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Fußball-EM: Was darf der Arzt am Spielfeldrand?

Nach einem Foulspiel liegt der Spieler am Boden und kann nicht mehr aufstehen. Der Mannschaftsarzt und die Physiotherapeuten kommen auf den Platz. Dabei ist meist eine Tasche oder ein Koffer voller Utensilien. | Bild: IMAGO / Picture Point

Wenn Ärzte Profifußballer auf dem Spielfeld untersuchen und behandeln müssen, stehen sie oft vor der Herausforderung, in kürzester Zeit zu entscheiden, ob eine Verletzung schwerwiegend ist und ob ein Spieler ausgewechselt werden muss oder weiterspielen kann.

Genau so geht es derzeit auch Prof. Dr. Tim Meyer, der die deutsche Nationalmannschaft bereits bei sechs Welt- und fünf Europameisterschaften als Teamarzt begleitet hat. Auch bei der EM 2024 ist er erneut der betreuende Mediziner für die DFB-Auswahl.

Wir sprachen mit einem seiner Kollegen, Dr. med. Marcus Schweizer, dem Mannschaftsarzt des Karlsruher SC, einem Bundesliga-Zweitligisten. Er erläuterte, wie Ärzte auf dem Spielfeld agieren und welche Arzneimittel in welcher Form eine Rolle spielen – sei es in der Liga oder bei Turnieren.

Was macht eigentlich ein Mannschaftsarzt beim Fußball?

Der Mannschaftsarzt im Fußball übernimmt eine wichtige Rolle bei der medizinischen Betreuung der Spieler. Dies gilt nicht nur während der Spiele, sondern auch im Alltag. Während eines Turniers wie der Fußball-Europameisterschaft ist das medizinische Team rund um die Uhr für die Mannschaft da. Unter der Woche kommen die Spieler in die Praxis des Mannschaftsarztes, und an den Wochenenden sind Team und Ärzte meist einen Tag vor dem Spiel (auswärts) oder am Mittag vor dem Spiel (bei Heimspielen) zusammen. Generell sind Mannschaftsärzte rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, als Ratgeber für alle medizinischen Belange erreichbar.

Die besondere Herausforderung für den Mannschaftsarzt besteht darin, die Interessen des Trainers und der Spieler im Sinne des Teamerfolgs auszubalancieren. „Im Profibereich sollte der Arzt bei akuten Diagnosen auf dem Spielfeld zurückhaltend sein, um Falschmeldungen in Medien vorzubeugen“, so Schweizer.

Wann darf der Mannschaftsarzt zu seinem Team auf das Spielfeld? 

In der Regel betreten die Mannschaftsärzte das Spielfeld auf Anweisung des Schiedsrichters. Dieser kann gemäß den Spielregeln zwei Ärzten erlauben, auf das Spielfeld zu kommen, um einen verletzten Spieler zu behandeln. 

Es gibt im Fußball nur zwei Situationen, in denen der Teamarzt unaufgefordert auf das Spielfeld laufen darf: bei Verdacht auf einen plötzlichen Herzstillstand oder bei einer Kopfverletzung, wie zum Beispiel einer Gehirnerschütterung nach einem Zusammenprall von Spielern im Strafraum.

Handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche Situation, entscheidet der Sportler nach der Erstversorgung auf dem Spielfeld selbst, ob er weiter am Spiel teilnimmt. Der Mannschaftsarzt kann ihn bei der Entscheidungsfindung beraten. 

Eine Ausnahme stellen Kopfverletzungen mit Bewusstseinstrübung dar: Hier entscheidet der Arzt, ob der Sportler vom Platz geholt wird. Bei Verdacht auf eine Gehirnerschütterung kann der Schiedsrichter das Spiel für drei Minuten unterbrechen, damit der Teamarzt den Spieler auf dem Feld untersuchen und feststellen kann, ob eine Gehirnerschütterung vorliegt. Anschließend darf der verletzte Spieler nur mit der Einwilligung des Teamarztes weiterspielen, der die endgültige Entscheidung trifft.

Was gehört in den Koffer des Mannschaftsarztes?

Jeder Fußballfan hat es schon häufiger gesehen: Nach einem Foulspiel liegt ein Spieler am Boden und kann nicht mehr aufstehen. Der Mannschaftsarzt und die Physiotherapeuten eilen auf den Platz, um den verletzten Spieler sofort zu behandeln. Dabei tragen sie meist einen Koffer mit verschiedenen Utensilien bei sich. Doch was gehört eigentlich in diesen Arztkoffer?

Bei einem Turnier wie der Fußball-Europameisterschaft gibt es nicht nur einen Koffer, sondern mehrere. Der Sportarztkoffer unterscheidet sich von den Betreuungskoffern für die Sportphysiotherapeuten oder andere Betreuer. Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten. 

Der wesentliche Unterschied beim Gebrauch eines Sportarztkoffers besteht darin, dass die Ausgabe und Verordnung von Arzneimitteln ausschließlich dem Arzt obliegt. Im Gegensatz dazu besteht ein Großteil der auf dem Spielfeld benötigten Utensilien aus nichtmedikamentösen Materialien. 

Dazu gehören verschiedene Verbandsmaterialien, Tapes, Salben und vor allem Eis oder Eisspray. Ob Spray oder Eis verwendet wird, hängt oft von der persönlichen Präferenz des Mannschaftsarztes und des Betreuerstabs ab. Der Nutzen ist jedoch derselbe: Man möchte Schwellungen verhindern, damit die Spieler möglichst schnell wieder ins Spiel zurückkehren können.

Zur Erinnerung: Kryotherapie gegen Schmerzen

Schon Hippokrates beschrieb im antiken Griechenland die Anwendung von Kälte gegen Schmerzen. Dass Kälte die Schmerzwahrnehmung dämpft und auch gegen Entzündungen wirkt, ist lang bekannt. 

Durch die sich verengenden Blutgefäße sinkt die Durchblutung in entzündeten oder verletzten Körperregionen (Extremitäten) und die Sensibilität der Nervenzellen nimmt ab.  

Auch die PECH-Regel (Pause, Eis, Compression, Hochlagern) nach Sportverletzungen macht sich diesen Effekt zunutze. Eine übermäßige Schwellung sowie das Einbluten in umliegendes Gewebe wird verhindert. Die Kälte steuert den natürlichen Entzündungsprozessen des Körpers entgegen.

Beispiel-Packliste für einen Teamarztkoffer

Bild: IMAGO / Sven Simon 
  • Box mit Eiswasser und Schwämmen – Kühlbox mit Eiswasser/Crushed-Eis
  • Kältespray, Chloräthyl-Spray
  • Schwämme, ggf. Kompressionssystem
  • Fieberthermometer, Blutzuckermessgerät, Blutdruckmessgerät
  • Kugelschreiber
  • Taschenlampe
  • Rettungsdecke
  • Zahnbox (z. B. Dento-Safe®)
  • Set zur Wundversorgung inkl. Abdeckung (ggf. als steriles Einmalset, SUSI®)
  • Wundnahtstreifen (z. B. SteriStrips®)
  • Hautklammergerät
  • Gewebekleber (z. B. Histoacryl®)
  • Beatmungsmaske/-beutel und Guedel-Tubus
  • Immobilisationssysteme für die Extremitäten in verschiedenen Größen und für verschiedene Gelenke (z. B. SAM Splint®, Delta-Cast®)
  • Halswirbelsäulenimmobilisationskragen (z. B. Stifneck®)
  • unterschiedliche Injektionsnadeln und Spritzengrößen
  • Lokalanästhetika, NaCl-Ampullen
  • Entsorgungsbehälter für Injektionsnadeln etc.
  • ggf. Minimalset mit Notfallmedikamenten (z. B. für anaphylaktische Reaktionen, Epilepsie)
  • Arzneimittel gegen Übelkeit und Erbrechen (z. B. Ondansetron, Dimenhydrinat)
  • Arzneimittel gegen Diarrhö (z. B. Loperamid)
  • Ausgleich von Salz- und Wasserverlusten (z. B. Elotrans®)
  • Arzneimittel gegen Magenbeschwerden und Sodbrennen (z. B. Magaldrat, Pantoprazol)
  • abschwellende Nasentropfen (z. B. Xylometazolin) und NaCl-Lösung/-Spülung
  • Erkältungspräparate (z. B. Halspastillen, Inhalationslösung/-tropfen, Vitamin-C-Brausetabletten)
  • Arzneimittel bei Asthma (z. B. Salbutamol Dosieraerosol)
  • fiebersenkende Mittel und Schmerzmittel (z. B. Paracetamol, NSAR)
  • entzündungshemmendes Gel (z. B. Diclofenac)
  • Heparinsalbe
  • Wärmesalbe
  • Arzneimittel gegen Sonnenbrand, Allergie  (z. B. Soventol®-/Fenistil®-Gel)
  • Augen- und Nasensalbe bei Läsionen der  Augenbindehaut oder Nasenschleimhaut
  • Fettcreme
  • Massageöl
  • Desinfektionsmittel (zugelassen für Injektion/Wundversorgung, Schleimhaut, Händedesinfektion)
  • Pflaster, Blasenpflaster, Pflastersprühverband, Kompressen steril, Tupfer, Wattestäbchen, elastische Binden
  • antiadhäsive Wundauflagen für nässende Wunden (z. B. UrgoTül®, Allevyn®)
  • Schere, Pinzette, Fremdkörperpinzette, Einmalskalpell
  • Einmalhandschuhe (steril und unsteril)
  • Dextrosetäfelchen (bei Hypoglykämie)
  • Tape in unterschiedlichen Breiten
  • Sicherheitsnadeln

Werden Schmerzmittel auf dem Sportplatz eingesetzt?

Fußball ist eine Kontaktsportart, bei der man unweigerlich in zum Teil harte Zweikämpfe verwickelt wird. In jedem Training und bei jedem Spiel – vor allem bei einem Turnier – zeigen die Sportler vollen Einsatz: Jeder Profi will spielen und dann auch seine beste Leistung bringen. So ist es unvermeidlich, dass man im Kampf um den Ball einen Schlag auf den Fuß oder auf ein anderes Körperteil bekommt, was oft sehr schmerzhaft sein kann.

Im Spiel, erklärt Mannschaftsarzt Schweizer, stehen die Spieler meist so unter Adrenalin, dass sie keinen großartigen Schmerz verspüren – es sei denn, es handelt sich um eine ernsthafte Verletzung. „Da fragt keiner nach einem Schmerzmittel.“ 

Schmerzmittel spielen eher bei bestehenden Verletzungen eine Rolle, die während der Belastung des Spiels wieder aufflammen. Dann könne ein Analgetikum am Spielfeldrand oder beispielsweise in der Halbzeitpause gegeben werden, so Schweizer. In der Regel werden die Arzneimittel oral eingenommen. Zu den gängigen Schmerzmitteln gehören Diclofenac, Ibuprofen, ASS, Paracetamol und Etericoxib.

Doping oder nicht? Hilfestellung durch die NADA App 

Um sicherzustellen, dass verabreichte Arzneimittel den aktuellen Vorgaben in Sachen Doping entsprechen, nutzen die Mannschaftsärzte im Profisport die „NADA App“. Die Stiftung Nationale Anti Doping Agentur Deutschland ist die maßgebliche Instanz für sauberen Sport in Deutschland. 

Im Juli 2002 wurde die NADA gegründet und anerkannt. Seither setzt sie sich für Fairness und Chancengleichheit im Sport ein. Die App der NADA und die dieser zugrundeliegende Datenbank NADAmed zeigen bei Wirkstoffeingabe an, ob der entsprechende Stoff im Spiel, im Training oder im Spiel und im Training erlaubt ist. Bei bestimmten Substanzen ist eine mehrtägige Pause erforderlich, ehe der Sportler wieder spielen darf.  

Unser Interviewpartner: Dr. med. Marcus Schweizer, Orthopäde & Mannschaftsarzt beim Zweitligisten Karlsruher Sport Club (KSC)

Bild: Karlsruher Sport Club

Der 61-jährige Orthopäde hat eine Praxis in der Karlsruher Innenstadt und betreut außerdem seit mehr als 20 Jahren das Profi-Team des KSC. Die zeitliche Belastung Schweizers ist enorm. 

„Ich bin bei jedem Trainingslager dabei. Die Wochenenden sind alle weg. Ist das Auswärtsspiel weiter als 400 Kilometer entfernt, fahre ich am Tag vor der Partie mit dem Bus mit, sind es weniger, komme ich auch mal am Spieltag nach. Ohne Herzblut kann man diesen Job nicht machen.“ 

„Man muss den Job und den Fußball lieben“, lautet sein Credo.