Teil 18: Algen gegen milliardenfachen Hunger?
Hierzulande denken wir bei Algen spontan an eher lästige, unkrautartige Wasserpflanzen auf Gewässern oder in Aquarien. Im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme fällt uns das Sushi-typische, schwarze Nori-Blatt ein, das von einer essbaren asiatischen Meeresalge stammt. In der Alternativmedizin behaupten sich seit Jahrzehnten Chlorella- und Spirulina-Präparate, die aus Mikroalgen gewonnen und als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden. Weniger bewusst ist uns, dass ca. 70 Prozent der industriell hergestellten Lebensmittel aus Algen extrahierte Emulgatoren oder Alginate enthalten. Viele weitere essbare Algen und Algenprodukte befinden sich auf dem Markt. Wie kann man da den Überblick behalten?
Tauchgang in die Welt der Algen
Als Algen bezeichnet man im Wasser oder in Feuchtigkeit lebende Organismen mit Zellkern, die Photosynthese betreiben. Der Name „Alge“ ist abgeleitet aus alga, dem lateinischen Wort für Seegras oder Tang. Eine Sonderrolle spielen die Blaualgen, bei denen es sich um Cyanobakterien handelt. Diese Bakterienart zeichnet sich durch ihre Fähigkeit zur Photosynthese aus und besitzt äußerlich Ähnlichkeit mit Algen. Deswegen werden Cyanobakterien traditionell den Algen zugeordnet. Einige Algen haben sich auch trockenen Lebensräumen angepasst, zum Beispiel gibt es Luftalgen und Bodenalgen.
Weltweit gibt es 400.000 sehr heterogene Algenarten. Nur ungefähr ein Zehntel davon ist wissenschaftlich beschrieben. Annähernd 200 Algenarten werden vom Menschen genutzt.
Orientierung bietet die Einteilung in zwei Gruppen:
- Makroalgen sind mit dem bloßen Auge sichtbar und können meterlang werden,
- Mikroalgen sind mikroskopisch klein.
Große Makroalgen, die wie dichte „Wälder“ wachsen, bezeichnet man auch als Tang oder Seetang. Eine Gruppe sehr kleiner Algen und Mikroalgen bildet zusammen das im Meer schwebende Phytoplankton. Die großen Algenteppiche auf den Ozeanen spielen im Ökosystem unseres Planeten eine unverzichtbare Rolle. Ähnlich wie die Regenwälder sind sie die grüne Lunge unseres Planeten. Denn während sie mit Hilfe der Photosynthese ihre riesige Biomasse aufbauen, schlucken sie tonnenweise Kohlendioxid und produzieren einen beträchtlichen Teil des Sauerstoffs unserer Erdatmosphäre.
Blickpunkt Makroalgen
In Asien werden Algen schon seit Jahrtausenden von den Menschen genutzt. Die wichtigsten Makroalgen, die heutzutage für die Ernährung verwendet oder weiterverarbeitet werden, unterscheidet man nach ihrer braunen, roten oder grünen Farbe. Die unterschiedliche Pigmentierung dient der optimalen Lichtausnutzung in den jeweiligen Gewässern.
Braunalgen (auch Kelp genannt) sind fädig oder blattartig und stammen aus asiatischen, südamerikanischen und europäischen Meeren. Der Blasentang Fucus vesicolosus ist ebenso eine Braunalge wie die in der asiatischen Küche verwendeten Blätter von Hijiki, Kombu, Wakame (auf Deutsch Seegras oder Seetang). Industriell extrahiert man aus Braunalgen Iod sowie das Polysaccharid Alginat. Alginsäure bzw. Algin bildet eine Gelmatrix, die den Braunalgenblättern Festigkeit und Flexibilität verleiht. Diese Eigenschaften macht sich die Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie zunutze, indem sie Alginate als Verdickungs- und Gelierhilfen einsetzt. In der Medizin spielen Alginate vor allem in der Wundversorgung eine Rolle.
Die Rotalge Nori wird – getrocknet und geröstet – als Hülle für Sushi verwendet, aber auch als Suppeneinlage. Im industriellen Maßstab werden aus Nori das Hydrokolloid Carrageen und das gelbildende Agar-Agar gewonnen, ein üblicher Zusatzstoff zum Andicken von Fleischwaren, Desserts, Milchprodukten oder Fertigsuppen.
Die Grünalge Ulva kommt weltweit an Meeresküsten vor und erinnert vom Aussehen her entfernt an ein Salatblatt. Man nennt sie daher auch Meersalat. Sie wird als Nahrungs-, Futter- und Düngemittel verwendet.
Algen als Gemüse und Salat
In Südostasien werden Makroalgen tonnenweise als Nahrungsmittel verzehrt. Sie schmecken meist intensiv nach Meer, würzig-salzig oder auch leicht süßlich. Manche Algen sind auch so gut wie ohne Geschmack. In der Küche verwendet man Algen roh oder gedünstet als Gemüse, Suppeneinlage, Salat, als Zutat für Sushi oder Wok-Gerichte. Frische Algenblätter enthalten zu 90 Prozent Wasser und sind daher kalorienarm. Die Inhaltsstoffe von Algen sind sehr stark abhängig von der Wasserqualität der Umgebung. Der Anteil an Proteinen liegt bei circa 6 Prozent, an Kohlenhydraten bei circa 2 Prozent, an Fett bei circa 0,5 Prozent. Häufig werden höhere Nährwertanteile genannt, die sich dann jedoch auf getrocknete Algen beziehen. Auch Eisen und Calcium sowie die Vitamine C, B12 und Beta-Carotin sollen enthalten sein.
Achtung, Iod!
Vorsicht ist beim Verzehr von Meeresalgen wegen eines möglicherweise zu hohen Iodgehalts geboten, was vor allem für Menschen mit Schilddrüsenüberfunktion oder so genannten heißen Knoten an der Schilddrüse gefährlich werden kann. Wer Algen in der Küche selbst zubereitet, kann durch gründliches Waschen und Einweichen den Iodgehalt verringern.
Die Beurteilungen, ob der Verzehr von Meeresalgen gesund ist oder nicht, fallen unterschiedlich aus. Neben einem schwer einzuschätzenden Iodgehalt können Algen durchaus schadstoffbelastet sein und zum Beispiel auch die im Meer heutzutage weit verbreiteten Mikro-Kunststoffpartikel enthalten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Erwachsenen und Jugendlichen, nicht mehr als 0,2 Milligramm Iod pro Tag bzw. ein Gramm Algen pro Tag zu verzehren. Es gibt in Deutschland keine Verpflichtung, den Iodgehalt von Algenprodukten zu deklarieren. Trotzdem weisen einige Hersteller die durchschnittlichen Iodgehalte ihrer Produkte aus und informieren auch über Grenzwerte. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) fordert für getrocknete Algenprodukte eine Höchstgrenze von 20 Milligramm Iod pro Kilogramm.
Blickpunkt Mikroalgen
Unter dem Begriff Mikroalgen werden mikroskopisch kleine Arten zusammengefasst. Zu ihnen gehören insbesondere einzellige oder mehrzellige Algen-Winzlinge, aber auch die ein- und mehrzelligen Cyanobakterien, die nur aufgrund ihres Aussehens den Algen zugeordnet werden. Die bekanntesten dieser grünen und blaugrünen Algen, die vom Menschen genutzt werden, sind
- Chlorella,
- Spirulina und
- AFA-Algen (=Aphanizomenon flos aquae).
Inhaltsstoffe von Mikroalgen sind Polysaccharide, Proteine, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Farbstoffe (Chlorophyll, Betacarotin), Vitamine und Mineralstoffe. Die Algenproteine sind biologisch hochwertig und können somit durchaus eine interessante Eiweißquelle für den Menschen darstellen.
Mikroalgen spielen in der Lebensmittel-, Kosmetik und Pharmaindustrie zunehmend eine Rolle, weshalb sie immer häufiger in Aquakulturen und Bioreaktoren gezüchtet werden, auch um eine verlässliche Qualität sicherzustellen.
Chlorella – in Deutschland gezüchtet
Chlorella ist eine weit verbreitete grüne Süßwasseralge. Sie bildet kugelförmige, einzeln vorliegende sehr kleine Zellen, die Chlorophyll enthalten. Die Chlorella-Alge ist in der Wissenschaft besonders bekannt, weil an ihr in den 1950er-Jahren die Photosynthese erforscht und aufgeklärt wurde.
In Deutschland gibt es seit 1999 eine Produktionsanlage, in der Chlorella in einem 500 km langen Glasröhrensystem kultiviert wird. So kann von allen Seiten Licht auf die Alge fallen, was die Vermehrung ankurbelt. Alle drei Tage kann ein Drittel der Biomasse geerntet werden.
Verwendung findet Chlorella zur Grünfärbung von Lebensmitteln, als Wirkstoff in Kosmetika und zur Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln.
Die Alternativmedizin verspricht durch Chlorella eine Schwermetallausleitung aus dem Körper, vor allem nach der Entfernung von Amalgam aus den Zähnen. Als Begründung wird angeführt, dass die aus Zellulose-Schichten aufgebauten Zellwände der Algen eine hohe Bindungskapazität für toxische Stoffe besitzen. Deshalb filtern Algen auch die Gewässer, in denen sie leben. Das heißt im Gegenzug: Algen aus natürlicher Umgebung können mit toxischen Stoffen und in den Gewässern befindlichen Mikropartikeln belastet sein. Wissenschaftlich belegt ist ein Engiftungseffekt von Chlorella im menschlichen Organismus nicht. Wegen seines Vitamin-B12-Gehalts wird Chlorella für Vegetarier und Veganer angepriesen. Doch die Mengen des Vitamins sind äußerst gering und nicht geeignet, einen Vitamin-B12-Mangelstatus zu beheben.
Kein Nährstoffwunder
Nahrungsergänzungsmittel mit Chlorella werden im Internet beworben als „wahre Nährstoffwunder“ mit einem „Powerpaket“ an Vitaminen, Mineralien, essenziellen Fett- und Aminosäuren sowie Chlorophyll mit vitalisierender Wirkung auf den ganzen Körper, Diabetiker-freundlichen Kohlenhydraten und Ballaststoffen für eine gute Verdauung. Bei einer empfohlenen Tagesdosis von sechs Gramm kann man sich allerdings schwer vorstellen, dass die Makronährstoffe Protein, Fett, Kohlenhydrate oder gar für die Ballaststoffe schon aus rein quantitativer Sicht einen Effekt auslösen können. Belastbare wissenschaftliche Belege für Gesundheitsaussagen zu Chlorella oder für die ernährungsphysiologische Bedeutung von Chlorophyll gibt es nicht.
Spirulina & Co.
Außer Chlorella spielen Spirulina und AFA-Algen, die beide in die Welt der Cyanobakterien gehören, eine beachtliche Rolle auf dem heiß umkämpften Markt der Nahrungsergänzungsmittel. Mehr zu diesen beiden Mikroalgen lesen Sie in der nächsten Folge unserer Superfood-Serie.
Ausblick
Ist die Alge ein Lebensmittel der Zukunft für zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten? Faszinierend ist das schnelle Wachstum von Algen. Keine andere Nahrungspflanze erzeugt in so kurzer Zeit so viel Biomasse wie Algen. Außerdem ist die Algenzüchtung unabhängig von Ackerflächen und Bodenqualität. Die Idee, proteinhaltige Biomasse allein aus Sonnenenergie, Nährsalzen und Kohlendioxid zu gewinnen und dabei Sauerstoff zu produzieren, ist verlockend. In Deutschland gibt es einige Algenzucht-Forschungsprojekte, die auch im Zusammenhang mit Klimaschutzinitiativen stehen und zum Teil vom Europäischen Landwirtschaftsfonds unterstützt werden. Man darf gespannt auf Ergebnisse warten.