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PCOS: Kann ein Malariamittel die Lösung sein?

Zweig von einjährigem Beifuß
Artemisinin ist ein sekundärer Pflanzenstoff des einjährigen Beifußes (Artemisia annua). Der Naturstoff ist bei Malaria-Infektionen wirksam und laut einer Studie auch bei dem polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS). | Bild: orestligetka / AdobeStock

Eine klein angelegte Studie aus Shanghai, unter der Leitung von Yang Lui von der Fudan University, wurde im Juni 2024 in „Science“Science: "Artemisinins ameliorate polycystic ovarian syndrome by mediating LONP1-CYP11A1 interaction", Stand: 14.06.2024  veröffentlicht. Die Forschergruppe konnte zunächst an Nagetieren, dann an einer Probandinnen-Gruppe zeigen, dass sich Symptome des polyzystischen Ovarialsyndroms (PCOS) durch die Einnahme eines bekannten Malaria-Wirkstoffs verbessern.

Zur Erinnerung: PCOS – was war das nochmal?  

Vom polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) ist circa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter betroffen. PCOS ist damit die häufigste gynäkologisch-endokrine Störung. Dabei ist das Hormonverhältnis in Schieflage. 

Frauen mit PCOS haben einen erhöhten Spiegel an männlichen Sexualhormonen, den Androgenen. Produzieren die Ovarien zu viel Testosteron, ergeben sich daraus Zyklusstörungen, die häufig mit Unfruchtbarkeit verbunden sind. Auch vermehrte Körper- und Gesichtsbehaarung, unreine Haut und Akne treten durch das hormonelle Ungleichgewicht häufig auf. 

Zudem zeichnet sich das PCO-Syndrom durch eine ungünstige Stoffwechsellage aus. Übergewicht, eine verminderte Insulinsensitivität bis hin zur Insulinresistenz und Diabetes mellitus, in Kombination mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den Leitsymptomen.

PCOS: Welche Therapiemöglichkeiten gibt es aktuell?

Betroffene Frauen leiden oft stark unter dieser Erkrankung und die Lebensqualität ist eingeschränkt. Auch, wenn PCOS mehr und mehr an Aufmerksamkeit und Aufklärung gewinnt, stecken die Therapieansätze noch in den Kinderschuhen. 

Bisher gibt es keine kausale Therapie der Erkrankung, sondern nur eine symptomatische Behandlung der Beschwerden z. B. mittels hormoneller Therapie (pflanzlich oder chemisch), Unterstützung der mentalen Auswirkungen von PCOS und ggf. mit einer Kinderwunschbehandlung.

Therapie von PCOS: Neue Hoffnung durch chinesische Studie 

Einen Ansatz zur Therapie des Testosteronüberschusses lieferte dann Mitte 2024 das chinesische Forscherteam und sorgte damit für Schlagzeilen in der Fachpresse. 

Die Forschenden konnten bei 19 Patientinnen mit PCOS zeigen, dass Artemisinin – ein Naturstoff, dessen Derivate eigentlich aus der Malariatherapie bekannt sind – die Zyklus-Situation der Probandinnen verbessern konnte.

Nach einer Einnahmedauer von zwölf Wochen konnten bei den Frauen weniger PCOS-Marker nachgewiesen werden (z. B. Androgene) und der Menstruationszyklus normalisierte sich.

Malaria-Wirkstoff – Artemisinin und seine Verwandten

Übersicht zu Malariatherapie
Übersicht zur Malariatherapie | Bild: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/_Resources/Persistent/0/3/b/8/03b88153dfef7e39a614d1c1190f8454e43b3359/Malaria.19-615x600.jpg 

Artemisinin ist ein sekundärer Pflanzenstoff des einjährigen Beifußes (Artemisia annua). Seine Derivate Artemether, Artesunat und Dihydroartemisinin werden zur Behandlung einer unkomplizierten akuten Malaria-Infektion eingesetzt. 

Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden sechs verschiedene Artemisinin-Kombinationspräparate (artemisinin-based combination therapies, ACTs) zur Therapie der akuten Malaria empfohlen. In Deutschland zugelassen ist nur Artemether in Kombination mit Lumefantrin – ebenfalls ein Wirkstoff zur Malariabekämpfung. 

Alle ACTs eigenen sich nur zur Therapie – auch zur notfallmäßigen Selbstbehandlung –, indem sie die Plasmodien abtöten. Zur Prophylaxe gegen Malaria sind sie allerdings ungeeignet, dafür kommen andere Wirkstoffe zum Einsatz.

Artemisinin-Kombinationspräparate sind besonders in Gebieten, in denen es Resistenzen gegen andere Malariamittel wie Atovaquon/Proguanil gibt, hilfreich. Artemether und Artesunat stehen beispielsweise auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel.

ACTs sind in der Regel gut verträglich. Kopfschmerzen, Schwindel und Verdauungsstörungen sind typische unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Wie bei vielen Antiinfektiva ist auch bei Artemisinin-Präparaten ein Einfluss auf die QT-Zeit und auf CYP3A4 zu verzeichnen und zu beachten.

Zur Erinnerung: Was bedeutet QT-Zeit und CYP3A4?

Die QT-Dauer oder QT-Zeit ist eine Messgröße bei der Auswertung des Elektrokardiogramms (EKG). Sie gibt Aufschluss über die Gesamtdauer der Kammererregung im Herzen und ist abhängig von der Herzfrequenz. Bei einer Tachykardie (schneller Herzschlag) nimmt die QT-Zeit ab, bei einer Bradykardie (verlangsamter Herzschlag) zu.

Die Cytochrome P450 (CYP) sind eine Familie von Enzymen, die für den Metabolismus von Arzneistoffen von zentraler Bedeutung sind. Wichtige Mitglieder sind beispielsweise CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6 und CYP3A.

Arzneistoffe, die von CYP-Enzymen verstoffwechselt werden, sind anfällig für Wechselwirkungen, da andere Medikamente die CYP-Enzyme hemmen oder ihre Wirkung verstärken können. Dadurch steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder für einen Wirkungsverlust. /vs

Malaria-Wirkstoff gegen PCOS

Wie kann Artemisinin jetzt gegen PCOS helfen? Liu und sein Team zeigen in der Studie, dass Artemisinin und dessen Derivate in die Sexualhormonsynthese eingreifen. Der Wirkstoff beeinflusst CYP11A1 und LONP1 – Enzyme, die an der Testosteronproduktion beteiligt sind. 

Durch Artemisinin sinkt die Aktivität von CYP11A1 und damit der Testosteronspiegel. Für PCOS-Patientinnen bedeutet das in der Theorie – aber auch als Outcome der Studie – Hormonregulation, Zyklusverbesserung und eine Erhöhung der Fruchtbarkeit.

Grundstein für die kausale PCOS-Therapie gelegt?

Obwohl die Studie mit 19 Probandinnen klein ist, schätzen Experten weltweit sie als guten Ansatz ein. Artemisinin könnte ein relevanter Therapiekandidat bei PCOS werden. 

Da bereits andere Pflanzeninhaltsstoffe in ersten Studien vielversprechend waren, jedoch in weiterführenden Studien mit keinem klinischen Effekt gegen PCOS überzeugen konnten, ist es wichtig, größer angelegte, randomisierte kontrollierte Studien durchzuführen. 

Zu beachten ist außerdem, dass CYP11A1 in eine sehr frühe Phase der Sexualhormon-Produktion eingreift. Da viele Frauen mit PCOS noch schwanger werden wollen, muss untersucht werden, auf welche Hormone Artemisinin durch den Eingriff in das Enzym noch Auswirkungen hat. Es könnte sein, dass die Wirkung zu wenig selektiv ist.  

Ob nun der chinesischen Forschungsgruppe mit dem Einsatz von Artemisinin gegen PCOS ein therapeutischer Durchbruch gelungen ist oder nicht, wird die Zeit zeigen. Quellen:
- https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Polyzystisches-Ovarialsyndrom-Malaria-Wirkstoff-als-moegliche-Therapie-450480.html
- https://www.science.org/doi/10.1126/science.adk5382
- https://flexikon.doccheck.com/de/Artemisinin#:~:text=Artemisinin%20ist%20ein%20medikamentöser%20Wirkstoff,Artemisinin%20befindet%20sich%20in%20Vorbereitung.
- https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Malaria.html#doc2392924bodyText5
- https://www.dtg.org/images/Startseite-Download-Box/2024_DTG_Empfehlungen_Malaria.pdf