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Lenacapavir: HIV-PrEP auch in zweiter Studie erfolgreich

Lenacapavir heißt die neue Hoffnung bei der Bekämpfung der HIV-Pandemie. Diese ist zwar in den Köpfen des sogenannten „kollektiven Westens“ des Planeten dank wirksamer (teurer) Therapien nicht mehr so präsent, fordert aber insbesondere in den Ländern in Afrika, Lateinamerika und Asien weiterhin Millionen Opfer.
Lenacapavir-Hersteller Gilead veröffentlichte jüngst Daten einer neuen Phase-III-Studie (PURPOSE 2), die die erst im Sommer publizierten Ergebnisse der PURPOSE-1-Studie bestätigten. Nun soll die Zulassung als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern beantragt werden. Gezielt werde an einer Versorgung auch in ärmeren Ländern gearbeitet, meldet Gilead.
Erste Studie mit Lenacapavir vorzeitig beendet
In Afrika, genauer in Südafrika und Uganda, hatte Gilead eine doppel-blinde randomisierte Phase-III-Studie (PURPOSE 1) zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) bei jungen (Cis-)Mädchen und Frauen zwischen 16 und 25 Jahren durchgeführt – und zwar so erfolgreich, dass die Forschenden die Studie vorzeitig abbrechen konnten.
Von den 2.134 Teilnehmerinnen der Gruppe, die halbjährlich Lenacapavir als subkutane Spritze erhielt, infizierte sich nicht eine mit HIV – anders als in den Kontrollgruppen, in denen die zugelassenen oralen Präexpositionsprophylaktika Truvada® und Descovy® verabreicht wurden.
Gut zu wissen: Was bedeutet cis?
Die Bezeichnung cis (oder cisgeschlechtlich) wird für Menschen benutzt, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen nach der Geburt zugeschrieben wurde. Dies geschieht üblicherweise anhand der äußerlich erkennbaren, primären Geschlechtsorgane.
Dem gegenüber steht die Bezeichnung trans für Menschen, die sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren. /mia
Unter Lenacapavir kein HIV
Insgesamt nahmen an der Studie 5.338 HIV-negative (Cis)-Frauen an 25 Standorten in Südafrika und Uganda teil. In einem randomisierten 2:2:1-Verhältnis erhielten die Teilnehmerinnen entweder
- Lenacapavir halbjährlich (alle 26 Wochen) als subkutane Injektion,
- täglich Emtricitabin und Tenofoviralafenamid (F/TAF) (Descovy®) zur oralen Einnahme oder
- die Kombination Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil (F/TDF) (Truvada®).
Alle Teilnehmerinnen erhielten außerdem entweder ein orales tägliches Placebo oder eine halbjährliche Placebo-Spritze. Da eine reine Placebo-Kontrollgruppe als unethisch angesehen wurde, verglichen die Forschenden die Lenacapavir- und die Descovy®-Gruppen miteinander und verwendeten zum einen die Truvada®-Gruppe und zum anderen die HIV-Inzidenz in den entsprechenden Ländern (HIV-Hintergrundinzidenz) als Kontrolle.
Insgesamt infizierten sich 55 Teilnehmerinnen der Studie mit HIV.
- Keine davon war in der Lenacapavir-Gruppe (0 pro 100 Personenjahre; 95-%-Konfidenzintervall [CI], 0,00 bis 0,19).
- 39 Infektionen von 2.136 Teilnehmerinnen gab es in der Descovy®-Gruppe (2,02 pro 100 Personenjahre; 95-%-CI, 1,44 bis 2,76),
- 16 Infektionen von 1.068 Teilnehmerinnen waren in der Truvada®-Gruppe (1,69 pro 100 Personenjahre; 95-%-CI, 0,96 bis 2,74).
Weitere Ergebnisse waren:
- Die HIV-Hintergrundinzidenz in der untersuchten Population (8.094 Personen) betrug 2,41 pro 100 Personenjahre (95-%-CI, 1,82 bis 3,19).
- Die HIV-Inzidenz unter Lenacapavir war signifikant niedriger als die HIV-Hintergrundinzidenz (Inzidenzratenverhältnis, 0,00; 95-%-CI, 0,00 bis 0,04; P < 0,001) und als die HIV-Inzidenz unter F/TDF (Truvada®) (Inzidenzratenverhältnis, 0,00; 95-%-CI, 0,00 bis 0,10; P < 0,001).
- Die HIV-Inzidenz unter F/TAF (Descovy®) unterschied sich nicht signifikant von der HIV-Hintergrundinzidenz (Inzidenzratenverhältnis, 0,84; 95-%-CI, 0,55 bis 1,28; P = 0,21)
- und es wurde kein signifikanter Unterschied in der HIV-Inzidenz zwischen F/TAF und F/TDF festgestellt (Inzidenzratenverhältnis, 1,20; 95-%-CI, 0,67 bis 2,14).
Adhärenz bei PrEP-Tabletten gering
Die Forschenden stellten außerdem fest, dass die Adhärenz gegenüber F/TAF und F/TDF gering war – die tägliche Einnahme einer Tablette, insbesondere wenn sie vorbeugend und nicht therapeutisch eingenommen wird, ist bekanntlich sehr oft mit dem Phänomen des „Vergessens“ behaftet.
Es gab Reaktionen an der Injektionsstelle, die in der Lenacapavir-Gruppe (68,8 %) häufiger auftraten als in der Placebo-Gruppe (F/TAF und F/TDF zusammen) (34,9 %). Diese unerwünschte Wirkung ist bekannt, vier Frauen brachen aber wegen dieser Reaktion in der Lenacapavir-Gruppe die Studie ab.
Nach dem vorzeitigen Abbruch der Studie bot der Hersteller nun allen Teilnehmerinnen Lenacapavir als Präexpositionsprophylaxe an.
Gut zu wissen: Wie wirkt Lenacapavir?
Lenacapavir ist der erste Wirkstoff aus der Klasse der Kapsid-Inhibitoren gegen das HI-Virus. Das komplexe organisch-chemische Molekül mit der Summenformel C39H32ClF10N7O5S2 wurde im Jahr 2022 als therapeutisches Virostatikum gegen das humane Immundefizienz-Virus HIV zugelassen und wird insbesondere gegen multiresistente HIV-Infektionen eingesetzt.
Der Wirkstoff wirkt bereits im picomolaren Bereich, wird in der Regel zunächst dreimal oral binnen 14 Tagen verabreicht und anschließend halbjährlich subkutan injiziert.
Das Molekül bindet selektiv an das Kapsid des HI-Virus-1, genauer gesagt an die Monomere. Damit werden verschiedene Schritte der HIV-Replikation gestört, die durch das Kapsid vermittelt werden.
Unter anderem kann das Virus die provirale DNA so nicht in den Zellkern der Wirtszelle transportieren. Lenacapavir hemmt weitere Interaktionen zwischen Virus und Wirtszelle.
Lenacapavir: Zweite Studie mit heterogener Probandengruppe
„Mit null Infektionen und 100 Prozent Effizienz hat das halbjährliche Lenacapavir sein Potenzial demonstriert, ein wichtiges neues Werkzeug zu sein, HIV-Infektionen vorzubeugen“, sagte Merdad Parsey, Chief Medical Officer von Gilead Sciences, in einer Presseerklärung.
In der PURPOSE-2-Studie testete Gilead den Wirkstoff nun an einer heterogeneren Gruppe aus „Cisgender-Männern, die Sex mit Männern haben, Transgender-Männern, Transgender-Frauen und geschlechtlich nicht-binären Personen, die Sex mit Partnern haben, denen in Argentinien, Brasilien, Mexiko, Peru, Südafrika, Thailand und den Vereinigten Staaten bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde.“
PURPOSE 2 umfasste knapp 3.300 Probanden. Zwei Personen in der Lenacapavir-Gruppe (ca. 2.200 Probanden) und neun in der zum Vergleich mit Truvada® behandelten Gruppe (ca. 1.100 Probanden) infizierten sich mit HIV. Lenacapavir reduzierte das Infektionsrisiko damit um 96 Prozent gegenüber der Hintergrundinzidenz.
Wie schon die Vorgängerstudie PURPOSE 1 wurde die Auswertung aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse vorzeitig beendet, um das Medikament allen Probanden zur Verfügung stellen zu können, wie es vom Hersteller Gilead heißt.
Lenacapavir vergleichbar effizient wie Truvada®
Von der Effizienz her sei Lenacapavir mit Truvada® vergleichbar, erklärt Max von Kleist von der Freien Universität Berlin. Beide böten einen hervorragenden, nahezu kompletten Schutz. Sich zweimal jährlich impfen zu lassen, sei wesentlich komfortabler als täglich an die Einnahme einer Tablette denken zu müssen, meint Astrid Berner-Rodoreda vom Universitätsklinikum Heidelberg.
Hinzu komme ein bestimmter Effekt: Gerade in einigen stark von HIV betroffenen Ländern gebe es bei der täglichen Einnahme von Tabletten das Risiko, im Umfeld als vermeintlich HIV-positiv abgestempelt zu werden. Eine nur zweimal jährlich verabreichte Spritze lasse sich weitaus besser geheim halten. Darum stehe außer Frage, dass Lenacapavir eine „riesen Erleichterung“ für viele Menschen darstelle, so Berner-Rodoreda.
Lenacapavir ist in der EU bereits zur virushemmenden Behandlung bestimmter Patienten zugelassen, die schon infiziert sind. In Deutschland bietet der Hersteller Lenacapavir aktuell nicht an, da es eine negative Zusatznutzenbewertung des Wirkstoffs in der Therapie gab. Der Verein Aidshilfe formuliert das indes so: „In Deutschland hat der Hersteller Gilead das Mittel nicht auf den Markt gebracht, weil ihm der erwartete Preis zu niedrig war.“ Quelle: dpa / mia
Gilead soll Lenacapavir weltweit zugänglich machen
Laut Angaben des Vereins nimmt der Hersteller rund 40.000 Euro pro Person pro Jahr in den USA mit dem Wirkstoff ein. Bei der Internationalen-Aids-Konferenz in München (#AIDS2024) Ende Juli 2024, bei der Gilead auch die Ergebnisse der PURPOSE-1-Studie vorstellte, gab es Proteste von Aktivisten gegen die „Gier“ des Herstellers („Gilead Greed“).
Unter anderem sprachen sich die Chefin des Aids-Programms der Vereinten Nationen UNAIDS Winnie Byanyima und die Präsidentin der Internationalen AIDS-Gesellschaft Sharon Lewin im Rahmen der Konferenz dafür aus, den Wirkstoff schnell allen Menschen auf der Welt zur Verfügung zu stellen.
„Wir wollen, dass diese Wundermittel der Prävention alle Menschen erreichen, die sie brauchen“, sagte Byanyima unter anderem auf X (vormals Twitter). Lewin, die auch Co-Vorsitzende der Konferenz war, sprach von einem „bahnbrechenden Fortschritt“ und einem „enormen Potenzial für die öffentliche Gesundheit“. Aktivisten etwa von Médicins sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) brachten indes unter anderem das Thema Zwangslizenzen ins Spiel.
Der Hersteller selbst schreibt in seiner Pressemitteilung: „Gilead ist sich bewusst, wie wichtig es ist, den Zugang zu ermöglichen, damit die zweimal jährlich verabreichte Lenacapavir-Dosis für PrEP, wenn sie von den Aufsichtsbehörden zugelassen wird, die größtmögliche Wirkung erzielen kann. (...)“ Quellen:
https://www.gilead.com/news-and-press/press-room/press-releases/2024/6/gileads-twiceyearly-lenacapavir-demonstrated-100-efficacy-and-superiority-to-daily-truvada-for-hiv-prevention
https://www.nejm.org/doi/abs/10.1056/NEJMoa2407001
https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/10600280231171375
https://www.aidshilfe.de/meldung/hiv-prep-lenacapavir
https://x.com/AIDS_conference/status/1816076519631978496
https://msfaccess.org/activists-aids2024-demand-break-gileads-lenacapavir-monopoly-gileads-price-100000-higher-target
Tatsächlich ließ Gilead mit Veröffentlichung der Daten zu PURPOSE 2 vermelden, dass nun die Zulassung von Lenacapavir als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern beantragt werden soll. Gezielt werde an einer Versorgung auch in ärmeren Ländern gearbeitet. Quelle: dpa / mia
Der Welt-Aids-Tag auf PTAheute.de
Seit über 30 Jahren findet alljährlich am 1. Dezember der Welt-Aids-Tag statt. In diesem Jahr lautet das Motto, „Take the rights path: My health, my right!“ („Geh den Weg der Rechte: Meine Gesundheit, mein Recht!“).
Der Aktionstag soll die Rechte von HIV-positiven Menschen weltweit bekräftigen und zu einem Miteinander ohne Vorurteile und Ausgrenzung aufrufen. Außerdem wird an diesem Tag an die Menschen erinnert, die an den Folgen von HIV und Aids gestorben sind.
Auf PTAheute.de unterstützen wir diese Aktion mit ausgesuchten Beiträgen zum Thema HIV und Aids.
Wir erklären, worauf bei der Anwendung von HIV-Selbsttests zu achten ist und welchen Herausforderungen sich PTA in einer HIV-Schwerpunkt-Apotheke stellen. Außerdem berichtet ein Apotheker im Podcast, wie er von seiner Diagnose erfahren hat und wie sich diese auf den Alltag auswirkt.
Wir beschäftigen uns ebenso mit der HIV-Heilung mithilfe einer Stammzelltherapie und wie der HIV-Kapsaid-Inhibitor Lenacapavir vor einer HIV-Infektion schützen soll.