Bei Verdacht auf Arzneimittelmissbrauch: Was können PTA tun?

Kürzlich erschien die Meldung, dass eine Ärztin aus Berlin, die jahrelang Schmerzmittel-Rezepte für suchtgefährdete Patienten unrechtmäßig ausgestellt haben soll, nun angeklagt wurde. Für Apotheken stellt sich die Frage: Wie sollte man handeln, wenn Missbrauch vermutet wird?
Tilidin-Rezepte: Ärztin verstieß gegen Betäubungsmittelgesetz
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Anklage gegen eine 80-jährige Ärztin erhoben, weil sie in 273 Fällen gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben soll.
So soll sie in ihrer Praxis in Berlin-Grunewald zwischen Januar 2018 und Dezember 2021 ihren teils suchtmittelabhängigen Patienten Tilidin ohne medizinischen Grund verschrieben haben. Auch sollen die Dosen das therapeutische Maß erheblich überstiegen haben.
Der mutmaßliche Schaden für die gesetzlichen Krankenkassen wird auf rund 7.800 Euro beziffert. Der Ärztin wurde im Mai 2023 die Verordnung von Betäubungsmitteln untersagt.
Gut zu wissen: Wann zählt Tilidin als Betäubungsmittel?
Tilidin unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und steht dort in Anlage III (verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel).
Ausgenommen sind dabei feste Tilidin-Zubereitungen mit verzögerter Wirkstofffreigabe, die ohne einen weiteren Stoff der Anlagen I bis III je abgeteilte Form bis zu 300 mg Tilidin, berechnet als Base, und, bezogen auf diese Menge, mindestens 7,5 vom Hundert Naloxonhydrochlorid enthalten.
Die tägliche Höchstdosis von Tilidin (bezogen auf Tilidinhydrochlorid) liegt bei 600 mg.
Tilidin auf dem Schwarzmarkt verkauft?
Laut Meldung des Tagesspiegels sollen Kenner der Szene sogar davon ausgehen, dass das Tilidin auch auf dem Schwarzmarkt verkauft worden sein könnte (darum geht es in der Anklage jedoch nicht).
Demnach seien Angehörige einer polizeibekannten Großfamilie in den Fokus geraten, als die Ermittlungen vor vier Jahren starteten, auch deutsch-arabische Clans sollen die Praxis aufgesucht haben.
Es wird vermutet, dass in der Praxis ausgestellte Rezepte in Apotheken eingelöst wurden, um anschließend das Tilidin zu verkaufen. Ob in den abgebenden Apotheken bei der Einlösung der Rezepte Zweifel an der rechtmäßigen Ausstellung aufkamen, ist nicht bekannt.
Der Fall kann jedoch zum Anlass genommen werden, dafür zu sensibilisieren, dass auch Pharmazeuten helfen können, die missbräuchliche Anwendung von Arzneimitteln zu erkennen, zu melden und – soweit möglich – zu verhindern.
Woran erkennt man Arzneimittelmissbrauch?
In der Apotheke können verschiedene Umstände bzw. Verhaltensweisen von Kunden auf Missbrauch bzw. kritischen Arzneimittelgebrauch hinweisen. Anzeichen können beispielsweise sein, wenn
- Kunden häufig nachfragen (vor allem nach großen Mengen/Packungszahlen),
- sie Tricks anwenden, um Arzneimittel zu erhalten, zum Beispiel, indem sie vorgeben, ein Rezept verloren zu haben, und eine vermeintliche „akute Notlage“ simulieren, gegebenenfalls mit Drohungen,
- gefälschte Rezepte vorgelegt werden,
- es Hinweise gibt, dass das Arzneimittel in mehreren (wohnortfernen) Apotheken beschafft wird,
- ein kritisches Arzneimittel auf Privatrezept verordnet wurde oder durch verschiedene (wohnortferne) Ärzte für denselben Patienten,
- Manipulation von Arzneimitteln vorliegen könnten, z. B. wenn sich ein Kunde wegen angeblicher Minderbefüllung oder Wirkungslosigkeit bei Opioid-haltigen Liquida beschwert.
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu dahingehenden Beschwerden bei Tropfenpräparaten von Opioid-Analgetika wie Tilidin oder Tramadol. Nachprüfungen durch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) und durch das Zentrallaboratorium der Deutschen Apotheker (ZL) ergaben, dass sich die Befunde fast ausnahmslos durch Manipulation der Arzneimittel erklärten, indem ein Teil der Arzneistofflösung entnommen, mit Wasser ersetzt und anschließend in der Apotheke reklamiert wurde.
Wie sollten sich PTA bei Verdacht auf Missbrauch verhalten?
Nach § 17 Abs. 8 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) muss das pharmazeutische Personal einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegentreten und die Abgabe verweigern. Was „in geeigneter Weise“ bedeutet, wird im Leitfaden der Bundesapothekerkammer (BAK) zum Arzneimittelmissbrauch (Stand: 2018) aufgeschlüsselt:
- Die Beteiligten müssen über den Verdacht auf Missbrauch informiert werden.
- Das pharmazeutische Personal in der Apotheke sollte sich nach Rücksprache mit dem Patienten mit dem verschreibenden Arzt in Verbindung setzen.
- Bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln muss der Patient ausführlich zu den Risiken des schädlichen Gebrauchs und Alternativen beraten werden. Ist die Beratung erfolglos, darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, und ein Kontrahierungszwang besteht in diesen Fällen nicht.
Bei einem Verdacht auf Missbrauch sollte zudem eine Meldung an die AMK in Betracht gezogen und mittels UAW-Berichtsbogen online übermittelt werden. Beispielsweise ein Opioid-/Opiat-Missbrauch gilt als Arzneimittelrisiko und ist der AMK somit als Verdachtsfall mitzuteilen.
In Zweifelsfällen kann die Apotheke auch direkt telefonisch Kontakt zur AMK aufnehmen. Diese prüft die Meldung und gibt sie gegebenenfalls an die zuständige Behörde weiter, in der Regel das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Gut zu wissen: Arzneimittel, die missbräuchlich verwendet werden
- stark wirkende Schmerzmittel
- dämpfende Arzneimittel und Schlafmittel
- Entspannungs- und Beruhigungsmittel
- Aufputschmittel u. a.
Verdacht auf Arzneimittelmissbrauch: So können PTA ihren Kunden helfen
Erste Anlaufstelle für Menschen mit Missbrauchsproblemen ist der niedergelassene Arzt. Aber es gibt auch darüber hinaus viele Anlaufstellen, die genannt werden können, wie zahlreiche Beratungsstellen oder wohnortnahe Selbsthilfegruppen.
Im BAK-Leitfaden findet sich ein Anhang mit Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen können über die Homepage www.nakos.de gefunden werden. Quellen:
Ärztin verschreibt Suchtpatienten unberechtigt Schmerzmittel. Information der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vom 14. Februar 2025
Anklage gegen Ärztin wegen ungerechtfertigter Schmerzmittelverschreibungen. Information der Strafverfolgungsbehörden Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 14. Februar 2025
Staatsanwaltschaft erhebt Anklage: Berliner Ärztin soll suchtkranke Patienten mit Tilidin versorgt haben. Artikel des Tagesspiegel vom 14. Februar 2025
Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz - BtMG), Anlage III
Fachinformationen verschiedener Präparate.
Arzneimittelmissbrauch: Leitfaden für die apothekerliche Praxis. Herausgegeben von der Bundesapothekerkammer (BAK), Stand: März 2018, BAK_Leitfaden_Arzneimittelmissbrauch.pdf
Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung - ApBetrO)