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Deutsches Gesundheits­system: teuer, aber nicht effizient

PTA hält zwei Schachteln in der Hand
Häufig sind Arzneimittelverordnungen nicht angemessen. | Bild: Arnéll Koegelenberg/peopleimages.com / AdobeStock

Nicht jede Diagnostik, Arzneimittelverordnung oder Behandlung ist sinnvoll. Einige davon sind medizinisch unangemessen: Ihr möglicher Nutzen wird nicht durch die entstehenden Kosten oder potenzielle Risiken aufgewogen. 

Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen: Unangemessene medizinische Leistungen verursachen in Deutschland jedes Jahr Kosten in Millionenhöhe.

Große Studie zu unangemessenen medizinischen Leistungen

Professorin Verena Vogt hat gemeinsam mit einem mehrköpfigen Forschungsteam erstmals Daten zu der Prävalenz, der Verteilung und den Kosten unangemessener medizinischer Leistungen in Deutschland veröffentlicht.

Ihre Studie wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert, sie führten sie gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse und dem Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung durch.

In einem ersten Schritt machten die Forschenden zunächst eine systematische Literaturrecherche. Dabei identifizierten sie insgesamt 123 medizinische Leistungen, die von Fachgesellschaften weltweit als unangemessen eingestuft werden. Von diesen waren nach ihren Erkenntnissen 42 im Kontext des deutschen Gesundheitssystems potenziell auswertbar.

Anschließend wurden 62 Vertreter medizinischer Fachgesellschaften und Berufsverbände sowie Patientenvertreter einbezogen – pharmazeutische Organisationen oder Verbände waren nicht darunter. In einem Delphi-Verfahren arbeiteten die Vertreter insgesamt 24 Leistungen heraus, die in deutschen Krankenkassendaten relevant und messbar sind.

Gut zu wissen: Was ist das Delphi-Verfahren?

Das Delphi-Verfahren, auch Delphi-Methode genannt, ist eine mehrstufige, schriftliche Befragung mit Rückkopplung von Experten. 

Hierbei erhalten Experten einen nach festen Kriterien auswertbaren Fragebogen zu einem bestimmten Thema. Die aus den Fragebögen ermittelten Mittelwerte werden den Experten zur Verfügung gestellt (Rückkopplung) und diese können erneut ihre Einschätzung abgeben, was zu einer neuen Auswertung führt. Diese Rückkopplung kann mehrfach wiederholt werden. /mia

Bis zu 10 Prozent unangemessene medizinische Leistungen

Sieben der 24 unangemessenen medizinischen Leistungen betrafen Arzneimittel:

  • Antibiotika bei unkomplizierten Atemwegsinfekten
  • Antibiotika bei akuten Mittelohrentzündungen
  • Benzodiazepine für Menschen über 65 Jahre als Mittel der ersten Wahl
  • Unwirksame Medikamente (wie zum Beispiel ausgewählte Nootropika) bei Alzheimer
  • Opioide bei Migräne und Kopfschmerzen
  • Säureblocker bei unkompliziertem gastroösophagealen Reflux
  • Mittel gegen Husten oder Erkältungen

Schließlich wurden die von der Techniker Krankenkasse zur Verfügung gestellten Abrechnungsdaten von 11,1 Millionen Versicherten aus den Jahren 2018 bis 2021 auf die unangemessenen medizinischen Leistungen hin ausgewertet. 

Von den insgesamt 10,6 Millionen untersuchten Leistungen jährlich entfielen zwischen 4,0 und 10,4 Prozent auf solche, die als medizinisch unangemessen eingestuft wurden. Dies entspricht Ausgaben im Wert von 9,9 und 15,5 Millionen Euro jährlich im ambulanten Sektor.

Viele Arzneimittelverordnungen sind nicht angemessen

Mehr als die Hälfte (55 Prozent) aller unangemessenen medizinischen Leistungen entfielen hierbei auf die oben aufgezählten sieben Verordnungsszenarien von Arzneimitteln. 

Hierbei waren die Verschreibung von Antibiotika bei unkomplizierten Atemwegsinfekten (281.664 Versicherte) und von Benzodiazepinen bei Älteren (81.742 Versicherte) besonders häufig. 

Knapp 61 Prozent aller unangemessenen Leistungen entfielen auf weibliche Versicherte, die jedoch nur die Hälfte der Gesamtversicherten (50,6 Prozent) ausmachten.

Aus den Kategorien unangemessene diagnostische Tests und Behandlungen waren 

  • die Bestimmung des freien T3/T4-Levels bei Versicherten mit Hypothyreose, 
  • das Testen auf Tumormarker ohne vorliegende Tumordiagnose sowie 
  • das Ansetzen einer Inhalationstherapie bei COPD ohne zuvor durchgeführte Spirometrie 

die häufigsten unangemessenen Leistungen. Deutschland habe zwar eines der teuersten Gesundheitssysteme, aber nicht eines der effizientesten, folgert Vogt. doi: 10.1016/j.jval.2024.10.3852
doi: 10.1371/journal.pone.0314864
www.tu.berlin/news/detail/ueberversorgung-im-deutschen-gesundheitssystem-unangemessene-medizinische-leistungen-identifiziert