Tilidin – die neue Jugenddroge?
„Lieber Gott, ich fühle mich so einsam. Gib mir Tilidin, ich könnte was gebrauchen.“ Der Deutschrapper Capital Bra verarbeitet unter anderem in diesem Liedtext seine eigene Medikamentenabhängigkeit. In einem Interview mit dem Online-Mediendienst „funk“ gibt er an, sich nicht bewusst gewesen zu sein, welchen Einfluss er damit auf seine Fans ausübt. Nach Recherchen von „funk“ fühlen Jugendliche sich motiviert, ihrem Idol nachzueifern und ebenfalls die „Lifestyle-Droge“ Tilidin zu konsumieren. Besonders empfänglich für die durch Tilidin verursachte „Wärme und Geborgenheit“ sind Jugendliche, die in der Vergangenheit schlimme Erfahrungen wie Misshandlung oder Vernachlässigung erleben mussten, so Maurice Cabanis, Leitender Oberarzt der Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten am Klinikum Stuttgart.
Verlässliche Zahlen über die missbräuchliche Anwendung von Tilidin bei Jugendlichen liegen bisher nicht vor. Auffällig ist aber ein erheblicher Anstieg ärztlicher Verordnungen für Patienten der Altersgruppe von 15 bis 20 Jahren seit 2017. Suchtmediziner weisen deshalb darauf hin, dass diesem Problem in Zukunft mehr Beachtung geschenkt werden muss und vor allem Maßnahmen zur Suchtprävention ausgebaut werden müssen.
Zur Erinnerung:
Tilidin ist ein schwach wirksames Opioid, das im WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie in Stufe 2 einzuordnen ist. Als Prodrug wird Tilidin in der Leber in seinen aktiven Metaboliten Nortilidin überführt. Tilidin kommt bei starken bis sehr starken Schmerzen zum Einsatz, wie sie z. B. nach Verletzungen oder Operationen auftreten.
Naloxon ist ein Opioid-Antagonist. Im Gegensatz zu Tilidin unterliegt er einem hohen First-Pass-Effekt, das heißt, bei der ersten Leberpassage wird der Großteil des Wirkstoffs inaktiviert. Bei missbräuchlicher parenteraler Anwendung oder Einnahme in überhöhten Dosen antagonisiert Naloxon jedoch die Tilidinwirkung und macht somit eine missbräuchliche Anwendung unattraktiv.
Wie kommen die Jugendlichen an Tilidin?
Vermutlich gelangen die Konsumenten auf dem Schwarzmarkt sowohl über lokale Dealer als auch über das Darknet an die Droge. Dabei dürfte vor allem der illegale Erwerb mithilfe gefälschter Rezepte eine Rolle spielen. „funk“ konnte in seiner Reportage anhand eines Testkaufes zeigen, dass diese Rezepte in der Apotheke nicht als gefälscht auffallen müssen. Selbst der verordnende Arzt konnte unter der angegebenen Adresse ausfindig gemacht werden.
Welchen Beitrag können PTA und Apotheker zur Prävention leisten?
Da Rezeptfälschungen nicht unbedingt als solche zu erkennen sind, ist immer dann erhöhte Wachsamkeit geboten, wenn Jugendliche Verordnungen über Tilidin einlösen wollen, die angegebene Arztpraxis der Apotheke nicht bekannt und zum Zeitpunkt des Einlösens auch telefonisch nicht erreichbar ist (z. B. samstags oder im Notdienst).
Ein Versuch zur Absicherung kann darin bestehen, den Kunden nach seinem Geburtsdatum bzw. nach Name und Adresse des Patienten zu fragen, falls er angibt, als Bote unterwegs zu sein. Kommt er hier ins Stottern, ist Grund zur Skepsis gegeben.
Auch wenn sich keinerlei Hinweis auf eine missbräuchliche Anwendung ergibt, muss bei jeder Abgabe eines Tilidin-haltigen Arzneimittels darauf hingewiesen werden, dass das Medikament ausschließlich von der Person eingenommen werden darf, die es verordnet bekommen hat. Eine Weitergabe an Dritte darf auch aus falsch verstandener Hilfeleistung (wenn sich z. B. der Enkel beim Fußballspielen das Knie verdreht hat) keinesfalls erfolgen.