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Mehrere Fälle in Indien: Was ist eigentlich die Tomatengrippe?

Das Tomatenfieber zeigt sich anhand deutlich roter und schmerzender Blasen auf der Haut, die die Größe einer Tomate erreichen können. | Bild: Andrii Zastrozhnov / AdobeStock

„Alarm in Karnataka über die Tomatengrippe“, so betitelte die indische Tageszeitung „The Hindu“ bereits am 12. Mai 2022 eine kurze Meldung. Die Bevölkerung in den Grenzdistrikten des indischen Bundesstaats Karnataka mache sich Sorgen um Fälle der sogenannten Tomatengrippe, die im nördlich angrenzenden Bundesstaat Kerala aufgetreten waren.  

Eine seltene Viruserkrankung

Im August 2022 verbreiten indische und australische Forscher die Sorge vor der möglicherweise neuen Erkrankung nun auch international mit einem Artikel im renommierten Fachjournal „The Lancet“. „Tomato Flu Outbreak in India“ nennen die Autoren Vivek Chavd, Kaushika Patel von der Lok Jagruti University im indischen Ahmedabad und Vasso Apostolopoulos von der Victoria University im australischen Melbourne ihren nicht reviewten online zuerst eingereichten Artikel, den sie durchaus als Warnung formulieren. 

Zwar sei die „seltene Viruserkrankung endemisch und wohl nicht lebensbedrohlich“, die Erfahrung mit COVID-19 lehre aber, dass ein „wachsames Management wünschenswert sei, um weitere Ausbrüche zu verhindern“. Bis 24. August 2022 gab es rund 100 Fälle der Erkrankung in vier indischen Bundesstaaten im Südwesten des indischen Subkontinents. Zuerst sei die neue Krankheit am 6. Mai im Distrikt Kollam in Kerala beschrieben worden, seitdem habe sie sich ausgebreitet.

Rote Blasen, hohes Fieber und Gelenkschmerzen

Beim Tomatenfieber oder auch der Tomatengrippe (Tomato fever oder Tomato Flu) handelt es sich den verschiedenen Berichten zufolge um eine Infektionskrankheit, die insbesondere Kinder unter fünf Jahren betrifft. Erste Symptome seien ähnlich der Chikungunya-Erkrankung (eine Viruserkrankung durch das Chikungunyavirus CHIKV, das durch Stechmücken übertragen wird). Dabei komme es zu Hautausschlägen, hohem Fieber und starken Schmerzen in den Gelenken.  

Namensgebend sind dabei die deutlich roten und schmerzenden Blasen auf der Haut, die die Größe einer Tomate erreichen können. Weitere Symptome ähneln grippalen Infekten mit Müdigkeit, Durchfällen, Übelkeit, Erbrechen und allgemeinem Krankheitsgefühl. 

Ursache der Tomatengrippe noch unklar

SARS-CoV-2 könne man als Ursache ausschließen, heißt es. Insgesamt aber ist der Erreger der Erkrankung noch nicht abschließend identifiziert. Eine Variante oder Folge von Chikungunya könne es sein, auch Ähnlichkeiten mit dem Dengue-Fieber – ebenfalls eine durch Stechmücken übertragene Infektion mit dem Dengue-Virus DENV – diskutieren die Forscher.  

Britische Forscher aus London und Leicester identifizierten unterdessen das Coxsackievirus A16 (CA16) als wahrscheinliche Ursache – ein Enterovirus, das die sogenannte Hand-Fuß-Mund-Krankheit (HFMK) bei Kindern verursacht. Damit sei das Tomatenfieber eine Variante von HFMK. Die Forscher veröffentlichten ihre Erkenntnisse als ebenfalls nicht reviewten „Letter to the Editor“ im Fachjournal „The Pediatric Infectious Desease Journal“. In dem Bericht schildern die Mediziner um Julian Tang und Michael Barer von der Universität und Universitätsklinik Leicester den Fall zweier Kinder, eines 13 Monate alten Mädchens und seinem fünf Jahre alten Bruder, die zurück in Großbritannien eine Woche nach einem einmonatigen Aufenthalt im indischen Kerala Ausschläge an Händen und Beinen entwickelten. Sie hätten mit Kindern in Indien gespielt, die gerade vom Tomatenfieber genesen gewesen seien. 

Bei beiden Kindern habe man auch auf Affenpocken getestet – die Ausschläge seien durchaus vergleichbar, heißt es. Fündig sei man aber beim Test auf Enteroviren geworden und habe CA16 nachgewiesen sowie das verwandte Coxsackievirus A6 CA6. Beide Kinder seien nach spätestens 16 Tagen wieder genesen, die Ausschläge hätten keine Narben hinterlassen, berichten die Mediziner.  

Tomatenfieber erstmals 2007 entdeckt

Unterdessen heißt es in einem weiteren Bericht, der bereits am 12. Juli 2022 im Fachmagazin „Immunity, Inflammation and Disease“ erschien, dass das Tomatenfieber bereits im Jahr 2007 erstmals in Kerala aufgetreten sei. Außerdem berichten die chinesischen, indischen und philippinischen Forscher, dass damals sehr viele Fälle aufgetreten seien – ferner bestreiten die Forscher, dass die Erkrankung harmlos sei. Der Erreger könne mehrere Wochen nach dem Abklingen der Symptome in den Betroffenen persistieren – was sich mit der Infektionsgeschichte der beiden Fälle aus Großbritannien decken würde. 

Darüber hinaus gebe es mindestens 58 Fälle seit 2007 in Kerala, die als Lebensmittelvergiftung eingestuft worden seien und die man im Nachhinein betrachtet als Fälle von Tomatengrippe einstufen müsse. Unter diesen Fällen seien auch zahlreiche Todesfälle verzeichnet worden.  

Die Autoren des Artikels führen auch das Enterovirus 17 als möglichen Verursacher an. Hand-Mund-Fuß gilt auch in Deutschland als sehr ansteckende und bei Kindern unter zehn Jahren weit verbreitete Krankheit. Sie kann aber auch bei Erwachsenen auftreten. Mehrere Enteroviren gelten als Erreger. Sie verbreiten sich über direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten wie Speichel, Nasensekret, Sekret aus den Bläschen, Stuhl sowie über kontaminierte Oberflächen. Kindergärten mit geteiltem Spielzeug, häufigem In-den-Mund-Nehmen von Dingen und noch nicht routinierter Händehygiene (Händewaschen) gelten daher als starke Infektionsquellen.

Tomatengrippe für Deutschland (noch) keine Bedrohung

In der Regel verläuft Hand-Mund-Fuß mild, oft sogar ohne Symptome. Nur selten gibt es schwere Verläufe, am gefährdetsten dafür sind Neugeborene in den ersten zwei Wochen.  

Ob tatsächlich Enteroviren hinter der Tomatengrippe stecken oder doch andere Viren, ist noch nicht abschließend geklärt. Eltern in Deutschland müssten sich wohl keine Sorgen machen, sagte Tim Niehues, Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Helios Klinikum Krefeld und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Allein die geringe Zahl der Fälle spreche gegen eine exponentielle Verbreitung.  

Indien rät Betroffenen zur strikten Isolation

In Indien ist die Regierung allerdings wohl lieber vorsichtig. So hat man Ratschläge zum Umgang mit Erkrankten herausgegeben. Unter anderem rät man zu strikter Isolation der Betroffenen für mindestens fünf bis sieben Tage, berichtet die Tageszeitung „India Today“. Darüber hinaus gibt es Kontrollen an den innerstaatlichen Grenzen zwischen den Bundesstaaten, bei denen auf Krankheitssymptome geachtet wird. Man müsse verhindern, dass sich die Erkrankung auf Erwachsene oder auch auf besonders anfällige Gruppen wie Immungeschwächte ausbreiten könne, schreiben etwa die Autoren des Lancet-Artikels.