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ADHS-Therapie: Mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen

ADHS-Arzneimittel können das Risiko für Bluthochdruck und arterielle Erkrankungen erhöhen. | Bild: matho / AdobeStock

Bereits die S3-Leitlinie „ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ (gültig bis 2022, derzeit in Überarbeitung) beschreibt einen „dosisabhängig möglichen Anstieg von Pulsfrequenz und Blutdruck“ unter Stimulanzien, einer Gruppe von ADHS-Arzneimitteln (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Dieser sei meist „gering“ mit durchschnittlich 1–4 mmHg systolisch und 1–2 mmHg diastolisch (1–2 Schläge/Minute), jedoch bei etwa 5–15 Prozent der Behandelten auch „deutlicher“ ausgeprägt. Auch persistierten die Erhöhungen, was längere Studien (24 Monate) belegten.

Zur Erinnerung: Was ist ADHS?

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist die am häufigsten diagnostizierte psychische Krankheit bei Kindern. Betroffene sind oft unaufmerksam, können sich schlecht konzentrieren und ihre Gefühle nur schwer kontrollieren. 

Die genauen Ursachen sind unklar, Fachleute vermuten sowohl genetische Faktoren als auch Umwelteinflüsse. Die Störung zieht häufig Schwierigkeiten in der Schule, in der Familie und im sonstigen sozialen Umfeld nach sich. Auch Erwachsene können unter ADHS leiden.

Kontraindiziert bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Schaut man in die Fachinformationen von Methylphenidat (z. B. Medikinet®, Ritalin®), Dexamfetamin (Attentin®) und Lisdexamfetamin (Elvanse®) – alle drei Wirkstoffe sind Stimulanzien, die bei ADHS zum Einsatz kommen –, warnen auch diese vor dem Einsatz der Substanzen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So heißt es zum Beispiel in den informierenden Texten zu Methylphenidat: „Vorsicht ist geboten bei der Behandlung von Patienten, deren Gesundheitszustand durch Erhöhung des Blutdrucks oder der Herzfrequenz beeinträchtigt werden könnte.“ 

Der Zulassungsinhaber von Elvanse® (Lisdexamfetamin) präzisiert weiter die möglichen Grunderkrankungen „z. B. bei denjenigen mit vorbestehender Hypertonie, Herzinsuffizienz, kürzlich durchgemachtem Myokardinfarkt oder Kammerarrhythmie“. Zudem schließen gewisse Grunderkrankungen eine Behandlung mit Stimulanzien aus, z. B. symptomatische Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mittelschwere bis schwere Hypertonie.

Sympathomimetische Wirkung 

Dass Stimulanzien Blutdruck und Herzfrequenz erhöhen können, ergibt sich aus ihrem Wirkmechanismus, wobei dieser beim Menschen nicht vollständig geklärt ist. Man nimmt an, dass beispielsweise Methylphenidat indirekt sympathomimetisch wirkt, indem es die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin in präsynaptischen Neuronen hemmt. Dadurch erhöht sich deren Konzentration im synaptischen Spalt. 

Der Effekt: Der Sympathikustonus erhöht sich und mit ihm der Blutdruck, Puls und – das ist gewünscht – die Konzentrationsfähigkeit.

Mehr kardiovaskuläre Erkrankungen nach jahrelanger ADHS-Medikation?

Was machen diese Blutdruck- und Pulserhöhungen langfristig? Erkranken die mit Stimulanzien behandelten Menschen mit ADHS häufiger kardiovaskulär als Menschen, die diese Präparate nicht anwenden? 

Interessant ist diese Frage vor allem, da ADHS-Arzneimittel in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr verordnet wurden, an Kinder sowie ErwachseneThe Lancet Psychiatry: „Trends in attention-deficit hyperactivity disorder medication use: a retrospective observational study using population-based databases“ . ADHS-Arzneimittel sind in der Regel in ein multimodales Behandlungskonzept eingebunden. 

Mittel der Wahl ist der derzeit in Überarbeitung befindlichen Leitlinie zufolge Methylphenidat. Dexamfetamin und Lisdexamfetamin kommen bei unzureichender Wirksamkeit von Methylphenidat zum Einsatz. Das Nichtstimulanz Atomoxetin (Strattera®) verordnen Ärzte bei zusätzlichen Angststörungen und Tics. Guanfacin (Intuniv®) ist Mittel der zweiten Wahl bei Unverträglichkeit von Methylphenidat.

Registerdaten aus Schweden

Wissenschaftler vom Karolinska-Institut in Stockholm (Schweden) werteten Daten anhand des schwedischen Nationalen Patientenregisters bzw. Arzneimittelregisters aus. Berücksichtigt wurden dabei sechs- bis 64-jährige Menschen, die zwischen dem 1. Januar 2007 und 31. Dezember 2020 eine ADHS-Diagnose oder ein ADHS-Arzneimittel (Methylphenidat, Amfetamin, Dexamfetamin, Lisdexamfetamin, Atomoxetin, Guanfacin) erhalten haben. 

Dem Register entnahmen die Wissenschaftler zudem, bei wem eine kardiovaskuläre Erkrankung festgestellt wurde – z. B. ischämische Herzerkrankung, zerebrovaskuläre Erkrankung, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Arrhythmien, thromboembolische Erkrankung, arterielle Erkrankung und andere Formen von Herzerkrankungen.

Risiko steigt mit Medikationsdauer und Dosis

Von 278.027 Menschen mit ADHS hatten 10.388 eine kardiovaskuläre Erkrankung (Fallgruppe). Diese Probanden verglichen die Wissenschaftler mit einer Kontrollgruppe (51.672 ADHS-Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankung), die hinsichtlich Alter und Geschlechterverteilung ähnlich war. 

Die Patienten wurden im Median 4,1 Jahre nachbeobachtet. Während dieser Nachbeobachtungszeit nahmen 83,9 Prozent in der Fallgruppe und 83,5 Prozent in der Kontrollgruppe ADHS-Arzneimittel ein – am häufigsten Methylphenidat, gefolgt von Atomoxetin und Lisdexamfetamin. 

Die Wissenschaftler stellten fest, dass das kardiovaskuläre Risiko mit der Dauer der Medikation stieg (verglichen mit Nichteinnahme): „Während der 14-jährigen Nachbeobachtungszeit war jeder Ein-Jahres-Anstieg bei der Einnahme von ADHS-Medikamenten mit einem um 4 Prozent erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden“, schreiben die Studienautoren im Fachjournal „JAMA Psychiatry“„Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Medications and Long-Term Risk of Cardiovascular Diseases“ . „In den ersten drei Jahren (8 Prozent) war ein größerer Risikoanstieg ersichtlich.“

Dabei stieg das kardiovaskuläre Risiko auch mit der Dosis. „Bei Personen mit einer mittleren Tagestherapiedosis, z. B. für Methylphenidat > 60 mg, war jede Erhöhung des ADHS-Medikamentengebrauchs um ein Jahr mit einem um 5 Prozent erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden“, liest man im JAMA.

Mehr Bluthochdruck und arterielle Erkrankungen 

Dabei scheint eine langfristige ADHS-Medikation vor allem das Risiko für Bluthochdruck und arterielle Erkrankungen zu erhöhen: Verglichen mit einer Nichteinnahme steigt das Risiko für Bluthochdruck bei einer Therapiedauer zwischen drei und weniger als fünf Jahren um 72 Prozent (bei einer Therapiedauer ab fünf Jahren um 80 Prozent) und für arterielle Erkrankungen um 65 Prozent (bei einer Therapiedauer ab fünf Jahren um 49 Prozent). 

Die Wissenschaftler fanden allerdings kein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, ischämische Herzerkrankungen, thromboembolische Erkrankungen oder zerebrovaskuläre Erkrankungen.

Kinder und Erwachsene

Reagierten Kinder und Erwachsene unterschiedlich hinsichtlich der langfristigen kardiovaskulären Nebenwirkungen? Nein: „Bei Kindern und Jugendlichen (im Alter von < 25 Jahren) und Erwachsenen (im Alter von ≥ 25 Jahren) wurden ähnliche Muster beobachtet“, erklären die Wissenschaftler.

Vorteile und Risiken abwägen

Diese Ergebnisse unterstreichen den Wissenschaftlern zufolge, wie wichtig es sei, „bei Behandlungsentscheidungen über die langfristige Einnahme von ADHS-Medikamenten potenzielle Vorteile und Risiken sorgfältig abzuwägen“. Kliniker sollten kardiovaskuläre Anzeichen und Symptome während des gesamten Behandlungsverlaufs regelmäßig und konsequent überwachen, empfehlen die Studienautoren.