adipositas zu erfassen.
Auch in der Leitlinie zu Adipositas gilt noch immer der BMI als Maß für Adipositas. Seine Aussagekraft wird jedoch zunehmend kritisch gesehen.
DMP Adipositas auch für Kinder
Auch für adipöse Kinder ab einem Alter von fünf Jahren und Jugendliche wurde Ende 2024 ein Disease-Management-Programm durch den G-BA beschlossen. Ziel des Programms ist es, zu verhindern, dass Adipositas bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt.
Kinder und Jugendliche sollen lernen, ihre Ernährung umzustellen, kontraproduktive Essgewohnheiten wie schnelles/unbewusstes Essen zu minimieren und sich aktiv körperlich zu bewegen. Um diese Ziele zu erreichen, sollen altersgerechte Schulungsangebote helfen und wenn möglich Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen mit einbezogen werden.
Aus Sicht der DAG muss das vom G-BA verabschiedete DMP Adipositas – sowohl für Erwachsene als auch Kinder/Jugendliche – zeitnah bei den Betroffenen im Behandlungsalltag ankommen. Dafür soll vom Gesetzgeber eine Frist gesetzt werden.
Adipositas wie chronische Krankheit behandeln
Bereits 2020 wurde Adipositas in Deutschland als chronische Krankheit anerkannt, jetzt gilt es laut Verband diese auch so zu behandeln. Dazu gehöre, dass Arzneimittel zur Gewichtsreduktion (z. B. Semaglutid) von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden sollen.
Zusätzlich fordert der Verband die Neugestaltung der Lebensmittelbesteuerung („gesunde Mehrwertsteuer“), Einschränkungen bei an Kinder gerichteter Werbung, weniger zuckerhaltige Getränke, mehr Sportangebote in Schulen und digitale Ernährungsbildung, um die Adipositas-Epidemie langfristig zu stoppen.
Studie: Zusammenhang zwischen Adipositas und Erkrankungen im Erwachsenenalter
Wie wichtig es ist, Adipositas in jungen Jahren zu behandeln, zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Kohortenstudie, die in „JAMA Pediatrics“ veröffentlicht wurde. Die Autoren verwendeten Daten u. a. aus dem schwedischen Behandlungsregister für Fettleibigkeit bei Kindern (BORIS), um den Zusammenhang zwischen Adipositas und Erkrankungen im Erwachsenenalter zu untersuchen.
Sie verglichen Daten von 6.713 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 17 Jahren bei Behandlungsbeginn mit anderen Patientenregistern. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug drei Jahre. Die Teilnehmer wurden in verschiedene Gruppen eingeteilt – je nachdem, wie gut sie auf eine Adipositas-Behandlung ansprachen.
Gut zu wissen: Schweden hat Behandlungsprogramm für adipöse Kinder
In Schweden werden adipösen Kindern seit mehreren Jahren Behandlungen angeboten, die unter der sogenannten Behavioral Lifestyle Therapy Maßnahmen wie ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und die Förderung gesunder Schlafgewohnheiten umfassen.
Die Autoren analysierten, wie weit der BMI der Teilnehmer von durchschnittlichen BMI-Werten für ihre Alters- und Geschlechtsgruppe abwich (Body-Mass-Index Standard Deviation Score, BMI-SDS).
Ein Anstieg des BMI-SDS um 0,25 oder mehr wurde in diesem Fall als schlechtes Ansprechen auf die Behandlung gewertet. Das bedeutet, dass der BMI der Person in dieser Gruppe trotz der Behandlung deutlich zugenommen hat.
Die Mehrzahl der Studienteilnehmer (n = 2.913) hatte ein mittleres Ansprechen auf die Adipositas-Behandlung. Aber bei 1.506 Personen normalisierte sich der BMI.
Im Detail ergaben sich folgende Daten:
- schlechtes Ansprechen (n = 1.224): Anstieg BMI-SDS ≥ 0,25
- mittleres Ansprechen (n = 2.913): Anstieg des BMI-SDS < 0,25 bis Abfall des BMI-SDS < 0,25
- gutes Ansprechen (n = 1.070): Abfall BMI-SDS ≥ 0,25
- Adipositasremission (n = 1.506): Normalisierung des BMI
Frühzeitige Adipositas-Behandlung schützt vor Folgeerkrankungen
Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder, die ihr Übergewicht verringerten oder normalisierten (Adipositasremission), ein geringeres Risiko für einen frühzeitigen Tod im Erwachsenenalter hatten im Vergleich zu Kindern, die schlecht auf die Behandlung ansprachen (adjustiertes Hazard Ratio [aHR] = 0,12; 95-%-Konfidenzintervall [KI] = 0,03–0,46).
Ein gutes Ansprechen war auch mit einem geringeren Risiko für
- Typ-2-Diabetes (aHR = 0,42; 95-%-KI = 0,23–0,77),
- Fettstoffwechselstörungen (aHR = 0,31; 95-%-KI = 0,13–0,75) und
- der Notwendigkeit einer bariatrischen Operation (z. B. einer Magenverkleinerung) (aHR = 0,42; 95-%-KI = 0,30–0,58)
verbunden.
Wenn das Übergewicht ganz verschwunden war, war auch das Risiko geringer, einen Bluthochdruck zu entwickeln (aHR = 0,40; 95-%-KI = 0,24–0,65).
Es gab jedoch keinen Zusammenhang zwischen der Behandlung und einem geringeren Risiko für Depressionen oder Angstzustände.
Zur Erinnerung: Hazard Ratio und Konfidenzintervall
Die Hazard Ratio (HR) beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis in einem bestimmten Zeitraum eintritt – zum Beispiel in dieser Studie, dass ein Patient frühzeitig im Erwachsenenalter stirbt.
Sie ist der Quotient (Teiler) von zwei Risiken (engl. hazard) zweier Gruppen, die unterschiedliche Interventionen erfahren; in dieser Studie gutes bzw. schlechtes Ansprechen auf die Adipositas-Behandlung.
Setzt man diese Risiken zueinander ins Verhältnis, lässt sich ableiten, ob das (Sterbe-)Risiko in beiden Gruppen gleich groß ist oder eine Gruppe ein höheres beziehungsweise kleineres Risiko hat zu sterben.
HR = 1: Es gibt keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen.
HR < 1: Das Risiko ist für die beobachtete Gruppe kleiner.
HR > 1: Das Risiko ist für die beobachtete Gruppe größer.
Eine HR von 2,3 bedeutet, dass das Risiko zu sterben 2,3-mal so hoch ist. Eine HR von 0,34 bedeutet, dass das Risiko zu sterben kleiner ist.
Das Konfidenzintervall (KI; engl. CI) gibt den Vertrauensbereich an, der den wahren Parameter mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit überdeckt, z. B. 95 %, 99 % oder 99,9 %.
Maßnahmen gegen Adipositas auch in Deutschland nötig
Besonders Kinder und Jugendliche können von einer frühzeitigen Behandlung der Adipositas profitieren, die sie vor Folgeerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Lipidstoffwechselstörungen schützt.
Um den Adipositas-Trend langfristig zu stoppen, ist jedoch ein Umdenken in der Gesellschaft notwendig. Es sind sowohl eine Förderung gesunder Lebensgewohnheiten als auch politische und gesellschaftliche Maßnahmen nötig, die eine gesunde Ernährung, mehr Bewegung und eine bessere Aufklärung über die Risiken von Adipositas unterstützen. Literatur
doi:10.1001/jamapediatrics.2024.5552
https://adipositas-gesellschaft.de/bekaempfung-der-adipositas-muss-zentrales-gesundheitspolitisches-anliegen-werden/
www.g-ba.de/themen/disease-management-programme/
www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1223/
www.kbv.de/html/69609.php