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Real-World-Daten aus den USA: RSV-Saison 2023/24: Wie gut wirkt Nirsevimab?

Mutter hält Säugling im Arm mit Inhalationsgerät
| Bild: komokvm / AdobeStock

Nirsevimab (Beyfortus®) schützt Säuglinge vor schweren Erkrankungen durch RSV (respiratorisches Synzytialvirus). Der Antikörper erhielt in den Vereinigten Staaten im Juli 2023 die ZulassungFDA: "FDA Approves New Drug to Prevent RSV in Babies and Toddlers", Stand: 17.07.2023  und damit vor Beginn der letztjährigen RSV-Saison (auf der Nordhalbkugel typischerweise von Anfang Oktober bis Mai). 

Ein Wissenschaftler-Team der US-amerikanischen Seuchenbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) hat diese erste RSV-Saison mit Nirsevimab ausgewertet. Wie gut schützt Nirsevimab Säuglinge vor RSV? Und mussten 2023/24 weniger Kinder RSV-bedingt im Krankenhaus behandelt werden als in den präpandemischen Jahren von 2017 bis 2020? Denn während der COVID-19-Pandemie hat sich des RSV-Zirkulationsmuster verändert.

Zur Erinnerung: Was ist das RS-Virus?

Das RS-Virus (Respiratorisches Synzytialvirus) ist einer der wichtigsten Erreger von Atemwegserkrankungen bei Säuglingen und Frühgeborenen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass RSV für jährlich mehr als 30 Millionen Infektionen der unteren Atemwege bei Kleinkindern verantwortlich ist, wovon drei Millionen Kinder schwer erkranken (Krankenhausbehandlung). RSV sei die häufigste Ursache für Krankenhausaufenthalte bei Kindern unter fünf Jahren. 

Die Ansteckung erfolgt über Tröpfcheninfektion, die Inkubationszeit beträgt zwei bis acht Tage. Nach Infektion vermehren sich die Viren sodann in den Schleimhäuten der Atemwege. 

Eine wichtige Rolle für das Krankheitsgeschehen von RSV spielt dabei das Fusionsprotein (F-Protein), das in die Lipidhülle des Virus eingelagert ist. Das F-Protein schädigt die Zellen der Atemwege – Synzytienbildung –, indem es die zilientragenden Epithelzellen miteinander verschmilzt. 

Die Folge: Immunzellen werden angelockt, Zelltrümmer und Schleim entstehen, die die Atemwege verlegen. Die Schädigung der Atemwegszellen ist jedoch reversibel, sodass sich die Epithelzellen innerhalb von vier bis acht Wochen wieder erholen.

Um Letzteres zu vergleichen, analysierten die Autoren der im Fachjournal „JAMA Pediatrics“JAMA Pediatrics: "Respiratory Syncytial Virus Disease Burden and Nirsevimab Effectiveness in Young Children From 2023-2024", Stand: 09.12.2024 veröffentlichten Arbeit, wie viele Kinder unter fünf Jahren jeweils in den Zeiträumen vom 1. September bis 30. April in sieben akademischen Kinderkliniken in den Vereinigten Staaten aufgrund von Atemwegserkrankungen behandelt worden waren (hospitalisiert oder ambulant medizinisch versorgt). 

Insgesamt waren dies 28.689 Kinder, von diesen erkrankten 9.536 Kinder in 2023/24 und 19.153 Kinder in den drei Saisons von 2017 bis 2020. Über alle Saisons waren 12.684 Kinder hospitalisiert, rund ein Drittel der Krankenhauskinder (n = 4507) war RSV-positiv (36 %).

Nirsevimab: (noch) kein Effekt auf Hospitalisierung

Die Wissenschaftler berechnen für 2023/24 eine RSV-assoziierte Hospitalisierungsrate von 5,0 pro 1.000 Kinder (95-%-Konfidenzintervall [KI] = 4,6 bis 5,3) unter fünf Jahren, wobei sie die höchsten Inzidenzen bei Säuglingen direkt und kurz nach der Geburt – zwischen null und zwei Monate – beobachteten (26,6; 95-%-KI = 23,0 bis 30,2). 

Allerdings: Die letztjährige RSV-Hospitalisierungsrate unterschied sich nicht von denen in den präpandemischen Saisons, die Studienautoren nennen sie „vergleichbar“. Zudem fiel ihnen auf, dass Kinder, die während der RSV-Saison 2023/24 ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, ein knapp doppelt so hohes Risiko (adjusted OddsRatio [aOR] = 1,9) für 

  • eine Sauerstofftherapie und
  • ein 25 % höheres Risiko für eine intensivmedizinische Versorgung (aOR = 1,25) hatten

als Kinder in früheren RSV-Saisons. Wobei sie dafür seltener mechanisch beatmet wurden (aOR = 0,63) und im Median auch gleich lang (zwei Tage) im Krankenhaus bleiben mussten. 

Dennoch: Wenn nicht weniger Kinder aufgrund von RSV ins Krankenhaus müssen – wirkt Nirsevimab überhaupt?

Immunisierungsrate zu gering, um Aussage über Hospitalisierung zu machen

Die Studienautoren postulieren, dass Nirsevimab sein Potenzial vielleicht nicht ausschöpfen konnte. 

Nur 14 % aller Säuglinge hatten den Antikörper erhalten, sodass diese niedrige Immunisierungsrate den Effekt auf die Gesamthospitalisierung möglicherweise begrenzte. Hinzu kam, dass – wie auch in Deutschland in der aktuellen RSV-Saison – Nirsevimab erst spät verfügbar wurde und zudem die RSV-Saison 2023/24 ungewöhnlich früh – im September – begann und auch ihr Hoch zeitiger erreichte – November und Dezember verglichen mit Dezember und Januar in den Saisons 2017 bis 2020. 

Den Studienautoren zufolge war Nirsevimab an allen Studienstandorten zwar innerhalb von zwei Wochen vor oder kurz nach Beginn der RSV-Saison – Überschreiten der RSV-Positivenrate von 3 % (Bundesstaat) – verfügbar, die RSV-Zirkulation hatte aber zuvor schon begonnen.

Holpriger Start für Nirsevimab in den USA

Die Versorgung mit Nirsevimab lief in den USA zu Beginn holprig, das zeigt ein Beitrag auf der Seite der US-amerikanischen Fachgesellschaft für Kinderheilkunde „American Academy of Pediatrics“ (AAP)AAP: "Supply issues plague nirsevimab ordering", Stand: 17.10.2023 . Diese sprach im Oktober 2023 von „vielen Hindernissen bei der Einführung“ von Nirsevimab und die CDC von einer „hohen Nachfrage und begrenzten Verfügbarkeit“. 

Der Zulassungsinhaber Sanofi musste einräumen, dass „trotz eines aggressiven Lieferplans“ die Nachfrage höher als erwartet gewesen sei und Sanofi zum damaligen Zeitpunkt keine neuen Bestellungen der 100-mg-Dosis annehmen konnte.

Nirsevimab schützt vor RSV-bedingten Krankenhausaufenthalten

Dass Nirsevimab wirkt, bestätigten die CDC-Wissenschaftler erneut. Für ihre Wirksamkeitsanalyse berücksichtigten sie 1.616 Säuglinge, die sie in zwei Gruppen aufteilten: 

  • 765 Säuglinge waren wegen RSV behandelt worden,
  • 851 Säuglinge aufgrund von anderen schweren Atemwegserkrankungen (RSV-negativ).

In der RSV-Gruppe hatten nur zehn Säuglinge Nirsevimab erhalten (1 %). In der RSV-negativen Kontrollgruppe hatten hingegen 126 Säuglinge den prophylaktischen Antikörper verabreicht bekommen (15 %). Die Studienautoren berechnen eine signifikante Schutzwirkung von 89 % vor RSV-bedingten Arztbesuchen (95-%-KI = 79 % bis 94 %) und von 93 % für RSV-bedingte Hospitalisierungen (95-%-KI = 82 % bis 97 %).

Ursprünglich wollten die Wissenschaftler auch die Effektivität von Abrysvo auswerten. Allerdings nahmen die meisten Schwangeren das Impfangebot nicht an, was an dem kurzen Impffenster (32. bis 36. Schwangerschaftswoche), dem frühen RSV-Saisonbeginn und Herausforderungen während der ersten Einführungsphase liegen könnte, überlegen die Studienautoren.

Zur Erinnerung: Abrysvo in der Schwangerschaft

Der aktive RSV-Impfstoff Abrysvo ist für Schwangere zugelassen, seit September 2023 in den USA empfohlen und schützt das Neugeborene passiv über maternale Antikörper – und das bereits ab Geburt. 

Nirsevimab: Künftig begrenzte Verfügbarkeit verbessern

Insgesamt sind die Studienautoren vom Potenzial von Nirsevimab überzeugt: Der Antikörper könne die RSV-bedingte Krankheitslast reduzieren, doch hätten logistische Herausforderungen, die begrenzte Verfügbarkeit und eine niedrige Verabreichungsrate in der ersten Saison den Effekt beeinträchtigt. Die Krankheitslast sei bei RSV nach wie vor hoch, eine künftig frühere und breitere Immunisierung könnte jedoch der öffentlichen Gesundheit erheblich nutzen.