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Nach Herzinfarkt: Hydrogel statt Herzschrittmacher?

Mann wird per Ultraschall am Herz untersucht
Ein deutsches Forschungsteam hat eine mögliche Alternative für Herzinfarkt-Patienten entwickelt. Statt eines Herzschrittmachers könnte ein Hydrogel eingesetzt werden. | Bild: H_Ko / AdobeStock

Es klingt wie der Name eines edlen französischen Weins, ist aber eine regelrechte Wundersubstanz. Gemeint ist PEDOT (Poly(3,4-Ethylendioxythiophen), ein elektrisch leitfähiger Kunststoff, der sich aus dem schwefelhaltigen Heteroaromaten Thiophen (C4H4S) ableitet und das Potenzial hat, neben der Energiegewinnung auch die Regeneration des Herzens nach einem Infarkt zu revolutionieren.

Seitdem in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch Zufall leitfähige Kunststoffe entdeckt wurden, stellt PEDOT heute das mit am weitesten entwickelte Material dieser Art dar. Es findet vielseitige Verwendung etwa als Elektrodenmaterial in Kondensatoren, der Sensortechnik, der Solarzellentechnik, als leitfähige Fasern in Textilien mit tragbarer Elektronik – aber auch in der Mikrobiologie und der Medizin. Medizinisch spielt es etwa eine Rolle bei implantierbaren Mikroelektroden.  

PEDOT gilt „aufgrund seiner gemischten elektronischen/ionischen Leitfähigkeit, seiner Flexibilität, seiner leichten Verarbeitbarkeit, seiner Vielseitigkeit, seiner kommerziellen Verfügbarkeit und seiner vermuteten Biokompatibilität als ein ,Königsmaterial‘ in der Bioelektronik“Advanced Materials: "Boosting the Performance of PEDOT:PSS Based Electronics Via Ionic Liquids", Stand: 07. Januar 2024 .

PEDOT-Hydrogel sorgt für bessere Kommunikation im Herzen

Forschende der Universitäten Erlangen und Bonn haben sich des Materials in seiner Form als PEDOT:PSS (Poly(3,4-ethylendioxythiophen)-Polystyrolsulfonat) angenommen und daraus ein injizierbares Kollagen-PEDOT:PSS-Hydrogel hergestellt. Ziel ist es, mit diesem Gel langfristig Menschen nach einem Herzinfarkt helfen zu können.

Das Gel könnte in Zukunft helfen, die Implantation von Herzschrittmachern zu vermeiden. „Das Problem sind die Narben, die bei einem Herzinfarkt entstehen. Im Gegensatz zu gesundem Gewebe stören sie die elektrischen Signale und verhindern so, dass die Herzmuskelzellen effektiv miteinander kommunizieren und im Rhythmus schlagen können“, erklärt Felix Engel, Professor für Experimentelle Nieren- und Herz-Kreislauf-Forschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und am Uniklinikum Erlangen.

An dieser Stelle setzen die Forschenden an: „Wir können das Gel direkt in das Narbengewebe des Herzens injizieren. Dadurch wird das Herzgewebe quasi elektrisiert, sodass die Herzmuskelzellen wieder besser miteinander kommunizieren können“, erklärt Dr. Kaveh Roshanbinfar, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe Engel und Erstautor der im Fachmagazin Advanced Materials veröffentlichten StudieAdvanced Materials: "Electrically Conductive Collagen-PEDOT:PSS Hydrogel Prevents Post-Infarct Cardiac Arrhythmia and Supports hiPSC-Cardiomyocyte Function", Stand: 23. April 2024  der Forschenden.

Herzschrittmacher: Elektroschocks schädigen Herz zusätzlich

Damit verhindert der als gut verträglich geltende leitfähige Kunststoff, dass es in den durch Infarkte geschädigten Herzen zu ventrikulärer Tachykardie, also Arrhythmien, kommen kann – was einen implantierten Herzschrittmacher überflüssig macht. 

Diese können anders als das Gel Arrhythmien nicht verhindern, sondern sorgen dafür, dass bei deren Auftreten durch Elektroschocks das Herz wieder in den Takt gebracht wird. 

Allerdings schädigen die häufigen Schocks des Herzschrittmachers zusätzlich das Herz, verursachen bei den Patienten erhebliche psychische Belastungen und beeinträchtigen dadurch ihre Lebensqualität. Mit dem Gel soll dies verhindert werden, sagen die Forschenden.

PEDOT-Hydrogel verbessert Herzfunktion 

Und mehr noch: Das Hydrogel aus biologischem Kollagen mit dem eingebetteten PEDOT:PSS kann Ausgangspunkt für eine regelrechte Heilung des Herzens werden. Denn es lassen sich Herzstammzellen – Kardiomyozyten – in das Gel integrieren, die aus humanen induzierten Pluripotenten Stammzellen (hiPSC) gewonnen werden.  

Diese könne eine „partielle Remuskularisierung“ des Herzens bewirken, wenn sie in der Gelmatrix wieder ausreifen. „Wenn hiPSC-Kardiomyozyten in dieses Hydrogel eingearbeitet wurden, verbesserte sich zudem die Herzfunktion des verletzten Herzens“, schreiben die Forschenden.

PEDOT-Hydrogel bislang erst im Mausmodell erfolgreich

Allerdings funktioniert all dies bislang erst erfolgreich im Mausmodell. Bis das Kollagen-PEDOT:PSS-Hydrogel humanen Herzpatienten helfen kann, könne es noch eine ganze Weile dauern, sagen die Forschenden. Es sei noch viel Forschungsarbeit notwendig. „Zum einen sind die Narben, die beim Menschen nach einem Herzinfarkt zurückbleiben, viel komplexer als zum Beispiel bei Mäusen. Zum anderen wissen wir nicht, wie das menschliche Immunsystem auf das Hydrogel reagieren wird“, sagt Engel.  

Beim Kollagen sei die Sorge eher klein, schreiben die Forschenden, es habe bekanntermaßen nur ein geringes immunogenes Potenzial. So habe die Injektion von Kollagen in Mäuseherzen einen Monat nach der Injektion keine offensichtliche Immunreaktion gezeigtAdvanced Materials: "Myocardial-Infarction-Responsive Smart Hydrogels Targeting Matrix Metalloproteinase for On-Demand Growth Factor Delivery", Stand: 13. August 2019 

Dagegen sei bislang die immunogene Reaktion auf PEDOT:PSS kaum untersucht, obwohl PEDOT:PSS häufig etwa für die Herstellung implantierbarer Mikroelektroden verwendet und in vivo eingesetzt werde.

Sind PEDOT-Hydrogele auch in anderen Bereichen sinnvoll?

„Wir kommen zu dem Schluss, dass Kollagen-PEDOT:PSS-Hydrogele eine vielversprechende Option für die Behandlung einer der weltweit häufigsten Ursachen für Morbidität und Mortalität und möglicherweise für die Behandlung von Verletzungen anderer elektrisch sensitiver Gewebe darstellen“, schreiben die Forschenden.  

Bemerkenswert dabei ist, dass sie neben dem Herzen auch auf andere elektrisch sensitive Gewebe eingehen – also etwa Nerven oder andere Muskelzellen.

Unterdessen könnte PEDOT übrigens auch die Energiewende entscheidend voranbringen. Forschende der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA)Advanced Functional Materials: "Direct Fabrication of 3D Electrodes Based on Graphene and Conducting Polymers for Supercapacitor Applications", Stand: 23. Juli 2024  haben einen pelzartigen PEDOT-Film entwickelt, der in Superkondensatoren gewaltige Mengen an Energie speichern kann. Quellen:
- Y. Li, Y. Pang, L. Wang, Q. Li, B. Liu, J. Li, S. Liu, Q. Zhao, Adv. Mater. 2024, 2310973. https://advanced.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/adma.202310973
- K. Roshanbinfar, M. Schiffer, E. Carls, M. Angeloni, M. Koleśnik-Gray, S. Schruefer, D. W. Schubert, F. Ferrazzi, V. Krstić, B. K. Fleischmann, W. Roell, F. B. Engel, Electrically Conductive Collagen-PEDOT:PSS Hydrogel Prevents Post-Infarct Cardiac Arrhythmia and Supports hiPSC-Cardiomyocyte Function. Adv. Mater. 2024, 36, 2403642. https://doi.org/10.1002/adma.202403642 https://advanced.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/adma.202403642
- C. Fan, J. Shi, Y. Zhuang, L. Zhang, L. Huang, W. Yang, B. Chen, Y. Chen, Z. Xiao, H. Shen, Y. Zhao, J. Dai, Adv. Mater. 2019, 31, 1902900. https://advanced.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/adma.201902900
- M. F. Jimoh, G. S. Carson, M. B. Anderson, M. F. El-Kady, R. B. Kaner, Direct Fabrication of 3D Electrodes Based on Graphene and Conducting Polymers for Supercapacitor Applications. Adv. Funct. Mater. 2025, 35, 2405569. https://doi.org/10.1002/adfm.202405569 https://advanced.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/adfm.202405569