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Neue Fassung der Hämotherapie-Richtlinie : Neue Richtlinie soll Blutspenden erleichtern

Junger Mann beim Blutspenden
Künftig werden Spendeninteressierte nach der Anzahl ihrer Sexualpartner gefragt, nicht mehr nach ihrer sexuellen Orientierung. | Bild: Seventyfour / AdobeStock

Homo- und bisexuelle Männer in Deutschland können künftig leichter Blut spenden. Seit gestern gilt eine entsprechende Erneuerung der sogenannten „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten“ der Bundesärztekammer (BÄK). 

Ob die neue Regelung ab sofort in der Praxis angewendet wird, hängt einem Sprecher der Bundesärztekammer zufolge davon ab, wie schnell die Blutspendedienste auf einen neuen Fragebogen umstellen.

Die Änderungen seien im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie unter Beteiligung des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert Koch-Instituts (RKI) erfolgt, so der Sprecher. Unter anderem hatten Schwulenverbände die bisherige Praxis als diskriminierend bewertet. So auch die Deutsche Aidshilfe: Sie hatte die bisherige Regelung immer wieder als diskriminierend bezeichnet, „weil schwule Männer zu pauschal und ohne ausreichende Begründung ausgeschlossen wurden“.

Blutspenden unabhängig der sexuellen Orientierung

Um Diskriminierung zu verhindern, erfolgt die Risikobewertung von Blutspenden künftig unabhängig von der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Daher werden Spendeninteressierte nun nicht mehr nach ihrer sexuellen Orientierung, sondern nach der Anzahl der Sexualpartner und der Sexualpraxis befragt, erklärt Johannes Oldenburg, Arzt und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. Auch heterosexuelle Menschen müssen künftig konkret Angaben zu ihrer Sexualpraxis machen. Dabei wird auch speziell nach Analsex gefragt.

Spezielle Ausschlusskriterien für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), fallen weg. Außerdem entfällt die Regelung zur Rückstellung von Transmenschen, die Sex mit häufig wechselnden Partnern haben. Zudem gibt es bisherige Altersgrenzen künftig nicht mehr. Auch über 60-Jährige können damit in Zukunft als Erstspender zugelassen werden.

Wer darf kein Blut spenden?

Zurückgestellt wird, wer „innerhalb der letzten vier Monate ein Sexualverhalten aufgewiesen hat, das ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt“. 

Dazu gehört demnach etwa Sex mit insgesamt mehr als zwei Personen und Sex mit einer neuen Person, wenn dabei Analverkehr praktiziert wurde. Ziel der Risikoanalyse ist es, die Übertragung einer Infektion auf den Empfänger einer Blutspende möglichst zu verhindern.

Unabhängig von der Sexualpraxis galt bislang noch als risikoreich, wenn ein Mann innerhalb der letzten vier Monate Sex mit einem neuen Mann hatte. Bei Sexualverkehr zwischen Frau und Mann wurde hingegen für vier Monate nur zurückgestellt, wer „häufig wechselnde Partner/Partnerinnen“ hatte.

Warum wurden die Richtlinien zum Blutspenden geändert?

Im März beschloss das Parlament, „eine unvertretbare, medizinisch unnötige Diskriminierung“ homosexueller Männer bei Blutspenden zu beseitigen, wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte. Das Gesetz gab der BÄK eine entsprechende Änderung der Richtlinie vor. 

Im Transfusionsgesetz wurde dafür festgelegt, dass die sexuelle Orientierung bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von Blutspenden führt, nicht berücksichtigt werden darf. Eine Einschätzung solle aber nach dem „individuellen Sexualverhalten der spendewilligen Person“ möglich bleiben.

Nach Angaben des RKI zeigen epidemiologische Daten, dass Sex unter Männern mit einem besonders hohen Übertragungsrisiko für verschiedene Infektionen einhergeht. Etwa zwei Drittel der jährlichen Neuinfektionen mit HIV fielen auf MSM. 

Auch bei Syphiliserkrankungen, bei denen der Infektionsweg bekannt sei, wurden dem RKI zufolge 85 Prozent aller Erkrankungen auf Sex unter Männern zurückgeführt (Stand: September 2021). Deshalb durften bis 2017 MSM und Transmenschen gar kein Blut spenden.

Blutspenden werden auf Infektionskrankheiten untersucht

Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden täglich 15.000 Blutspenden für Operationen, zur Versorgung von Unfallopfern und für die Behandlung schwerer Krankheiten benötigt. Um eine sichere Versorgung zu garantieren, werden alle Blutspenden im Labor auf spezielle Infektionskrankheiten untersucht, etwa auf HIV, Syphilis sowie Hepatitis B, C und E.

Transfusionsmediziner Oldenburg zufolge wird die Spende auch auf eine Infektion mit dem West-Nil-Virus überprüft. Allerdings könnten die Tests keine absolute Sicherheit geben, auch wenn sie äußert sensibel seien. Vor allem sehr neue Infektionen können erst nach einer gewissen Zeit im Blut nachgewiesen werden. Daher müssen Spendeninteressierte vor einer Spende einen umfangreichen Fragebogen zu ihrer Gesundheit ausfüllen und ein Arztgespräch führen.

Mit der neuen Richtlinie ändere sich nichts an der Sicherheit der Blutprodukte, versichert Oldenburg. Das zeigten auch Erfahrungsberichte aus anderen Ländern, die ihren Fragenkatalog bereits entsprechend angepasst hätten. Auch wenn künftig nicht mehr explizit nach der sexuellen Orientierung gefragt werde, würden mögliche Risiken ebenso gut erfasst. 

Auch über den Wegfall der Altersgrenze müssten potenzielle Blutspendenempfänger sich keine Sorgen machen. „Die Qualität des Blutes wird durch das Alter nicht beeinträchtigt.“ Die bisherige Regelung sei zum Schutz von Spendern eingerichtet worden, weil ältere Menschen zum Teil Kreislaufprobleme oder Bluthochdruck hätten. 

Kritik an den neuen Blutspende-Regeln

Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe äußerte sich zu den Neuregelungen folgendermaßen: „Die neuen Regeln sind weder wissenschaftlich evident noch beenden sie die Diskriminierung.“ So würden die meisten schwulen Männer weiterhin ausgeschlossen werden. „Die neue Regelung hält sogar noch weitere potenzielle Spender*innen unnötig von der Spende ab.“

Außerdem weist die neue Regelung laut der Deutschen Aidshilfe (DAH) gravierende Mängel auf. Unter anderem kritisiert sie folgende Punkte: 

  • Z. B. sei die Regelung „häufig wechselnde Partner/Partnerinnen“ teils schwammig formuliert. Es sei nicht festgelegt, wer darüber entscheidet.
  • Die Ausschlussfrist von vier Monaten sei nicht nachvollziehbar und werde nicht erläutert.
  • Es sei fraglich, warum keine sensibleren Testverfahren angewendet werden, um die Frist weiter zu verkürzen.
  • Die Regelung für Analverkehr sei falsch, da die Sexualpraktik an sich kein Risiko darstelle.

Laut DAH zeigen die neue Regelung und die unbefriedigenden Erfahrungen der letzten Jahre, dass das bisherige Verfahren keine breit akzeptierte Lösung hervorzubringen vermag. Deshalb fordert der Verband neue Regeln, die nicht allein von medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet werden dürften. Verbände müssten in den Prozess mit einbezogen werden. 

Der DAH-Vorstand präzisiert: „Die Konsequenz aus dieser unausgegorenen Neuregelung kann nur eine sein: Zurück auf Los. Ein Neustart mit neuen Regeln, ein öffentlicher Diskurs und Transparenz von Anfang an.“ Quellen: dpa / mia; PM DAH