Nach Grippe-Kontakt: Baloxavir einnehmen statt abwarten
Erst seit kurzem ist Baloxavir (Xofluza®) in der EU zugelassen. Das Grippe-Arzneimittel gilt als erste Innovation in der Behandlung und Postexpositionsprophylaxe von Influenza seit dem Neuraminidasehemmer Oseltamivir in Tamiflu®. Wie bei allen neuen Wirkstoffen wirft sodann auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen Blick auf den Nutzen des Präparates: Bietet das Arzneimittel einen Zusatznutzen im Vergleich zu bereits zugelassenen und etablierten Vergleichstherapien? Diese Einschätzung des G-BA hat durchaus Gewicht und Konsequenzen, zumindest, wenn es um den künftigen Arzneimittelpreis und die Erstattung von Xofluza® seitens der Krankenkassen geht. Was also hält der G-BA von Baloxavir? Nicht in allen Indikationen konnte Xofluza® den G-BA überzeugen.
Zulassung für zwei Anwendungsgebiete
Zugelassen ist Baloxavir in zwei Anwendungsgebieten: Xofluza® darf angewendet werden zur Therapie von Influenza und auch zur Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt mit einem an Grippe Infizierten. Beide Indikationen gelten ab einem Alter von zwölf Jahren und für beide Anwendungsgebiete hat der G-BA den Nutzen des CAP-Endonukleasehemmers bewertet.
Gut zu wissen: Wie wirkt Baloxavir?
Baloxavir verfolgt einen neuartigen Wirkansatz: Es hemmt die CAP-abhängige Endonuklease und damit einen der ersten Schritte der Virusvermehrung von Influenzaviren. Xofluza® verhindert, dass die messenger-RNA (mRNA), sprich die Matrix für die Proteinbiosynthese, entstehen kann, die sowohl für Strukturproteine (für die Zusammensetzung von neuen Viren) als auch für Nicht-Strukturproteine (beispielsweise zum Ausschleusen der neuen Viren in den menschlichen Körper) erforderlich sind.
Durch den neuen Angriffspunkt soll Baloxavir auch gegen Oseltamivir-resistente Stämme und Stämme der Vogelgrippe wirksam sein (z. B. H7N9, H5N1). Allerdings gibt es aus Studien auch erste Hinweise, dass sich Grippeviren unter Baloxavir veränderten und sodann ein geringeres Ansprechen auf Baloxavir zeigten. Welche Auswirkungen diese Escape-Mutanten haben – wie infektiös sie sind, wie schwerwiegend die Grippe ist, die sie verursachen –, lässt sich aktuell noch nicht abschätzen.
Baloxavir überzeugt in der Postexpositionsprophylaxe
In der Postexpositionsprophylaxe definierte der G-BA – beziehungsweise das für die wissenschaftliche Bewertung des Arzneimittels zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) – als Vergleichstherapie einmal „beobachtendes Abwarten“ (für Menschen ohne Risiken für einen schweren Grippeverlauf) oder eine Behandlung mit den Virostatika Oseltamivir in Tamiflu® oder Zanamivir in Relenza® (für Menschen mit Risiko für einen schweren Grippeverlauf). Verglichen mit beobachtendem Abwarten sieht der G-BA in der postexpositionellen Einnahme von Baloxavir einen „Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen“. Salopp formuliert: Nach Kontakt mit einem an Grippe Infizierten ist es besser, einmal Baloxavir einzunehmen, als nichts zu tun. Als „beträchtlich“ stuft der G-BA dann einen Zusatznutzen ein, wenn eine deutliche Verbesserung des therapierelevanten Nutzens vorliegt: Schwere Symptome lassen sich abschwächen, die Erkrankung wird spürbar gelindert, die Lebensdauer des Patienten verlängert sich moderat oder schwerwiegende Nebenwirkungen lassen sich vermeiden. Mit dem Wort „Hinweis“ beschreibt der G-BA die Wahrscheinlichkeit dieses Zusatznutzens: Es liegt „eine gute, größere Studie“ vor.
Kein Zusatznutzen im Vergleich zu Tamiflu®
Anders sieht es allerdings aus, wenn der Vergleichspartner Oseltamivir in Tamiflu® ist. Hier sieht der G-BA durch Baloxavir keinen Zusatznutzen in der Postexpositionsprophylaxe. Das heißt: Baloxavir nützt nicht mehr als Tamiflu®. Allerdings kostet Baloxavir ein Vielfaches. Der G-BA kommt auf Therapiekosten für Baloxavir zwischen 109,60 und 209,92 Euro, während laut G-BA die Behandlung mit Oseltamivir 28,40 Euro beziehungsweise mit Zanamivir 32,21 Euro kostet. Wie sinnvoll eine Postexpositionsprophylaxe für ansonsten gesunde Menschen ohne Risikofaktoren ist, beantwortet der G-BA nicht.
Behandlung von Influenza
Keinen Zusatznutzen erkennt der G-BA zudem, wenn Baloxavir nicht angewendet wird, um das Ansteckungsrisiko zu verringern, sondern zur Behandlung von Influenza. Hier setzte der G-BA als zweckmäßige Vergleichstherapie bei Menschen ohne Risiko für influanzabedingte Komplikationen eine rein symptomatische Therapie mit Analgetika, fieber- und entzündungshemmenden Arzneimitteln an. Liegen hingegen Risikofaktoren für einen schweren Grippeverlauf vor, dienten als zweckmäßige Vergleichstherapie zu Baloxavir wieder die Virostatika Oseltamivir und Zanamivir. In beiden Fällen ließ sich der G-BA jedoch nicht von einem Zusatznutzen von Baloxavir überzeugen: „Ein Zusatznutzen ist nicht belegt“, erklärt der G-BA.
Zur Erinnerung: Die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln
Mit Inkrafttreten des AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) im Januar 2011 müssen neue Arzneimittel, nachdem sie zugelassen sind, eine Nutzenbewertung beim G-BA durchlaufen. Wobei die eigentliche Nutzenbewertung das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) übernimmt – im Auftrag des G-BA. Die Einschätzung des IQWiG nutzt der G-BA dann für seine abschließende Nutzenbewertung. Das System soll verhindern, dass neue Arzneimittel mit zu hohen Preisen auf den Markt kommen, die aber an und für sich für den Patienten keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen bieten. Das checkt das IQWiG, indem es das neue Arzneimittel gegen die bereits etablierte Standardtherapie vergleicht. Diese Daten muss der Pharmaunternehmer liefern. Das Ergebnis der Nutzenbewertung dient als Grundlage, welchen Preis die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für ein neues Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff zahlt. Denn nur in den ersten zwölf Monaten nach Markteinführung hat der pharmazeutische Unternehmer freie Hand bei der Preisgestaltung und es gilt sodann der von ihm festgelegte Preis.
Was passiert nun, wenn ein Zusatznutzen vorliegt? In diesem Fall – ein Zusatznutzen liegt erwiesen vor – verhandeln der GKV-Spitzenverband und der jeweilige pharmazeutische Unternehmer innerhalb von sechs Monaten einen Erstattungsbetrag für die GKV. Einigen sie sich allerdings nicht, dann entscheidet eine Schiedskommission einen Preis, sie orientiert sich dabei am europäischen Preisniveau.
Und wenn laut G-BA kein Zusatznutzen vorliegt? Dann landet das Arzneimittel im Festbetragssystem. Kann es nun wiederum keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden, wird ein Erstattungsbetrag vereinbart, der darf jedoch nicht teurer sein als die Therapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Jahrestherapiekosten).