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Kurzsichtigkeit: Wie die Entwicklung verzögert wird

Junge mit blauer Brille liegt auf Bett und liest ein Buch
Um eine Kurzsichtigkeit zu verzögern, sollten Kinder beim Lesen ausreichend Abstand zum Buch halten. | Bild: Miljan Živković / AdobeStock

Etwa einer von drei Heranwachsenden auf der Welt ist kurzsichtig – und das Phänomen nimmt stark zu: Bis 2050 werde die Zahl der von Kurzsichtigkeit (Myopie) betroffenen Kinder und Jugendlichen voraussichtlich auf mehr als 740 Millionen steigen, schreibt ein chinesisches Forschungsteam in der Fachzeitschrift „British Journal of Ophthalmology“. Das entspreche weltweit rund 40 Prozent der Heranwachsenden ab fünf Jahren.

Die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit (Myopie) beginnt üblicherweise im Kindesalter. Der Augapfel wächst hierbei zu sehr in die Länge. Der Brennpunkt liegt dann nicht mehr wie bei Normalsichtigkeit auf der Netzhaut, sondern bereits davor. Entfernte Gegenstände werden deshalb unscharf wahrgenommen.

Myopie: Unterschiede nach Geschlecht und Bildungsstand

Die Prävalenz von Myopie hat laut der Studie bereits zwischen 1990 und 2023 stark zugenommen. Während die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen zwischen 1990 und 2010 mit 24 bis 25 Prozent weitgehend stagniert habe, habe sich der Anstieg in den folgenden Jahren beschleunigt. 2023 seien 36 Prozent der Kinder und Jugendlichen kurzsichtig gewesen, heißt es.

Hierbei bestehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Mädchen seien etwas häufiger als Jungen betroffen, was nach Einschätzung der Forschenden unter anderem daran liegt, dass Mädchen tendenziell weniger Zeit im Freien und mehr Zeit mit Aktivitäten verbringen, bei denen sie auf nahe Objekte fokussierten. Auch eine längere Schulbildung und das Leben in einer Stadt steigern die Wahrscheinlichkeit für Kurzsichtigkeit.

Tageslicht schützt vor Kurzsichtigkeit

Für die seit Jahren registrierte Zunahme von Kurzsichtigkeit bei Kindern machen Experten vor allem Verhaltensänderungen wie Aufenthalte in Innenräumen und viel Zeit vor Bildschirmen verantwortlich.

Ein Faktor, der nach Überzeugung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) vor Kurzsichtigkeit schützen kann, ist Tageslicht. Es hemme das Längenwachstum des Augapfels. 

Gerade jetzt, wenn die Tage trüber und früher dunkler werden, sollten Eltern darauf achten, dass ihre Kinder sich ausreichend im Tageslicht aufhalten. Dadurch könne das Risiko für Kurzsichtigkeit halbiert werden, erklärt DOG-Experte Professor Dr. med. Wolf Lagrèze. 

Wie man das Voranschreiten einer Kurzsichtigkeit verlangsamt

Der Augenspezialist empfiehlt noch weitere Verhaltensregeln, um das Voranschreiten einer Kurzsichtigkeit abzubremsen:

  • Kinder sollten täglich zwei Stunden im Freien spielen.
  • Beim Lesen gilt es einen Mindestabstand von 30 Zentimetern zu Buch oder Tablet einzuhalten.
  • Jede halbe Stunde sollten die Kinder beim Lesen eine Pause einlegen und den Blick in die Ferne schweifen lassen.
  • Der Kinderschreibtisch steht am besten am Fenster, sodass der Arbeitsplatz möglichst hell beleuchtet ist.
  • Eine bestehende Kurzsichtigkeit sollte nicht unterkorrigiert werden. Die Annahme, schwächere Brillengläser würden das Augenlängenwachstum bremsen, ist laut DOG falsch. Kinder, deren Kurzsichtigkeit fortschreitet, sollten halbjährlich untersucht werden. Die Brille sollte bei Bedarf an die aktuellen Werte angepasst werden.

Gut zu wissen: körpereigener Schalter gegen Kurzsichtigkeit?

Auf welche Weise eine Kurzsichtigkeit ausgelöst wird, wird immer noch erforscht. Eine neue Erkenntnis besagt, dass die Netzhaut im kurzsichtigen Auge nicht mehr in der Lage ist, das übermäßige Augenlängenwachstum zu erkennen.

Im normalsichtigen Auge sendet die Netzhaut bei zu starkem Wachstum des Augapfels ein wachstumshemmendes Signal aus. Im kurzsichtigen Auge ist dieses Signal zu schwach. 

Nun wollen Forscher klären, warum und wann der Wachstumsregelkreis aus dem Tritt gerät. Ein Wunschziel wäre es, den Regelkreis zu reaktivieren und damit die Entwicklung der Kurzsichtigkeit zu unterbinden.

Off-Label-Einsatz: niedrig dosierte Atropin-Tropfen

Sind beide Elternteile ausgeprägt kurzsichtig, hat das Kind ein erhöhtes Risiko, ebenfalls stark kurzsichtig zu werden. Dann könnte laut DOG eine Off-Label-Therapie mit niedrig dosierten Atropin-Tropfen (0,01 Prozent Atropin) helfen. Dafür kommen Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren infrage, bei denen die Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens eine halbe Dioptrie zunimmt, erläutert Professor Lagrèze.

Eine Alternative zu Atropin-Augentropfen könnten spezielle Kontaktlinsen bieten. Dagegen ist der DOG-Experte zurückhaltend bei Brillen mit Multisegment-Gläsern. Ob sie Kurzsichtigkeit aufhalten können, lasse sich noch nicht abschließend beurteilen. Quelle: Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e.V. (DOG), dpa