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Leitlinie zu Komplementärmedizin für Krebspatienten : Was hilft bei krebsbedingter Fatigue?

Krebspatienten leiden oft an körperlichen, geistigen oder emotionalen Erschöpfungserscheinungen. Nicht selten greifen sie deshalb zu alternativmedizinischen Therapieoptionen. Hierfür stellt nun eine neue Leitlinie fachlich fundierte Informationen bereit. | Bild: fizkes / AdobeStock

Nicht jeder Tumorpatient leidet an Fatigue. Tritt sie allerdings auf, schränkt sie die Lebensqualität der Krebspatienten empfindlich ein. Unter Fatigue versteht man eine schwere körperliche, geistige sowie emotionale Müdigkeit und Erschöpfung, die sich auch durch Schlaf nicht kurieren lässt. Doch was steckt dahinter: Liegt es an der Behandlung oder dem Tumor selbst? 

Akut oder chronisch

Beides scheint möglich. Wie der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) erklärt, gibt es nicht „die“ krebsbedingte Fatigue. Manche Patienten spüren die Erschöpfung eher körperlich und mit schweren Gliedmaßen sowie einem starken Ruhebedürfnis. Andere beschreiben sie eher als psychisches Problem mit Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche und nachlassendem Interesse. Eine Fatigue kann im Akutstadium der Therapie sowie kurz nach der Krebsbehandlung auftreten. Sie kann nach einigen Wochen wieder abklingen (akute Fatigue) oder auch noch lange nach der Therapie für Monate bzw. Jahre oder bei geheilten Menschen Probleme bereiten (chronische Fatigue).

Ursachen von krebsbedingter Fatigue

Laut dem Krebsinformationsdienst lässt sich bei „vielen“ Patienten mit krebsbedingter akuter Fatigue diese als Nebenwirkung der Krebstherapie ausmachen. So zehren Chemotherapien, Immuntherapien, Bestrahlung oder Operationen an den Kräften der Patienten. Aber auch Nebenwirkungen der Behandlungen – wie Appetitlosigkeit oder Übelkeit, Fieber und Infektionen – oder Krankheitssymptome (wie Schmerzen) erschöpfen die Patienten. Zudem kann auch eine geringe Zahl an roten Blutkörperchen zu Müdigkeit führen. Dies kann auftreten, wenn Chemotherapien oder Bestrahlungen die Neubildung von Blutzellen im Knochenmark beeinträchtigen. Die roten Blutkörperchen transportieren den Sauerstoff in unserem Körper, ein Mangel schränkt deswegen die Sauerstoffversorgung und damit die Leistungsfähigkeit ein.

Nicht vergessen sollte man zudem: Krebs kostet Zeit und ist mit Aufwand verbunden. Untersuchungs- und Behandlungstermine gilt es einzuhalten, wodurch sich der bisherige Tagesablauf der Patienten meist komplett verändert und damit auch das Schlaf- und Essverhalten. Bettruhe und Krankenhausaufenthalte lassen Muskeln schwinden, sodass bereits kleinere Anstrengungen immer schwerer fallen. Des Weiteren kostet Krebs durch Ängste und Sorgen auch emotional enorme Kraft.

Neben diesen Faktoren kann auch der Tumor selbst Ursache für Müdigkeit und Erschöpfung sein. Denn: „Das Wachstum der Krebszellen benötigt Energie, die Muskeln und Organen dann fehlt“, erklärt der Krebsinformationsdienst. Das könne sich daran zeigen, dass die Patienten häufig trotz normaler Mahlzeitenportionen abnehmen. Schmerzen und eine plötzliche, ungewohnt starke Erschöpfung sollten Patienten stets als Warnsignal wahrnehmen. Auch können Stoffwechselprodukte des Tumors normale Abläufe im Körper stören und dadurch Erschöpfungszustände fördern.

Körperliches Training und Entspannungsmethoden

Doch was hilft Patienten bei erschöpfender Müdigkeit, wenn Schlaf alleine nicht mehr genügt? Der Krebsinformationsdienst rät dazu, zunächst körperliche Beschwerden, die für eine Fatigue verantwortlich zeichnen können (z. B. Schmerzen), zu behandeln und andere Begleiterkrankungen abzuklären (z. B. Schilddrüsen- oder Herz-/Lungenerkrankungen). Empfehlenswert ist auch einen Blick auf das Schlafmuster des Patienten zu werfen.

„Die eigentliche Behandlung der Fatigue erfolgt in erster Linie ohne Medikamente“, erklärt der Krebsinformationsdienst. Allerdings würden Psychostimulanzien, zum Beispiel Methylphenidat (Ritalin®, zur Behandlung von ADHS), und Cortison derzeit in Studien untersucht. Die Krebsexperten raten vor allem zu körperlichem Training und auch Entspannungstechniken könnten helfen. Mit dieser Empfehlung fahren sie den Kurs der im September 2021 erschienenen ersten S3-Leitlinie „Komplementärmedizin für onkologische Patientinnen und Patienten“. 

Yoga, Tai Chi, Qigong und vielleicht Ginseng 

Die Leitlinienautoren, die einer Vielzahl von Berufsverbänden, Fachgesellschaften und Patientenorganisationen angehören, raten mit starkem Empfehlungsgrad, dass onkologische Patienten während und nach Abschluss von Chemo- oder Radiotherapie Tai Chi, Qigong oder Yoga praktizieren „sollten“. Auch sprechen sie eine Empfehlung für körperliche Aktivität und Sport aus („soll“). Bei Akupunktur, Akupressur und Mindfulness-based Stress Reduction lassen die Leitlinienautoren ihren Empfehlungsgrad offen – das heißt: Der Patient kann bei tumorbedingter Fatigue diese Verfahren ausprobieren. Gleiches gilt für einen Therapieversuch mit Ginseng, für ein „(ärztlich geleitetes) individualisiertes, multimodales komplementärmedizinisches Therapieangebot bei Brustkrebspatientinnen während und nach onkologischer Therapie“ und für eine „Mindfulness-based Stress Reduction“ für Krebspatienten nach adjuvanter Therapie (Therapie nach Krebsoperation). Nach Brustkrebs könnten Patienten zudem einen Therapieversuch mit „anthroposophischer Komplexbehandlung“ ausprobieren. 

Gut zu wissen: Sollte, soll, kann – was bedeutet die Empfehlungsstärke?

In Leitlinien finden sich häufig Ausdrucksweisen wie Empfehlungsgrad „A“, „B“ oder „0“ sowie „starker Konsens“ beziehungsweise „Konsens“ – doch was bedeutet das eigentlich?

Empfehlen die Studienautoren ein Verfahren oder eine Substanz mit dem Empfehlungsgrad A, empfehlen sie dieses Verfahren oder diese Substanz „stark“ – das bedeutet: Der Patient „sollte“ es anwenden. Empfehlungsgrad B ist etwas schwächer, die Leitlinienautoren empfehlen das Verfahren aber durchaus und der Patient „soll“ es anwenden. Steht beim Empfehlungsgrad hingegen eine „0“, „kann“ der Patient das Verfahren anwenden, aber die Leitlinienautoren lassen den Grad ihrer Empfehlung offen.

Und was steckt hinter der Konsensstärke? Liegt ein „starker Konsens“ vor, waren mehr als 95 Prozent der Stimmberechtigten bei Erstellung dieser Leitlinie dieser Meinung. Bei einem „Konsens“ waren sich 75 bis 95 Prozent der Leitlinienautoren einig. Für eine „mehrheitliche Zustimmung“ müssen mehr als die Hälfte (50 Prozent) bis maximal drei Viertel (75 Prozent) aller Stimmberechtigten die gleiche Auffassung in diesem Punkt vertreten, und ein Dissens liegt vor, wenn weniger als die Hälfte (50 Prozent) der Leitlinienautoren der gleichen Meinung waren.

Kein Guarana

Eine klare Absage erteilen die Leitlinienautoren Bioenergiefeld-Therapien und Präparaten mit Guarana. Letzteres konnte die Lebensqualität der Krebspatienten im Zusammenhang mit Fatigue in Studien meist nicht verbessern, weswegen aus Sicht der Leitlinienautoren Krebspatienten Gurarana auch nicht anwenden sollten. Für eine Vielzahl von Therapiemöglichkeiten fehlen derzeit ausreichende Daten, um eine Empfehlung aussprechen zu können: Bryophyllum pinnatum (auch: Kalanchoe pinnata;  phytotherapeutische Dosierung), Carnitin, Kunsttherapie, Meditation, Schwedische Massagen und Zink.

Hintergrund: Warum gibt es die Leitlinie?

Die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin für onkologische Patientinnen und Patienten“ möchte Fachpersonal und Patienten zu komplementärmedizinischen – also alternativmedizinischen – Maßnahmen evidenzbasiert und damit dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechend, „sachlich richtig, laienverständlich, ausgewogen, werbefrei und transparent bezüglich der Informationsquelle und der Interessenslage des Anbieters“ sowie seriös informieren. Grund ist, dass viele Menschen mit einer Krebserkrankung ein hohes Interesse an alternativmedizinischen Verfahren und Präparaten entwickeln. Studien zufolge greift etwa die Hälfte aller Patienten im Laufe der Krebserkrankung auf die Komplementärmedizin zurück – teilweise liegt der Anteil der alternativmedizinisch-affinen Krebspatienten noch deutlich höher: So nutzen 90 Prozent der Brustkrebspatientinnen die Alternativmedizin. Die Leitlinienautoren beschreiben den „typischen Nutzer“ als „weiblich und mit hohem Bildungsstand“ und meist jünger als älter. Warum die Patienten auf andere Verfahren als die Schulmedizin zurückgreifen, kann unterschiedliche Motive haben – manche möchten Nebenwirkungen lindern oder ihren Körper einfach unterstützen. Häufig steckt aber auch der Wunsch der Patienten dahinter, selbst etwas gegen die Krebserkrankung zu tun. „Deshalb ist es wichtig, Krebspatienten über seriöse Informationsquellen, die evidenzbasierte Informationen zu komplementärmedizinischen Maßnahmen geben, zu informieren“, erklären die Leitlinienautoren.