Stammzelltherapie bei Typ-1-Diabetes: Neue Hoffnung?
„Diabetes mit Stammzellen geheilt“ lautet die Überschrift eines ArtikelsTagesschau: "Diabetes mit Stammzellen geheilt ", Stand: 10/2024 im Online-Angebot der Tagesschau von Anfang Oktober dieses Jahres. Sie beziehen sich dabei auf eine Veröffentlichung chinesischer Forschender.
Die Wissenschaftler um Shusen Wang von der Chinesischen Akademie der medizinischen Wissenschaften in Tianjin veröffentlichten ebenfalls im Oktober im renommierten Fachmagazin Cell die ersten Zwischenergebnisse einer kleinen StudieCell: "Transplantation of chemically induced pluripotent stem-cell-derived islets under abdominal anterior rectus sheath in a type 1 diabetes patient", Stand: 10/2024 – und wählten dabei den etwas weniger reißerischen Titel „Transplantation von aus chemisch induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnenen Inselzellen unter die vordere Rektusscheide des Abdomens bei einem Patienten mit Typ-1-Diabetes“.
Der Weltdiabetestag auf PTAheute.de
Jährlich findet am 14. November der Weltdiabetestag (World Diabetes Day) statt. Der Aktionstag wurde 1991 von der International Diabetes Federation (IDF) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als weltweiter Aktionstag eingeführt.
Als Kalendertag wurde der 14. November gewählt, das ist der Geburtstag von Sir Frederick Banting, der gemeinsam mit Charles Best 1922 das lebenswichtige Insulin entdeckte. Mit diesem Tag soll auf die zunehmende Verbreitung der Krankheit Diabetes mellitus aufmerksam gemacht werden.
Auf ptaheute.de unterstützen wir diese Aktion mit ausgesuchten Beiträgen zum Thema Diabetes.
Wir erklären, was Double Diabetes ist und worauf bei der Anwendung von Insulinpens zu achten ist.
Wir beschäftigen uns ebenso mit dem Thema, warum Frauen mit Diabetes auf ihren Zyklus achten sollten, wie Hauterscheinungen auf Diabetes hinweisen können und warum die Zahngesundheit bei Diabetes eine wichtige Rolle spielt.
Nach Transplantation keine Insulingabe mehr notwendig
Laut der Forschenden hatten sie einer 25 Jahre alten Frau, die bereits seit elf Jahren an Diabetes Typ 1 litt, erfolgreich Insulin produzierende Inselzellen in die Bauchhöhle implantiert. Die Inselzellen generierten sie dabei aus Körperzellen der Frau, die sie chemisch in pluripotente Stammzellen dedifferenzierten, um sie dann spezifisch zu den Inselzellen differenzieren zu lassen.
Ein Jahr nach der Transplantation dieser von CiPSC (chemically induced pluripotent stem cells) stammenden Inselzellen sei die Frau nicht mehr auf Insulingaben angewiesen, schreiben die Autoren.
„Die Patientin erreichte eine dauerhafte Insulinunabhängigkeit ab 75 Tagen nach der Transplantation. Die Zeit im glykämischen Zielbereich des Patienten erhöhte sich von einem Ausgangswert von 43,18 % auf 96,21 % im vierten Monat nach der Transplantation, begleitet von einem Rückgang des glykierten Hämoglobins, einem Indikator für langfristige systemische Glukosespiegel auf einem nicht-diabetischen Niveau. Danach wies die Patientin eine stabile Blutzuckereinstellung auf, mit einer Zeit im glykämischen Zielbereich von > 98 % und einem glykämischen Hämoglobin von etwa 5 %“, berichten die Forschenden.
Studie mit einigen Einschränkungen – warum?
Doch für Jubel über eine endgültige Heilung des Diabetes Typ 1 ist es noch etwas früh. Es gibt einige Einschränkungen dieser Studie, berichten auch die chinesischen Forschenden. Bislang gibt es nur die Ergebnisse dieser einen Patientin.
Insgesamt nehmen an der chinesischen Studie drei Patienten teil, die anderen beiden sind allerdings noch kein Jahr lang beobachtet worden. Doch auch mit drei Teilnehmenden wäre die Gesamtzahl noch zu klein, um langfristige Prognosen zu erlauben.
Weitere Einschränkungen betreffen die Patientin und die Art der Krankheit selbst. Bei der Patientin der chinesischen Studie gab es in der Krankengeschichte eine erfolglose Bauchspeicheldrüsen-Transplantation sowie eine Lebertransplantation. In der Folge nahm sie fortlaufend Arzneimittel, die die Funktion des Immunsystems supprimieren, um Abstoßungen zu vermeiden.
Zur Erinnerung: Was steckt hinter einer Diabetes-Erkrankung?
Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das eigene Immunsystem die insulinproduzierenden Inselzellen (Beta-Zellen) der Bauchspeicheldrüse angreift und zerstört.
Ab einem gewissen Level der Zerstörung ist bei den Betroffenen nicht mehr genug Insulin vorhanden, um den Zucker-Stoffwechsel zu regulieren.
Die genaue Ursache für die Krankheit mit steigender Inzidenz weltweit ist noch unbekannt. Unter anderem werden verschiedene Viruserkrankungen und genetische Prädisposition diskutiert.
Das verfälscht damit naturgemäß die Aussagekraft, ob es problemlos möglich ist, mit der Methode der Forschenden Diabetes Typ 1 zu heilen, ohne immunsupprimierende Arzneimittel nehmen zu müssen – mit all ihren möglichen negativen Folgen.
Größere Studien und ein Kontext ohne einen bereits immunsupprimierten Empfänger seien notwendig, um die Wirksamkeit der Methode bestätigen zu können, schreiben dementsprechend auch die Forschenden.
Forschung zur Heilung mit Stammzellen seit vielen Jahren
Ganz neu ist der Ansatz der Chinesen nicht. In den vergangenen Jahrzehnten sind bereits viele Forschungsgruppen der Frage nachgegangen, ob man die zugrunde gegangenen Inselzellen der Bauchspeicheldrüse nicht durch aus Stammzellen generierte ersetzen kann. Das insbesondere als Alternative zur schwierigen Transplantation der gesamten Bauchspeicheldrüse oder Teilen davon, die Inselzellen enthalten. Abgesehen von deren komplexer Transplantation ist auch die verfügbare Menge an Spenderorganen gering.
Schwierigkeiten bei der Stammzelltherapie sind zum einen die Gewinnung pluripotenter Stammzellen und deren Differenzierung in die insulinproduzierenden Betazellen. Auch dabei gibt es verschiedene Ansätze. So favorisieren viele Forschende StammzellenSpringer Nature: "Current status of stem cell therapy for type 1 diabetes: a critique and a prospective consideration", Stand: 01/2024 aus dem MesenchymBentham Science: "Mesenchymal Stem Cell Transplantation in Type 1 Diabetes Treatment: Current Advances and Future Opportunity", Stand: 10/2024 (lockeres embryonales Bindegewebe). Die Chinesen wählten dazu chemisch induzierte pluripotente Stammzellen – also aus bereits differenzierten Körperzellen wieder zurückentwickelte.
Die Methoden der Differenzierung in die insulinproduzierenden Inselzellen sind dagegen mittlerweile gut dokumentiert.
In allen Fällen laufen weltweit die Forschungen auch zur Sicherheit dieser Zellen – potenziell können bei der Transplantation von aus Stammzellen gewonnenen differenzierten Zellen im Transplantat auch undifferenzierte Stammzellen übrigbleiben, die dann das Potenzial haben, zu Krebszellen zu entarten.
Die chinesischen Forschenden haben zwar in ihrer Studie die mögliche Kanzerogenität ihrer Zellen im Tierversuch an Mäusen getestet – viele andere Studien weltweit sind aber im Gegensatz zu ihnen noch nicht den Schritt der Übertragung auch auf den Menschen gegangen.
Einnahme von Immunsuppressiva nach Transplantation abwägen
Das andere Problem betrifft das Immunsystem. Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, daher sind grundsätzlich Immunzellen und Antikörper in den Betroffenen vorhanden, die auch neu implantierte Inselzellen angreifen und vernichten können.
Im konkreten Fall war die Patientin wegen ihrer vorangegangenen Organtransplantationen ohnehin immunsupprimiert, sodass dies nicht zum Tragen kam, aber auch nicht untersucht werden konnte.
Müssten aber schließlich später Patienten mit Typ-1-Diabetes nach einer Transplantation „neuer“ Inselzellen Immunsuppressiva einnehmen, um die Abstoßung oder deren Vernichtung zu verhindern, könnten dafür aber auf Insulingaben verzichten, müsste man abwägen, was das geringere Übel ist.
Weitere Möglichkeit: Gewinnung von eingekapselten Inselzellen
Es gibt allerdings auch AnsätzeÄrzteblatt: "Stammzellbasierte Inselzelltransplantation: Meilenstein zur Therapie des Typ-1-Diabetes" , aus Stammzellen gewonnene Inselzellen zu transplantieren, die eingekapselt sind. So könnten sie vor dem Immunsystem „geschützt“ werden, so die Idee. Studien dazu haben ebenfalls bereits vielversprechende Ergebnisse geliefert. Allerdings war etwa in einer belgischen StudieNature Biotechnology: "Encapsulated stem cell–derived β cells exert glucose control in patients with type 1 diabetes", Stand: 11/2023 , die Ende 2023 im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde, bislang die Menge so produzierten Insulins noch zu gering, um eine Substitution bei den Betroffenen aufzugeben.
Insgesamt lässt sich aber sagen, dass alle bisherigen Ergebnisse zur Therapie von Typ-1-Diabetes mit aus Stammzellen gewonnenen Inselzellen zumindest vielversprechend sind. Eine Heilung stellen auch die chinesischen Ergebnisse bislang noch nicht abschließend dar. Quellen:
- https://www.tagesschau.de/wissen/gesundheit/diabetes-heilung-stammzellen-100.html
- https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(24)01022-5
- https://link.springer.com/article/10.1186/s13287-024-03636-0
- https://www.benthamdirect.com/content/journals/cscr/10.2174/011574888X268740231002054459
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/235081/Stammzellbasierte-Inselzelltransplantation-Meilenstein-zur-Therapie-des-Typ-1-Diabetes