Aktuelles
6 min merken gemerkt Artikel drucken

Herzinsuffizienz: Die nächste Indikation für Semaglutid?

Übergewichtiger Mann hält beide Hände auf sein Herz
Die Behandlung mit Semaglutid bei Adipositas ist auch gut fürs Herz. | Bild: StockerThings / AdobeStock

Zuletzt hatten die Aktien des dänischen Pharmaunternehmens Novo Nordisk etwas nachgegeben, dem Patenthalter des GLP-1-Agonisten Semaglutid (Wegovy® und Ozempic®). Das dürfte sich – da sind sich die Analysten einig – künftig wieder ändern. 

So schätzt etwa der Marktanalyst „Grand View Research“, dass sich der Umsatz mit GLP-1-Agonisten allein in Nordamerika von 41 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr auf 126 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 verdreifachen könnte.

Neue Indikationen für Semaglutid im Blick

Neben der dabei insbesondere wachsenden „Lifestyle“-Nachfrage nach Semaglutid als „Abnehmspritze“ (also ohne weitere medizinische Indikation) hat das aber auch damit zu tun, dass sich die Forschungsergebnisse mehren, die dem GLP-1-Agonisten positive Effekte bei Adipositas-assoziierten Erkrankungen zuschreiben.

Neben seiner ursprünglichen Indikation als Mittel gegen Diabetes Typ 2 und der seit 2023 auch in Deutschland zugelassenen Anwendung allgemein zur Therapie von Adipositas bei Erwachsenen und Jugendlichen (allerdings ohne Kostenübernahme durch die GKV, wenn keine weiteren Indikationen vorliegen) könnten künftig weitere hinzukommen. 

Viel spricht etwa dafür, dass Semaglutid die wenigen bislang verfügbaren Therapeutika bei Herzinsuffizienz künftig erweitern könnte.

Semaglutid bei Adipositas-assoziierter Herzinsuffizienz

Insbesondere die Studien STEP-HFpEF, STEP-HFpEF-DM (Semaglutide Treatment Effect in People with Obesity / and Diabetes mellitus) und SELECT (Semaglutide Effects on Cardiovascular Outcomes in People with Overweight or Obesity) konnten zeigen, dass das Inkretin-Mimetikum einen positiven Effekt im Zusammenhang mit Herzinsuffizienz hat.

HFpEF steht dabei für „Heart Failure with preserved Ejection Fraction“, also Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion. Bei dieser Form der „Herzschwäche“ pumpt das Herz zwar normal, durch eine Versteifung der Herzwände kann es sich aber nicht mehr mit dem benötigten vollständigen Blutvolumen füllen – das schränkt die Menge des mit jedem Schlag gepumpten Blutes ein.

Dabei geht man davon aus, dass bestimmte Vorerkrankungen und Risikofaktoren zur Versteifung des Herzens führen. Dazu gehören:

  • Bewegungsmangel
  • Adipositas
  • Rauchen
  • Bluthochdruck
  • Diabetes mellitus
  • Koronare Herzerkrankung
  • Chronische Nierenerkrankung
  • Chronisch-obstruktive Lungenkrankheit (COPD)
  • Obstruktive Schlafapnoe

Die verminderte Pumpleistung bewirkt unter anderem Flüssigkeitsansammlungen in der Lunge, den Venen und im Gewebe, da die Lymphe, die an den Blutkreislauf gekoppelt ist, nur eingeschränkt abfließen kann.

Bei einer Adipositas-assoziierten HFpEF liegt die Ursache der Versteifung vor allem in einer „progressiven Expansion und Umwandlung des vor allem epikardialen Fettgewebes“, sagen Mediziner.

Gut zu wissen: Was sind die Symptome einer HFpEF?

Symptome von HFpEF sind unter anderem:

  • Kurzatmigkeit bei Anstrengung, in Ruhe oder liegend
  • Verminderte Leistungstoleranz
  • Müdigkeit
  • Druckbeschwerden in der Brust
  • Wassereinlagerung in den Beinen mit Schwellung

Studien erfassten Veränderungen in Gewicht, Diuretika und Lebensqualität

Für die STEP-HFpEF- und STEP-HFpEF-DM-Studien hatten die Forschenden insgesamt 1.145 Probanden mit HFpEF und Adipositas sowie mit oder ohne Diabetes mellitus Typ 2 jeweils in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Untersuchungsgruppe erhielt für ein Jahr einmal wöchentlich eine Dosis von 1,4 Milligramm Semaglutid, die Kontrollgruppe ein Placebo.  

Neben der Veränderung des Gewichts kontrollierten die Forschenden Veränderungen bei der HFpEF-Symptomatik – zum einen subjektiv durch einen standardisierten Fragebogen zur Selbsteinschätzung (den Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire Clinical Summary Score (KCCQ-CSS)) und zum anderen objektiv durch die gemessene körperliche Leistungsfähigkeit im sogenannten Sechs-Minuten-Gehtest. Dabei wird die in sechs Minuten zurückgelegte Gehstrecke gemessen. Der KCCQ ist auch ein Maß für die Lebensqualität.

Außerdem erfassten die Forschenden in einer weiteren Auswertung die Veränderungen bei der Dosierung von Diuretika bei den Probanden und Probandinnen. 

Dank Semaglutid weniger Diuretika nötig

Auswertungen der SELECT-Studie konnten zeigen, dass Semaglutid bei Adipositas-Patienten mit bereits bestehender Herzinsuffizienz das Risiko von Herz-Kreislauf-Ereignissen deutlich senken kann.  

In den STEP-HFpEF- und den STEP-HFpEF-DM-Studien stellte sich heraus, dass bei Patienten mit bestehender Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (und Adipositas) bei einer Behandlung mit Semaglutid die Symptome der Herzinsuffizienz deutlich zurückgingen und sich auch die körperlichen Funktionen wieder verbesserten.

Zu den Veränderungen bei den mit dem GLP-1-Agonisten therapierten Patienten gehörte dabei auch, dass sich der Bedarf an Diuretika, insbesondere hochwirksamer sogenannter Schleifendiuretika (die an der Henleschen Schleife in der Niere wirken), deutlich reduzierte. Bei HFpEF-Patienten sind Diuretika ein Mittel, um die Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe zu reduzieren.

Weniger Gewicht, mehr Lebensqualität, gesteigerte Körperfunktion

Außerdem verbesserte sich im Ergebnis in den Semaglutid-Gruppen das Körpergewicht – alle Behandelten hatten einen deutlichen Gewichtsverlust. Ferner verbesserte sich der Score des KCCQ – die Semaglutid-Behandelten gaben im Schnitt also eine deutlich höhere Lebensqualität an. 

Auch die Strecken im Sechs-Minuten-Gehtest waren bei den Therapierten im Schnitt länger. Und die Dosis der Diuretika sank – so nahmen nach 52 Wochen 17 Prozent der Teilnehmer aus der Semaglutid-Gruppe weniger Schleifendiuretika ein, während in der Vergleichsgruppe sogar 2,4 Prozent eine höhere Dosis benötigten.

Therapie der Adipositas verbessert HFpEF-Symptome

Die Forschenden gehen davon aus, dass die positiven Effekte insbesondere auf der Reduktion der Adipositas beruhen und es somit einen nachweisbaren medizinischen Nutzen der Gewichtsabnahme übergewichtiger oder adipöser Patienten gibt.

Die Ergebnisse bedürfen wohl noch weiterer Evidenz durch größere Studien – es spricht aber viel dafür, dass Semaglutid bei Adipositas und daraus entstandener Herzinsuffizienz eine Therapie-Option jenseits einer reinen Lifestyle-Anwendung darstellen könnte.  

Die Begründung für die Indikation HFpEF mit Adipositas läge dann nicht auf einer direkten Wirkung auf die Herzinsuffizienz, sondern auf deren Ursache, die damit im Fall von Adipositas wohl reversibel zu sein scheint – womöglich weil sich Fettgewebe rund um das Herz („epikardiales Fettgewebe“) zurückbildet. Tatsächlich geklärt ist der Wirkmechanismus allerdings noch nicht.

Interessanterweise gibt es aber auch für den GLP-1-Agonisten Tirzepatid eine Studie namens SUMMIT, die ein geringeres Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle oder Verschlechterung der Herzinsuffizienz sowie einen besseren Gesundheitszustand bei Tirzepatid-Behandelten zeigt.

Zugelassen für die Indikation HFpEF sind beide Wirkstoffe bislang nicht. Quellen:
https://www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/mit-novo-nordisk-und-einer-ueberraschung-sind-das-die-besten-pharma-aktien-bis-2030-20375519.html

https://www.aerzteblatt.de/archiv/semaglutid-abnehmmedikamente-als-lifestyle-552e544e-0ab9-4d97-a24f-06ac04eb17d8

https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Semaglutid_55565

https://www.akdae.de/arzneimitteltherapie/arzneiverordnung-in-der-praxis/ausgaben-archiv/ausgaben-ab-2015/ausgabe/artikel?tx_lnsissuearchive_articleshow%5Baction%5D=show&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Barticle%5D=6197&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Bcontroller%5D=Article&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Bissue%5D=35&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Byear%5D=2023&cHash=ac65b2e9f1f22497e49c2f0a65019bea

https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1325-7517

https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)01498-3/fulltext

https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2306963

https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2313917

https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2410027