Zugelassen für alle Säuglinge: Nirsevimab: Neuer Antikörper gegen RSV
RSV – das Respiratorische Synzytialvirus besorgt derzeit: Dem wöchentlichen ARE-Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge (48. Kalenderwoche) lässt sich RSV derzeit bei 61 Prozent der 0- bis 4-Jährigen, die wegen einer schweren akuten Atemwegsinfektion (SARI) im Krankenhaus behandelt werden, nachweisen.
Bereits seit der 41. Kalenderwoche – seit etwa Mitte Oktober 2022 – läuft die RSV-Welle. Vor allem Säuglinge und Kleinkinder trifft sie hart, gefährdet sind insbesondere Frühgeborene oder Babys mit Herz- oder Lungenerkrankungen. Sie erkranken teilweise beatmungspflichtig schwer, müssen intensivmedizinisch betreut werden und können schlimmstenfalls versterben.
Antikörper Nirsevimab blockiert Fusionsprotein von RSV
Die EMA hat im September 2022 ein neues Arzneimittel gegen RSV zur Zulassung empfohlen. Mittlerweile hat die Europäische Kommission am 31. Oktober die Zulassung erteilt. Es geht um Nirsevimab von AstraZeneca. Handelsname ist Beyfortus®.
Der Antikörper soll bei Neugeborenen und Säuglingen im ersten Lebensjahr während der ersten RSV-Saison schweren Erkrankungen durch das RS-Virus vorbeugen. Das gelingt, indem Nirsevimab an das F-Protein von RSV bindet. Dieses benötigt das Virus, um menschliche Zellen zu infizieren. Blockiert Nirsevimab dieses F-Protein (Fusionsprotein), gelangt RSV folglich nicht mehr in die Körperzellen, insbesondere die Lunge.
Nirsevimab: Eine Dosis genügt
Bei Nirsevimab handelt es sich damit um einen passiven Impfschutz, da der Antikörper den Erreger direkt bekämpft. Bei aktiven Impfungen werden hingegen bestimmte Strukturen des Erregers geimpft, um den Körper zur Immunabwehr und zur Antikörperbildung zu stimulieren.
Daraus ergibt sich jedoch ein Nachteil für Passivimpfungen: Das Immungedächtnis bleibt aus. Nachdem Nirsevimab aus dem Körper eliminiert wurde, ist auch der Impfschutz weg, und für einen weiteren Immunschutz müsste der Antikörper erneut verabreicht werden. Bei Nirsevimab geht die Ausscheidung erfreulicherweise langsam und dauert mehrere Monate, weswegen eine einzige Dosis genügt, um Säuglinge für eine ganze RSV-Saison vor schweren Erkrankungen zu schützen.
Bisherige Passivimpfung mit Palivizumab alle 28 Tage notwendig
In diesem Punkt unterscheidet sich der neue Antikörper Nirsevimab deutlich von Palivizumab (Synagis®), einem seit Jahren als passiver Impfschutz gegen RSV zugelassenen Antikörper, denn: Palivizumab erhalten Babys aufgrund der kurzen Wirkdauer mehrfach – alle 28 Tage im Zeitraum der erhöhten RSV-Aktivität von November bis April.
Dieses Zeitfenster verschob sich in den letzten Jahren laut RKI allerdings in den Herbst: So hat man 2022 bereits seit Anfang September steigende RSV-Fälle beobachtet, und die RSV-Welle läuft seit Mitte Oktober.
Gut zu wissen: Woher das RS-Virus seinen Namen hat
Das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) ist ein RNA-Virus. Für seine krankmachenden Eigenschaften sind zwei Oberflächenstrukturen (Glykoproteine) bedeutend:
- Mit dem Glykoprotein G (Adhäsionsprotein) bindet RSV an die menschliche Zelle.
- Mit dem Glykoprotein F (Fusionsprotein) gelingt es RSV, in die Wirtszelle einzudringen und diese mit den benachbarten Atemwegszellen zu verschmelzen. Diese Verschmelzung nennt man auch Synzytienbildung, was den Namen von RSV erklärt.
Für wen ist Nirsevimab zugelassen?
Nirsevimab erhalten Neugeborene und Babys während ihrer ersten RSV-Saison. Der Antikörper wird einmal zu Beginn der RSV-Saison als intramuskuläre Injektion in den Oberschenkel verabreicht. Bei Säuglingen, die während der RSV-Saison geboren wurden, erfolgt dies direkt bei Geburt. Die Dosis ist gewichtsabhängig: Säuglinge unter 5 kg erhalten einmalig 50 mg, Säuglinge, die 5 kg und mehr wiegen, 100 mg Nirsevimab.
Auch bezüglich der Indikation gibt es Unterschiede zwischen Nirsevimab und Palivizumab. Das betont der Zulassungsinhaber beider Antikörper, AstraZeneca. Nirsevimab ist zugelassen „für die breite Säuglingsbevölkerung, einschließlich derjenigen, die gesund, reif oder zu früh geboren wurden oder mit bestimmten gesundheitlichen Problemen auf die Welt kamen“.
Palivizumab dürfen laut Zulassung lediglich Kinder mit einem hohen Risiko für eine RSV-Erkrankung erhalten. Dazu zählen Kinder, die in der 35. Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind. Außerdem dürfen Kinder unter zwei Jahren, die innerhalb der vorherigen sechs Monate wegen bronchopulmonaler Dysplasie (chronische Lungenerkrankung) behandelt wurden, oder an einem angeborenen hämodynamisch signifikanten Herzfehler leiden, Palivizumab erhalten.
Nach Nirsevimab-Gabe weniger RSV-bedingte Krankenhauseinweisungen
AstraZeneca konnte die Wirksamkeit und Sicherheit des neuen RSV-Antikörpers in drei großen Studien nachweisen. In einer Studie an 1.490 Früh- und Reifgeborenen (ab der 35. Schwangerschaftswoche) erkrankten 1,2 Prozent der Nirsevimab-Patienten an RSV, in der Placebogruppe waren es 5 Prozent (25 von 496), was einer Wirksamkeit von 74,5 Prozent entspricht.
Der Studie „Nirsevimab for Prevention of RSV in Healthy Late-Preterm and Term Infants“, veröffentlicht im „New England Journal of Medicine“ zufolge mussten sechs der Kinder mit Nirsevimab ins Krankenhaus, unter Placebo waren es acht Kinder. Schwere Nebenwirkungen traten in beiden Gruppen vergleichbar häufig auf: 6,8 Prozent unter Nirsevimab und 7,3 Prozent unter Placebo.
In einer weiteren Studie„Single-Dose Nirsevimab for Prevention of RSV in Preterm Infants“, veröffentlicht im „New England Journal of Medicine“ untersuchte AstraZeneca Nirsevimab an 1.453 Kindern, die mindestens fünf Wochen zu früh auf die Welt gekommen waren. Hier reduzierte Nirsevimab die Rate an behandlungspflichtigen RSV-bedingten Atemwegserkrankungen um 70,1 Prozent (2,6 Prozent der Kinder erkrankten unter Nirsevimab, 9,5 Prozent unter Placebo).
Auch Krankenhauseinweisungen ließen sich mit Nirsevimab häufiger vermeiden (0,8 Prozent Krankenhausbehandlungen unter Nirsevimab vs. 4,1 Prozent unter Placebo). Die Wirksamkeit zeigte sich über den gesamten Untersuchungszeitraum von 150 Tagen nach Gabe des Antikörpers. Auch in dieser Studie traten Nebenwirkungen unter Nirsevimab und unter Placebo vergleichbar häufig auf.
Die dritte Untersuchung verglich Nirsevimab mit Palivizumab an Frühgeborenen oder Reifgeborenen mit Herz- oder Lungenerkrankungen. Die Kinder erhielten je eine Dosis Nirsevimab, gefolgt von vier Placebogaben oder von fünf Palivizumab-Gaben. Von 616 Kindern entwickelten vier (0,6 Prozent) mit Nirsevimab allein eine behandlungsbedürftige RSV-Erkrankung, mit zusätzlich Palivizumab waren es drei von 309 (1 Prozent). Das Sicherheitsprofil sei bei beiden Antikörpern vergleichbar, fasst die EMA zusammen(„New England Journal of Medicine“: „Safety of Nirsevimab for RSV in Infants with Heart or Lung Disease or Prematurity“) .
Laut der EMA kam es unter Nirsevimab zu Hautausschlag, Fieber und lokalen Reaktionen an der Injektionsstelle.
Welche Nebenwirkungen verursacht Nirsevimab?
Derzeit hat AstraZeneca seinen neuen RSV-Antikörper noch nicht auf dem Markt. Ob Nirsevimab sodann tatsächlich – wie die Indikation sagt – in der breiten Säuglingsbevölkerung eingesetzt wird, wird sich zeigen.
Hier spielt auch die Erstattung seitens der Krankenkassen eine Rolle, und bei Fragen der Wirtschaftlichkeit kommt auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zu Wort. Dieser erachtet beispielsweise Palivizumab nicht grundsätzlich bei Frühgeborenen für sinnvoll, sondern hält Palivizumab nur wirtschaftlich für Babys, die vor der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche zur Welt kamen. Bei Frühgeburten von der 29. bis zur vollendeten 35. Schwangerschaftswoche sei Palivizumab nur nach individueller Abwägung einzusetzen (zugelassen ist Palivizumab für Kinder, die in der 35. Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden).
Zudem beschränkt der G-BA die Gabe des Antikörpers pro Saison auf fünf Dosen – unabhängig davon, wie lange die RSV-Welle dauert –, da der Nutzen für weitere Gaben nicht belegt sei. Das räumt auch die entsprechende Fachinformation ein.
Aktive Impfstoffe gegen RSV noch in der Entwicklung
Wünschenswert wäre auch eine aktive Impfung gegen RSV, woran bereits einige Pharmaunternehmen forschen. Erst Anfang November gab Pfizer positive Ergebnisse der Phase-3-Studie MATISSE(MATernal Immunization Study for Safety and Efficacy) zu seinem RSV-Impfstoffkandidaten bekannt.
Pfizer untersuchte RSVpreF an 7.400 Schwangeren – durch Impfung der Schwangeren sollen die Säuglinge durch die Übertragung mütterlicher Antikörper vor schweren RSV-Infektionen geschützt werden. Ein Prinzip, das bei der Keuchhustenimpfung bereits genutzt wird.
GSK konnte im Juni dieses Jahres über positive Ergebnisse seiner Phase-3-Studie AReSVi 006 mit dem Impfstoffkandidaten (RSVPreF3) gegen RSV berichten, der für ältere Menschen zugelassen werden soll. Die Studie (randomisiert, placebokontrolliert, beobachterverblindet, multizentrisch) untersuchte die adjuvantierte Vakzine bei ab 60-Jährigen.
Auch GSK setzt auf das Fusionsprotein als Antigen, das rekombinant hergestellt und mit dem Adjuvans AS01 (bekannt vom Gürtelrose-Impfstoff Shingrix®) wirkverstärkt ist. Seit November 2022 läuft das Zulassungsverfahren. Daneben will GSK einen weiteren RSV-Impfstoffkandidaten an Schwangeren prüfen.
Darüberhinaus sind Bavarian Nordic, Janssen, Moderna und Novavax bei der RSV-Impfstoffforschung aktiv und untersuchen ihre Kandidaten jeweils gerade in Phase-3-Studien. Eine Übersicht bietet der Verband forschender Arzneimittelhersteller.