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„Blaue Hand“ klärt auf: Fentanyl oral einnehmen: Darauf ist zu achten!

verschlossene Dose mit der Aufschrift "Fentanyl"
Bei der Abgabe von Fentanyl als Sublingual-, Buccal- oder Lutschtabletten sind die Patienten in der Beratung speziell auf die korrekte Anwendung hinzuweisen. | Bild: luchschenF / AdobeStock

Hochpotente Wirkstoffe erfordern besondere Aufmerksamkeit. Neben behördlich genehmigtem Schulungsmaterial zu Fentanyl-Nasenspray für Apotheken gibt es auch Leitfäden zur Abgabe von Fentanyl-Lutschtabletten (Actiq®), Fentanyl-Buccaltabletten (Effentora®) sowie Sublingual-Tabletten (Abstral® und Fentanyl-Hexal® sublingual).  

Während die Anwendung von Sublingualtabletten recht geläufig ist, erscheinen Fentanyl-Lutschtabletten und Fentanyl-Buccaltabletten erklärungsbedürftiger zu sein. Jedenfalls werden für die Präparate Actiq® und Effentora® gezielt Leitfäden für Apotheken angeboten. Was ist wichtig für die Beratung zur Anwendung in der Praxis?

Zur Erinnerung: Wann wird Fentanyl verwendet?

Fentanyl gehört wie Buprenorphin und Oxycodon zur Gruppe der stark wirksamen Schmerzmittel und zählt zu den Opioiden. Es wird vorrangig bei starken Schmerzen wie beispielsweise chronischen Tumorschmerzen, Polytraumata, Verbrennungen oder Frakturen eingesetzt. Neben der schmerzlindernden Anwendung eignet es sich in höheren Dosen auch als Narkosemittel in der Anästhesie.

Aufgrund seiner euphorisierenden Wirkung ist Fentanyl vor allem in der Drogenszene beliebt und wird häufig als Rauschmittel missbraucht.  

Da Fentanyl dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterliegt, sind bei der Verschreibung und Anwendung des Wirkstoffes strengste Kriterien zu berücksichtigen. Denn immer wieder wird über schwere Nebenwirkungen und Todesfälle in Zusammenhang mit einer nicht fachgerechten Gabe von Fentanyl berichtet. /vs

Fentanyl: Vorsicht bei Präparatewechsel

Grundsätzlich sollten Sublingualtabletten an die tiefste Stelle im Mund direkt unter die Zunge gelegt und nicht gekaut, gelutscht, zerbissen oder als ganze Tablette geschluckt werden. Die Tabletten sollen von selbst zergehen. 

Somit dürfen Patienten nichts essen oder trinken, ehe die Tablette sich vollständig aufgelöst hat. Lediglich bei Mundtrockenheit kann die Schleimhaut vor der Anwendung mit Wasser befeuchtet werden.

Der Leitfaden zur Sublingualtablette Abstral® richtet sich zwar nur an Ärzte, dennoch finden sich dort auch für Apotheken weitere wichtige Hinweise: So dürfen die Sublingualtabletten nicht einfach aus dem Blister herausgedrückt werden, stattdessen muss die Folie vorsichtig abgezogen werden. 

Im Leitfaden zu den Sublingualtabletten von Hexal werden auch die Apotheken direkt angesprochen. So heißt es dort neben anderen Hinweisen beispielsweise wörtlich:

„Achten Sie bei Abgabe von Fentanyl-Sublingualtabletten darauf, ob eine Umstellung zwischen verschiedenen Präparaten erfolgt ist, und hinterfragen Sie, ob eine erneute Dosiseinstellung mit dem neuen Präparat erfolgt ist. Halten Sie ggf. Rücksprache mit dem behandelnden Arzt.“

Die absolute Bioverfügbarkeit für Abstral® wird in der Fachinformation mit einem Wert von 54 % angegeben. Die „von Fentanyl-HEXAL sublingual wurde nicht bestimmt, wird aber auf etwa 70 % geschätzt“. 

Bei den Buccaltabletten Effentora® soll die absolute Bioverfügbarkeit 65 % betragen und bei Actiq® wird ein Wert von 50 % angegeben. 

In allen Fachinformationen wird entsprechend darauf hingewiesen, dass eine Umstellung zwischen verschiedenen Fentanylcitrat-Präparaten aufgrund der unterschiedlichen Resorptionsprofile nicht im Verhältnis 1:1 erfolgen darf.

Zur Erinnerung: Was versteht man unter Bioverfügbarkeit?

Die Bioverfügbarkeit ist eine Messgröße, die angibt, wie schnell, in welchem Umfang und an welchem Ort der Wirkstoff eines Arzneimittels nach der Einnahme im Körper wirkt. Bestimmte Faktoren wie z. B. die Art der Arzneiform oder die Resorptionsgeschwindigkeit des Wirkstoffs können die Bioverfügbarkeit beeinflussen.

Bei intravenös verabreichten Arzneimitteln liegt die Bioverfügbarkeit definitionsgemäß bei 100 %. Unter der absoluten Bioverfügbarkeit versteht man daher die Bioverfügbarkeit im Vergleich zur intravenösen Gabe. /vs

Fentanyl: Wechsel von Sublingual- auf Buccaltablette

Neben einer erneuten Dosistitration ist beim Wechsel von einer Sublingualtablette auf eine Buccaltablette zudem zu beachten, dass diese in der Nähe eines Backenzahns zwischen Wange und Zahnfleisch eingelegt werden sollte. Laut Schulungsmaterial ist „wahlweise“ aber auch eine sublinguale Anwendung möglich. 

Insofern gelten die meisten Anwendungshinweise für Sublingualtabletten auch für Buccaltabletten. Das heißt, dass auch die Tabletten nicht gelutscht oder gekaut werden dürfen. Lediglich wenn sich die Buccaltablette nach 30 Minuten nicht vollständig von allein aufgelöst hat, können die Reste mit einem Glas Wasser geschluckt werden.

Größter Beratungsbedarf bei Fentanyl-Lutschtabletten

Applikator mit Lutschtablette
Applikator mit Lutschtablette | Bild: Actiq Lutschtabletten Leitfaden für Patientinnen und Patienten; 12/2022, V5 

Die Fentanyl-Lutschtablette erfordert schließlich wohl den größten Beratungsbedarf. Dabei handelt es sich gar nicht um eine Lutschtablette im klassischen Sinne, sondern eher um einen „Lutscher“. 

Die Beratung beginnt schon bei der Entnahme aus dem Blister, für die es einer Schere bedarf. Wurde die Lutschtablette erfolgreich entnommen, soll sie mithilfe des Applikators im Mund an die Wange gelegt und dort hin und her bewegt werden. 

Auch hierbei ist wie bei den Sublingualtabletten das Kauen verboten.

Langsame Dosiserhöhung von Fentanyl durch Arzt

Fentanyl ist ein stark lipophiler Wirkstoff. Die Resorption aus der Mundschleimhaut erfolgt sehr rasch, wohingegen die Aufnahme über den Gastrointestinaltrakt etwas langsamer erfolgt. Da bei nasaler oder Applikation über die Mundschleimhaut ein sehr rasches Anfluten und damit ein schneller Wirkeintritt möglich ist, haben diese Darreichungsformen ihren Stellenwert in der Behandlung sogenannter Durchbruchschmerzen.

Patienten sollten am Anfang immer die niedrigste Dosis erhalten. Durch eine schrittweise Erhöhung gilt es dann eine wirksame Dosis zu finden, die eine ausreichende Analgesie bei tolerablen Nebenwirkungen ermöglicht. Diese Dosistitration erfolgt in Absprache mit dem behandelnden Arzt und nicht in Eigenregie der Patienten. 

Ehe eine weitere Schmerzepisode behandelt wird, müssen mindestens vier Stunden vor der erneuten Einnahme verstreichen. Treten regelmäßig mehr als vier Durchbruchschmerz-Episoden innerhalb von 24 Stunden auf, sollte die Basistherapie unter die Lupe genommen und gegebenenfalls angepasst werden.

Wann darf Fentanyl oral verordnet werden?

Das behördlich genehmigte Schulungsmaterial soll neben der richtigen Anwendung vor allem sicherstellen, dass tatsächlich nur jene Patienten eine Verordnung erhalten, die

  • an Durchbruchschmerzen aufgrund einer chronischen Tumorerkrankung leiden,
  • seit mindestens einer Woche eine Dauertherapie mit einem Opioid-Analgetikum erhalten wie
    • Morphin oral ≥ 60 mg/Tag oder
    • Fentanyl transdermal ≥ 25 μg/Stunde oder
    • Oxycodon ≥ 30 mg/Tag oder
    • Hydromorphon oral ≥ 8 mg/Tag oder
    • eine äquianalgetische Dosis eines anderen Opioids,
  • mindestens 18 Jahre bzw. 16 Jahre (Actiq®) alt sind.

Symptome einer Fentanyl-Überdosierung

Die wiederholte Anwendung von Fentanyl kann zu einer Opioid-Gebrauchsstörung führen. Deuten Zeichen auf Sucht und Missbrauch hin, sollte das stutzig machen und der behandelnde Arzt kontaktiert werden. Der Patient wird dann engmaschig betreut und regelmäßig kontrolliert.

Betreuungspersonen, Angehörige und Patienten sollten für Anzeichen einer Überdosierung sensibilisiert werden. Diese sind im Wesentlichen

  • Schwindel,
  • Gang- oder Sprachschwierigkeiten,
  • Krämpfe oder Krampfanfälle,
  • Atemdepression,
  • Bradykardie (verlangsamter Herzschlag),
  • starke Schläfrigkeit sowie
  • Lethargie (Bewusstseinsstörung mit ausgeprägter starker Schläfrigkeit) bis hin zu Koma

In diesen Fällen muss sofort der Notruf (112) verständigt werden. Das gilt auch, falls die Tablette versehentlich von einem Kind oder einer Person eingenommen wurde, der das Medikament nicht verschrieben wurde.

Gut zu wissen: Reste von Arzneimitteln sicher entsorgen

In der Regel bieten Apotheken an, nicht mehr benötigte Tabletten bei Rückgabe durch Angehörige sicher zu entsorgen. Auf der Webseite www.arzneimittelentsorgung.de werden die Entsorgungswege von Arzneimitteln anhand der jeweiligen Postleitzahl aufgeführt.

Auch wenn die Darreichungsformen sich durch die Aufnahme über die Mundschleimhaut also sehr ähneln, zeigen diese Ausführungen, wie wichtig eine differenzierte Beratung in der Apotheke bei der praktischen Anwendung ist. Quellen:
- Schulungsmaterial des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/Schulungsmaterial/_functions/Schulungsmaterial_Formular.html
- Leitfaden für Ärzte zur Verschreibung von Abstral® Sublingualtabletten, Schulungsmaterial des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Abruf 08.02.2024
- Schulungsmaterial zu Fentanyl-Hexal®. Leitfaden zur Verringerung von Arzneimittel- und Anwendungsrisiken Ärztinnen/Ärzte und Apothekerinnen/Apotheker*. Stand Mai 2023
- Fachinformation zu Abstral® 100 μg/200 μg/300 μg/400 μg/600 μg/800 μg Sublingualtabletten, Stand September 2022, www.fachinfo.de/
- Fachinformation von Fentanyl-HEXAL® sublingual, Stand März 2022, www.hexal.de/hcp/produkte/fentanyl-hexal-sublingual
- Fachinformation zu Effentora Buccaltabletten, Stand: September 2022, www.fachinfo.de/
- Fachinformation zu Actiq 200/400/600/800/1200/1600 Mikrogramm Lutschtablette, Stand März 2023, www.fachinfo.de/
- Leitfaden zur Verringerung von Arzneimittel- und Anwendungsrisiken – Apothekerinnen/Apotheker* zur Abgabe von Fentanyl Buccaltabletten
- Leitfaden zur Verringerung von Arzneimittel- und Anwendungsrisiken – Apothekerinnen/Apotheker* zur Abgabe von Fentanyl Lutschtabletten
- Fachinformation zu PecFent 100/400 Mikrogramm/Sprührstoß, Stand April 2021, www.fachinfo.de/