Mehrkostenretaxationen: Wann trägt die GKV die Mehrkosten?
Aus einer Apotheke erreichte uns folgende Anfrage:
„Aufgrund der andauernden Lieferengpässe stellen wir uns regelmäßig die Frage, ob wir Mehrkosten zulasten der GKV abrechnen können. Ist dies in jedem Fall möglich, wenn es keine Alternative ohne Mehrkosten gibt?“
Trotz der Lieferengpässe und der damit verbundenen Schwierigkeiten, Kunden schnell mit den benötigten Arzneimitteln zu versorgen, wurde an der im Rahmenvertrag festgehaltenen Regelung, wann Mehrkosten zulasten einer GKV abgerechnet werden dürfen, nichts geändert. Weiterhin gilt:
§ 11 Abs. 3 Rahmenvertrag
„Ist bei einer Abgabe nach Absatz 2 kein Fertigarzneimittel zum Festbetrag verfügbar, trägt die Krankenkasse abweichend von § 31 Absatz 2 Satz 1 SGB V die Mehrkosten. Bezugsgröße für die Bemessung der Zuzahlung nach § 61 Satz 1 SGB V ist der Abgabepreis des Fertigarzneimittels.“
Die genannte Abgabe nach Absatz 2 bezieht sich dabei auf den Fall, dass kein Rabattarzneimittel verfügbar ist und die Apotheke ein anderes, lieferfähiges Arzneimittel auswählen muss.
Die Beschränkung der Kostenübernahme besteht also weiterhin: Mehrkosten dürfen nur zulasten der GKV abgerechnet werden, wenn Rabattarzneimittel nicht lieferbar sind.
Retaxationen weiterhin möglich
Retaxationen treten in diesem Bereich weiterhin auf, wenn eine Apotheke ein mehrkostenpflichtiges Arzneimittel mangels Alternativen abgibt und die Mehrkosten zulasten der Krankenkasse abrechnet.
Selbst wenn ordnungsgemäß auf dem Rezept dokumentiert wird, dass alle anderen infrage kommenden Arzneimittel nicht lieferbar sind, folgt in der Regel eine Retaxation – dann muss die Apotheke die Mehrkosten selbst tragen.
Müssen Patienten für die Mehrkosten aufkommen?
Streng nach Rahmenvertrag beurteilt ist die Krankenkasse mit solch einer Retaxation im Recht – die Apotheke, die die Mehrkosten nicht dem Patienten in Rechnung gestellt hat, hat das Nachsehen. Ob Patienten aber für Mehrkosten aufkommen müssen, wenn Nichtrabattarzneimittel nicht lieferbar sind, darf infrage gestellt werden.
Diese Auffassung vertritt auch das Bundesamt für Soziale Sicherung und fordert Klärung im Rahmenvertrag (Rundschreiben des Bundesamts für Soziale Sicherung, „Mehrkosten bei Abgabe eines Arzneimittels“; 19. Januar 2022, AZ: 211-5411.3-1982/2020) :
„Seit dem 1. April 2020 gilt mit Einfügung des Absatzes 4c in § 129 SGB V (aufgrund des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz, GKV-FKG) eine Neuregelung zur Abgabe von Arzneimitteln für die Versorgung bei Lieferengpässen von Rabattarzneimitteln. Geregelt wird hierfür explizit auch die Nichtgeltung von Festbeträgen, wenn die Versorgung nur mit einem Arzneimittel oberhalb des Festbetrages möglich ist. Hierfür gilt ausdrücklich das Sachleistungsprinzip.
Eine gleichartige Situation kann sich jedoch auch ergeben, wenn notwendige festbetragsgeregelte Arzneimittel, für die keine Rabattvereinbarung besteht, nicht verfügbar sind. Nach uns vorliegenden Hinweisen aus der Praxis berufen sich dann die Krankenkassen zum Teil auf das Wirtschaftlichkeitsgebot und sehen ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten mit dem Festbetrag als erfüllt an (vgl. § 12 Abs. 2 SGB V, § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB V).
Allerdings sehen wir an dieser Stelle eine Verletzung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten nach § 2 SGB V. Die Abgabe des Arzneimittels über dem Festbetrag erfolgt hier nicht etwa auf Wunsch des Versicherten, sondern nur wegen der Lieferschwierigkeiten. Diese liegen nicht im Verantwortungsbereich des Versicherten.“
Retaxation vermeiden: Das können Apothekenmitarbeiter tun
Liegen keine Rabattverträge vor und kann die Apotheke aufgrund von Lieferengpässen nur ein Arzneimittel mit Mehrkosten abgeben, so sollte folgendermaßen vorgegangen werden: Die Patienten sollten nach aktuellem Stand die Mehrkosten zunächst in der Apotheke bezahlen und dann die Quittung mit den ausgewiesenen Mehrkosten bei ihrer Krankenkasse einreichen, damit ihnen diese erstattet werden.
Zielführend wäre zukünftig eine entsprechende Regelung im Rahmenvertrag analog der jetzigen Regelung in § 11 Abs. 3. So wäre die Abrechnung direkt über die GKV – ohne Umweg über den Kunden – möglich.
Lohnt sich ein Einspruch?
Wurden die Mehrkosten nicht dem Kunden, sondern der GKV in Rechnung gestellt und anschließend von der Krankenkasse retaxiert, kann dagegen Einspruch eingelegt werden. Doch wie die Praxis zeigt, sind derartige Einsprüche nicht immer von Erfolg gekrönt: Es gibt Kollegen, die damit schon Erfolg hatten – allerdings nur mit reichlich „Papierkram“. Bei anderen Kollegen wurden vergleichbare Einsprüche hingegen abgelehnt.
Ausnahmeregelungen zu Mehrkosten bei Krankenkassen?
Um Apotheken und Patienten zu entlasten, sehen verschiedene Krankenkassen mittlerweile auch Erleichterungen bezüglich der anfallenden Mehrkosten vor. Jedoch gilt dies nur im Rahmen von Ausnahmeregelungen und oft nur für ausgewählte Wirkstoffe. Dies sollten Apotheken jeweils prüfen – vielleicht ergibt sich so doch die Möglichkeit, die Mehrkosten aufgrund von Lieferengpässen direkt mit der GKV abzurechnen.
Um nicht in eine Retaxfalle zu tappen, gilt ansonsten weiterhin: Sofern Mehrkosten fällig werden und nicht die Lieferschwierigkeiten eines Rabattarzneimittels ursächlich dafür sind, müssen die Mehrkosten dem Patienten in Rechnung gestellt werden. Dann liegt der „Schwarze Peter“ beim Patienten, der versuchen sollte, die Mehrkosten bei seiner Krankenkasse einzureichen.