Noch immer Schwangerschaften unter Isotretinoin
Isotretinoin ist „ausgeprägt teratogen“, Retinoide seien nach Thalidomid (Contergan®) die „am stärksten teratogen wirkenden Arzneimittel“. Aus diesem Grund sei Isotretinoin während der „gesamten Schwangerschaft absolut kontraindiziert“, erklärt Embryotox, das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie an der Berliner Charité.
Deshalb müssen Frauen im gebärfähigen Alter unter Isotretinoin sicher verhüten – bereits einen Monat vor und noch einen Monat nach Therapiestart beziehungsweise -ende – und zu Beginn sowie alle vier Wochen eine Schwangerschaft mittels Test ausschließen. Isotretinoin wirkt äußerst gut bei schwerer Akne, insbesondere auch bei einer zur Narben führenden Akne.
Ärzte verordnen Isotretinoin für Frauen auf normalen Muster-16-Verordnungen oder gegebenenfalls auf einem Privatrezept. Ähnlich wie bei T-Rezepten sind solche Verordnungen nach Ausstellung maximal sechs Tage (6 + 1) gültig sind. Die verordnete Menge darf den Bedarf von 30 Tagen nicht überschreiten.
Isotretinoin: Fehlbildungsrisiko für das Baby
Ärzte und Apothekenmitarbeitende informieren Patientinnen bei der Verordnung und Abgabe von Aknenormin®, IsoGalen, Isotiorga, Isotret-HEXAL®, Isotretinoin Basics oder Isotretinoin-ratiopharm® unter anderem über die Gefahren für das Baby – das Retinoid-Syndrom. Dazu zählen
- Fehlanlage der Ohren,
- Störungen bei der Gesichts- und Gaumenbildung,
- kardiovaskuläre Defekte,
- Entwicklungsstörungen im Bereich des Thymus sowie des zentralen Nervensystems sowie
- neurologische Schäden.
Ebenso sollten Patientinnen über eine mögliche Exposition in der Schwangerschaft und die essenziell wichtige sichere Verhütung aufgeklärt werden.
Dennoch werden nach wie vor Frauen unter Isotretinoin schwanger. Wie häufig passiert dies und wie viele dieser Kinder kommen mit Fehlbildungen zur Welt? Daten dazu haben Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) gesammelt und im Januar 2024 im Fachjournal „Plos Medicine“„Use of isotretinoin among girls and women of childbearing age and occurrence of isotretinoin-exposed pregnancies in Germany: A population-based study“ veröffentlicht.
Isotretinoin-Verordnung: Abrechnungsdaten von vier Krankenkassen
Die Forschenden nutzten für ihre Analyse Daten der Deutschen pharmakoepidemiologischen Forschungsdatenbank (GePaRD). Diese enthält Abrechnungsdaten von vier gesetzlichen Krankenkassen (AOK Bremen/Bremerhaven, TK, DAK, hkk) und deckt damit etwa 20 Prozent der Bevölkerung hierzulande ab.
Sie untersuchten Isotretinoin-Verordnungen im Zeitraum von 2004 bis 2019, wenn die Patientinnen zwischen 13 und 49 Jahre alt waren. Dabei gingen sie von einer Isotretinoin-Exposition in der Schwangerschaft aus, wenn
- der Verordnungszeitraum in den Beginn einer Schwangerschaft reichte oder
- die Frauen das Rezept in den ersten acht Schwangerschaftswochen eingelöst hatten.
Zunächst stellten die Forschenden des Leibniz-Instituts fest, dass im Untersuchungszeitraum immer mehr Mädchen und Frauen Isotretinoin erhalten hatten: 2004 nahmen statistisch gesehen 1,2 von 1.000 Mädchen und Frauen Isotretinoin ein, 2019 waren es 1,96 von 1.000 – das sind 63 Prozent mehr.
Vor allem zwischen 13 und 30 Jahren erhielten mehr Mädchen und Frauen den Wirkstoff, bei 16- bis 20-Jährigen verdoppelte sich die Zahl der Anwenderinnen (+103 Prozent) von 2,07 von 1.000 auf 4,2 von 1.000 Frauen. Insgesamt lösten 50.936 Mädchen und Frauen 339.408 Isotretinoin-Rezepte ein. Zumeist hatten Dermatologen die Verordnungen ausgestellt (89 Prozent).
Wie oft kam es zu Schwangerschaften unter Isotretinoin?
Im Beobachtungszeitraum gab es 178 dokumentierte Schwangerschaften unter Isotretinoin-Exposition in der Frühschwangerschaft. Auch hier beobachten die Wissenschaftler eine Zunahme: Zwischen 2004 und 2011 wurden während einer Isotretinoinbehandlung durchschnittlich sieben Frauen pro Jahr schwanger, zwischen 2012 und 2019 waren es jährlich 15 Frauen. Die meisten (62,9 Prozent) der Schwangeren waren zwischen 16 und 30 Jahre alt.
Nach Isotretinoin-Exposition folgt meist Schwangerschaftsabbruch
Bei 164 dieser Schwangerschaften fiel das Schwangerschaftsende in das Studienfenster: 29,3 Prozent (48) der Babys kamen lebend zur Welt, drei Babys (6,3 Prozent) als Frühgeburt. Bei knapp der Hälfte der Schwangerschaften (45,1 Prozent, 74) entschieden sich die Eltern für einen Abbruch, drei (1,8 Prozent) der Schwangerschaften endeten als Fehlgeburt.
Bei einem Fünftel (20,7 Prozent, 34) der Schwangerschaften wissen die Forschenden nicht, wie diese verliefen oder ausgingen, sie gehen jedoch von einem Schwangerschaftsabbruch aus.
Unter Isotretinoin: 13 Babys hatten Fehlbildungen
Wie ging es den Babys (138), die lebend auf die Welt gekommen waren? Die Wissenschaftler wissen von sechs Kindern mit einer größeren Fehlbildung an Herz, Auge, Schädel oder Nase. Zudem kam ein Kind mit Spina bifida („offener Rücken“) und Hydrozephalus („Wasserkopf“) zur Welt, eines hatte mehrere größere Fehlbildungen. Fünf Kinder wiesen kleinere Fehlbildungen auf.
Risikominimierende Maßnahmen wichtig
Die Wissenschaftler sprechen abschließend von einer „beträchtlichen Zahl“ an Schwangeren, die in einem kritischen Zeitraum Isotretinoin ausgesetzt waren. Das unterstreiche wie wichtig es sei, die risikominimierenden Maßnahmen in Deutschland einzuhalten und zu überwachen.
Gut zu wissen: Sichere Verhütung bei Isotretinoin-haltigen Arzneimitteln
Frauen im gebärfähigen Alter, die potenziell schwanger werden können müssen bei Anwendung Isotretinoin-haltiger Arzneimittel sicher verhüten. Was bedeutet das? Sie sollten der „Blauen Hand“ zufolge mindestens
- eine „hochwirksame Verhütungsmethode“ anwenden – z. B. Spirale oder Implantat
oder
- zwei „wirksame Verhütungsmethoden“ – z. B. hormonelles Kontrazeptivum plus Kondom.
Die Frauen müssen diese Art der Verhütung bereits einen Monat vor Beginn der Isotretinointherapie starten, für die gesamte Behandlungsdauer zuverlässig anwenden und nach Absetzen von Isotretinoin noch einen weiteren Monat aufrechterhalten.