Aktuelles
5 min merken gemerkt Artikel drucken

Medizinalcannabis: Freies „Kiffen“ auf Kassenkosten?

Medizinalcannabis-Dosen; Arzt schreibt Verordnung
Die Verordnung von medizinischem Cannabis auf Kassenkosten wurde erleichtert. | Bild: Africa Studio / AdobeStock

Seit dem 1. April 2024 ist der Konsum von Cannabis in Deutschland legal – teuer kaufen oder relativ kostspielig selbst anbauen müssen die Konsumenten die Droge aber natürlich immer noch. 

Da liest sich die Meldung, die viele Mitte Oktober 2024 gelesen haben, wie ein vermeintlich günstiger Weg, Cannabis nun auf Kassenkosten problemlos bekommen zu können: „Der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) [der gesetzlichen Krankenkassen], dass Ärztinnen und Ärzte (…) medizinisches Cannabis ohne Genehmigung der gesetzlichen Krankenkassen verordnen dürfen, tritt am 17. Oktober 2024 in Kraft“, hieß es da.

Ohne Genehmigung? Einfach so zum Arzt und „Kiffen“ auf Rezept verordnen lassen? Nein – das ist so einfach nicht. Zwar gilt Cannabis seit April 2024 nicht mehr als verbotenes Betäubungsmittel im strafrechtlichen Sinne – es ist im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen worden. Um medizinisches Cannabis aber erhalten zu können, müssen jedoch einige Voraussetzungen erfüllt sein.

Wer bekommt überhaupt medizinisches Cannabis?

Die Möglichkeit, bei bestimmten Erkrankungen medizinisches Cannabis verordnet zu bekommen, gibt es bereits seit längerem (seit März 2017). Laut Gesetzgeber können Cannabisprodukte bei „schwerwiegenden Erkrankungen“ verschrieben werden, also wenn eine Krankheit lebensbedrohend ist oder die Lebensqualität dauerhaft eingeschränkt ist.  

Laut G-BA wird medizinisches Cannabis aktuell besonders verschrieben bei:

  • Chronischen Schmerzen
  • Krebserkrankungen
  • Spastik
  • Multipler Sklerose

Aber auch andere Erkrankungen rechtfertigen unter Umständen den Konsum medizinischer Cannabisprodukte.

Bevor ein Patient erstmals Cannabis verordnet bekommt, muss der Behandelnde überprüfen, ob nicht etwa „andere Leistungen, die geeignet sind, den Krankheitsverlauf oder die schwerwiegenden Symptome positiv beeinflussen, zur Verfügung stehen“ oder ob „Aussicht auf einen positiven Effekt von Cannabisarzneimitteln“ in dem Fall besteht.  

Cannabisprodukte – außer den cannabishaltigen Fertigarzneimitteln – haben keine arzneimittelrechtliche Zulassung für bestimmte Indikationen. Deshalb muss die Therapie auch engmaschig überwacht und dokumentiert werden.

Welche Cannabisprodukte können verordnet werden?

Zu den Cannabisprodukten, die verordnet werden können, zählen

  • medizinisches Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten, sofern sie einen THC-Gehalt von mindestens 0,2 Prozent besitzen (THC steht für den Wirkstoff Tetrahydrocannabinol),
  • Rezepturen mit den synthetischen THC-Derivaten Dronabinol und Nabilon und
  • cannabishaltige Fertigarzneimittel wie Sativex® und Canemes®.

Für die Fertigarzneimittel gibt es konkrete Anwendungsgebiete, für die sie zugelassen sind – in dem Fall gibt es über die normalen Regeln der Arzneimittelverordnung hinaus keine besonderen Regelungen. 

Im Fall von Verschreibungen off-label für andere Indikationen gelten aber die besonderen Regeln für die Cannabisverordnung.

Wer darf Cannabisprodukte ohne vorherige Genehmigung verordnen?

Seit dem Jahr 2017 war vorgeschrieben, dass die erste Verordnung von medizinischen Cannabisprodukten einer Genehmigung durch die Krankenkasse bedarf. Dieser „Genehmigungsvorbehalt“ ist nun zum 17. Oktober 2024 entfallen.

Seitdem dürfen Mediziner, die eine bestimmte Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung führen, medizinische Cannabisprodukte auch ohne vorherige Genehmigung verschreiben.  

Darunter fallen folgende Fachrichtungen und Schwerpunkte:

  • Facharzt für
    • Allgemeinmedizin,
    • Anästhesiologie,
    • Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Schwerpunkt Gynäkologische Onkologie,
    • Innere Medizin,
    • Innere Medizin und Angiologie,
    • Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie,
    • Innere Medizin und Gastroenterologie,
    • Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie,
    • Innere Medizin und Infektiologie,
    • Innere Medizin und Kardiologie,
    • Innere Medizin und Nephrologie,
    • Innere Medizin und Pneumologie,
    • Innere Medizin und Rheumatologie,
    • Neurologie,
    • Physikalische und Rehabilitative Medizin,
    • Psychiatrie und Psychotherapie.
  • Zusatzbezeichnungen:
    • Geriatrie
    • Medikamentöse Tumortherapie
    • Palliativmedizin
    • Schlafmedizin
    • Spezielle Schmerztherapie

Alle anderen Vertragsärzte der Krankenkassen dürfen Cannabisprodukte ebenfalls verschreiben, es gibt keinen Facharztvorbehalt – andere als die genannten müssen aber weiterhin die Genehmigung der Krankenkasse einholen.

Übrigens ist das allen genannten Medizinern auch möglich. Sie können rein sicherheitshalber erst einmal eine Genehmigung der Krankenkasse einholen. Das gilt insbesondere dann, wenn sie sich nicht sicher sind, ob bei dem Patienten auch tatsächlich alle Voraussetzungen erfüllt sind. Damit kommen sie einer möglichen Rückforderung der Kasse zuvor.

Folgeverordnungen oder Verordnungen für Betroffene, die bereits anderweitig eine Genehmigung haben, müssen im Übrigen nicht genehmigt werden.

ALBVVG als Grundlage zur Erleichterung der Cannabis-Verordnungen

Hintergrund der nun durchgesetzten Erleichterung ist das „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG)“. Damit war der G-BA beauftragt worden, Facharztgruppen und erforderliche ärztliche Qualifikationen zu regeln, bei denen der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkasse entfällt. Die Kassen gehen damit nun davon aus, dass diese Mediziner sinngemäß „die nötige Qualifikation besitzen, um die Richtigkeit der Verordnung einschätzen zu können“.

Für alle anderen Cannabiskonsumenten gibt es die Möglichkeit, völlig legal bis zu drei Hanf-Pflanzen großzuziehen und zu ernten oder sich einem der „Cannabis Social Clubs“ anzuschließen. Erst im Oktober 2024 konnte etwa der erste genehmigte dieser Clubs im niedersächsischen Ganderkesee seine Ernte einfahren. Quellen:
- G-BA; Cannabisverordnung ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse: G-BA-Beschluss zu Voraussetzungen tritt morgen in Kraft; Pressemitteilung 16. Oktober 2024; https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1210/
- G-BA; Beschluss zur Arzneimittel-Richtlinie: Abschnitt N § 45 (Genehmigungsvorbehalt Cannabisarzneimittel); Banz AT 16. Oktober 2024; https://www.g-ba.de/downloads/39-261-6728/2024-07-18_AM-RL_Abschnitt-N-Paragraf-45-Genehmigungsvorbehalt-Cannabis_BAnz.pdf
- G-BA; Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Verordnung von medizinischem Cannabis; FAQ; ohne Datum; https://www.g-ba.de/themen/arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/faq-medizinisches-cannabis/
- Bundesministerium für Gesundheit; Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz; https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz.html
- NDR; Cannabis-Anbauverein aus Niedersachsen erntet erste Pflanzen; 15. Oktober 2024; https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Cannabis-Anbauverein-aus-Niedersachsen-erntet-erste-Pflanzen,cannabis972.html