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Warum wir nicht essen, wenn uns übel ist

Frau sitzt auf dem Bett und hält sich eine Hand auf den Bauch und die andere vor den Mund
Appetitlosigkeit durch Übelkeit wird im Gehirn signalisiert. | Bild: LIGHTFIELD-STUDIOS / AdobeStock

Was passiert bei Appetitlosigkeit? Wenn wir satt sind, uns übel ist oder wenn wir Angst haben, unterdrückt der Körper unseren Wunsch nach Essen. Das ist durchaus schlau, denn so schützt er uns vor Überernährung, vielleicht sogar vor verdorbenem Essen.

Interessanterweise scheint es jedoch nicht gleichgültig, was eine Appetitlosigkeit auslöst, denn Sättigung aktiviert andere Schaltkreise zur Appetithemmung, als Übelkeit es tut.

Neuronen in der Amygdala hemmen Appetit

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts haben sich intensiv mit durch Übelkeit ausgelöster Appetitlosigkeit beschäftigt und ihre Arbeiten dazu im Fachjournal „Cell Reports“(„Nausea-induced suppression of feeding is mediated by central amygdala Dlk1-expressing neurons“)  veröffentlicht.

Sie charakterisierten in der Amygdala – einem Kerngebiet im Gehirn, das auch Mandelkern genannt wird und eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Emotionen spielt – eine Nervenzellgruppe: CeADlk1-Neuronen werden durch Übelkeit aktiviert und unterdrücken in der Folge die Nahrungsaufnahme.

Übelkeit und Sättigung hemmen den Appetit unterschiedlich

Es war bereits bekannt, dass die Amygdala „bei Emotionen auch rund ums Essen mitwirkt“, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft in einer Mitteilung: Im Mandelkern befänden sich Neurone, die das Essen fördern, und Neurone, die den Appetit zügelten. 

Eine wichtige Rolle, wenn es um die Appetithemmung bei Sättigung geht, spielen Pkcδ-Neurone. Die nun von der Erstautorin der Studie Wenyu Ding entdeckten Nervenzellen CeADlk1 hingegen reagieren nicht auf Sättigung, doch werden sie aktiviert durch Mittel, die Übelkeit, Bauchschmerzen oder einen bitteren Geschmack auslösen.

In ihren Versuchen aktivierten die Wissenschaftler CeADlk1-Neurone in Mäusen und beobachteten, dass die Mäuse das Essen stoppten – selbst wenn sie noch hungrig waren. Schalteten sie die Nervenzellen hingegen aus, so aßen die Mäuse, obwohl ihnen übel war. 

Sozialer Rückzug bei Übelkeit

Die Übelkeit hatten die Wissenschaftler zuvor künstlich induziert. Sie erklären die appetithemmende Wirkung des Zelltyps und den zugehörigen Schaltkreis folgendermaßen:

„Ist der Maus schlecht, erreicht diese Information das Gehirn und schließlich die Amygdala. Dort wird der neue Zelltyp aktiviert und sendet seine hemmenden Signale in weit entfernte Gehirnregionen, unter anderem den sogenannten parabrachialen Nucleus, eine Hirnstammregion, wo viele Informationen über den aktuellen Zustand des Körpers zusammenlaufen.“ 

Zudem beobachteten die Forschenden, dass sich Mäuse mit aktivierten CeADlk1-Neuronen von ihren Artgenossen eher isolierten – wie sich auch Menschen bei Übelkeit eher zurückziehen. Hingegen blieb ihre Neugier auf neue Objekte erhalten. 

Erkenntnisse wichtig für das Verständnis von Essstörungen?

„Die aktuellen Erkenntnisse können auch für die Beforschung von Essstörungen gewinnbringend sein“, erklärt Rüdiger Klein, Mitautor der Studie und Direktor der Abteilung „Moleküle-Signale-Entwicklung“ am Max-Plack-Institut für biologische Intelligenz, auch wenn Ergebnisse aus Nagerversuchen sich nicht eins zu eins direkt auf den Menschen übertragen lassen.

Stimme das Gleichgewicht zwischen appetitanregenden und appetithemmenden Neuronen nicht, könnten sich eigentlich unangenehme Gefühle – wie Hunger – belohnend für das Gehirn anfühlen. Betroffene Menschen verspürten sodann gerne Hunger und essen in der Folge zu wenig.

Im schlimmsten Fall könne dieses Ungleichgewicht zu Magersucht führen, erklärt Klein. In Zukunft könnten weitere Untersuchungen Einblicke in die Entstehung von Adipositas, Magersucht oder anderen Essstörungen geben. Und weiter: „Auch die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien für diese belastenden Krankheiten sei denkbar.“ Quellen:
https://www.swr.de/wissen/appetitlosigkeit-gehirn-neue-neuronen-100.html

https://www.mpg.de/21757561/0328-psy-ein-schaltkreis-im-gehirn-der-uns-den-appetit-verdirbt-155111-x

https://www.cell.com/cell-reports/fulltext/S2211-1247(24)00318-8?_returnURL=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S2211124724003188?showall=true#%20