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Reformdruck im Gesundheitswesen: Experten fordern stärkere Rolle der Apotheken

Vanessa Conin-Ohnsorge, Stefan Hartmann und Klara Hartmann haben gemeinsam den Kooperationsgipfel eröffnet. | Bild: BVDAK / Melanie Löffler 

Auf dem diesjährigen Kooperationsgipfel („KoGi“) in München, der sich aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen widmete, setzte Vanessa Conin-Ohnsorge gleich zu Beginn ihres Eröffnungsvortrags ein klares Zeichen: Gesundheitspolitik mag selten die Schlagzeilen beherrschen, doch ihre Bedeutung sei größer denn je. Sie hob hervor, dass die Komplexität des Systems oft als Hindernis für Veränderungen bezeichnet werde. Doch anstatt sich von der Schwierigkeit abschrecken zu lassen, sei es nun an der Zeit, aktiv zu handeln.

Es geht nicht mehr einfach „weiter so“

Die Medizinerin, die traditionell gemeinsam mit BVDAK-Vorsitzendem Stefan Hartmann den „KoGi“ eröffnet, mahnte, dass ein einfaches „Weiter-so“ nicht mehr tragfähig sei. Wissen über sinnvolle Reformen sei längst vorhanden, es fehle jedoch an mutigen politischen Entscheidungen. Notwendig seien tiefgreifende, aber verständliche und möglicherweise auch radikale Reformen. Der Schlüssel liege in einem transparenten Dialog aller Akteure sowie einer stärkeren Fokussierung auf Bedarfsmedizin statt auf reine Mengenmedizin. Ein zentrales Anliegen von Conin-Ohnsorge ist die Neuausrichtung des Gesundheitswesens: Weg von einer reinen Krankheitsverwaltung hin zu einem System, das Prävention, Patientenautonomie und langfristige Versorgung in den Mittelpunkt stellt. Sie forderte bessere politische Rahmenbedingungen, um Patienten mehr Eigenverantwortung zu ermöglichen und die Gesundheitsversorgung grundlegend neu zu gestalten.

Blick auf internationale Modelle: Was Deutschland lernen kann

Ein bloßer nationaler Blickwinkel reicht laut Conin-Ohnsorge nicht aus. Sie verwies auf erfolgreiche Ansätze aus anderen Ländern wie den Niederlanden, Schweden, Frankreich und Japan. Dort sei die Rolle der Apotheken im Gesundheitssystem weit stärker integriert als in Deutschland. Apotheken arbeiten dort eng mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Akteuren zusammen, um eine umfassendere, effektivere Patientenversorgung sicherzustellen.

Diesen Gedanken aufgreifend, plädierte Conin-Ohnsorge für ein Umdenken in der Apothekenlandschaft. Ihr Appell: „Lasst uns Apotheke anders denken.“ Die pharmazeutischen Fachkräfte müssten über ihre klassische Rolle der Medikamentenabgabe hinauswachsen und verstärkt in präventive Maßnahmen, frühzeitige Diagnosen und das Management chronischer Erkrankungen eingebunden werden.

„Pharmacy first“: Apotheken als erste Anlaufstelle für Gesundheitsfragen 

Stefan Hartmann, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK), griff diesen Gedanken auf und skizzierte seine eigene Vision für die Zukunft der Apotheken. Sein Konzept „Pharmacy first“ sieht Apotheken als zentrale Anlaufstelle für gesundheitliche Anliegen. Patienten sollten sich mit ihren Beschwerden zunächst an die Apotheke wenden können, um dort eine erste Einschätzung und gezielte Unterstützung zu erhalten.

Dafür sei es jedoch entscheidend, dass die Leistungen der Apotheken stärker nach außen getragen werden. Hartmann betonte, dass es an einer durchsetzungsfähigen berufspolitischen Vertretung fehle, die klar vermittelt, welche essenzielle Rolle Apotheken bereits heute spielen.

Ungewöhnlich für ihn war dabei sein versöhnlicher Ton gegenüber der Standesvertretung. Während er in der Vergangenheit häufig Kritik an der ABDA äußerte, sieht er in der neuen Führungsriege nun eine echte Chance für eine schlagkräftigere Interessenvertretung der Apothekerschaft. Er kündigte an, die ABDA aktiv unterstützen zu wollen, betonte aber gleichzeitig, dass sich die gesamte Apothekenlandschaft neu aufstellen müsse.

Gemeinsames Vorgehen statt Silodenken 

Ein zentrales Problem sieht Hartmann in der Fragmentierung der Standesvertretung. Zahlreiche Verbände und Netzwerke vertreten teils unterschiedliche Interessen, anstatt ihre Kräfte zu bündeln. Er forderte daher ein Ende des „Silodenkens“ und eine engere Kooperation aller relevanten Organisationen.

Sein Vorschlag: Die ABDA sollte zur zentralen Schnittstelle zwischen den verschiedenen Verbänden werden und sich mit Akteuren wie Phagro, dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und Pharma Deutschland zusammenschließen. Gemeinsam könnten sie mit einer einheitlichen Stimme auftreten und die Interessen der Apothekerschaft in der Politik deutlicher vertreten.

Konkrete Forderungen: Rx-Versandverbot, neue Abgaberegeln und Reformen im Apothekenrecht

Neben den strukturellen Veränderungen nannte Hartmann auch eine Reihe konkreter Forderungen, um die wirtschaftliche und rechtliche Situation der Apotheken zu verbessern.

Dazu zählt ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten (Rx-Versandverbot) oder zumindest eine verpflichtende Temperaturkontrolle beim Versand. Dies soll sicherstellen, dass Medikamente unter optimalen Bedingungen transportiert und gelagert werden.

Ein weiterer umstrittener Punkt ist die Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten ohne ärztliches Rezept. Hartmann sprach sich für eine Regelung aus, die Apotheken in bestimmten Fällen die Abgabe erleichtert, insbesondere bei wiederkehrenden oder klar diagnostizierten Erkrankungen.

Zusätzlich fordert er eine deutliche Ausweitung der pharmazeutischen Dienstleistungen. Apotheken sollten mehr Spielraum erhalten, um beispielsweise in der Prävention, Impfberatung oder beim Medikationsmanagement eine aktivere Rolle einzunehmen.

Ein weiteres dringendes Anliegen ist die Haftungsbegrenzung für Apotheker. Derzeit haften selbstständige Apothekeninhaber mit ihrem gesamten Privatvermögen, was für viele ein Hindernis darstellt, sich selbstständig zu machen. Hartmann sieht darin ein großes Problem für die Zukunftssicherung der Apothekenbranche und fordert eine Reform der Haftungsregelungen.

Auch das Apothekengesetz und die Apothekenbetriebsordnung hält er für reformbedürftig. Allerdings spricht er sich klar dafür aus, dass die notwendigen Anpassungen von den Apothekenverbänden selbst erarbeitet werden sollten. Das Fachwissen sei in den Netzwerken vorhanden – es müsse nur genutzt werden, um sinnvolle Änderungen durchzusetzen. Es braucht tiefgreifende, mutige Veränderungen, um das System zukunftsfähig zu machen.

Besonders Apotheken könnten dabei eine entscheidende Rolle spielen – wenn sie nicht nur als reine Medikamentenabgabestellen wahrgenommen werden, sondern als aktive Gesundheitsdienstleister. Doch dafür braucht es politische Unterstützung, klare rechtliche Rahmenbedingungen und eine geeinte Interessenvertretung der Branche. Nur so kann sich das Gesundheitswesen in eine Richtung entwickeln, die nicht nur bestehende Probleme verwaltet, sondern nachhaltig verbessert.

Was macht eigentlich der Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen e.V. (BVDAK)?

gegründet: 2004

Ziel: Stärkung inhabergeführter Apotheken durch Kooperationen

Hauptziele

  • Erhalt unabhängiger Apotheken & wohnortnaher Arzneimittelversorgung
  • Verhinderung der Marktkonzentration & Erhalt der Apothekenpflicht
  • Unterstützung des vollsortierten Großhandels
  • Bürokratieabbau & Erfahrungsaustausch

Politische Interessenvertretung

  • Einflussnahme auf Bundespolitik durch Stellungnahmen & Expertenanhörungen
  • 2024: Stellungnahme zum Apothekenrechtsänderungsgesetz (ApoRG)

Mitgliedschaft & Struktur

  • Vereint Apothekenkooperationen
  • Vorstand unter Leitung von Dr. Stefan Hartmann
  • Sitz in Gilching bei München

Veranstaltungen

BVDAK-Kooperationsgipfel: Jährlich (nächster Termin 3.–5. Februar 2026, München)

Finanzierung & Transparenz

  • Mitgliedsbeiträge (2023: 50.001–60.000 € Einnahmen)
  • Registriert im Lobbyregister des Bundestages