Schwere Atemnot bei COVID-19-Infektion von Kleinkindern: Schwere Pseudokrupp-Anfälle durch Omikron?
In drei Viertel aller Fälle stecken hinter Pseudokrupp-Anfällen Atemwegsinfektionen mit dem Parainfluenzavirus. Seltener zeichnen auch RSV (Respiratorische Synzytialviren), Influenza-, Adeno- oder Enteroviren für einen Pseudokrupp verantwortlich. Nun könnte ein weiteres Virus als Pseudokrupp-Ursache bei Kindern diese Liste ergänzen: die Omikron-Variante von SARS-CoV-2.
Pseudokrupp unter Coronaviren
Dass auch Coronaviren Pseudokrupp verursachen, dieser Verdacht ist nicht neu. So wurden bereits „ältere“ – endemische – Coronaviren in Verbindung mit Pseudokrupp-Anfällen gebracht. Selbst zum neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 existieren einzelne Fallberichte, die einen Zusammenhang mit Pseudokrupp nahelegen. Allerdings ist nach wie vor unklar, ob tatsächlich das SARS-CoV-2-Virus ursächlich für die Pseudokrupp-Anfälle war oder eventuell Co-Infektionen mit anderen Viren die Atemnot auslösten.
Studie aus Boston soll Wissenslücke schließen
Um diese Wissenslücke zu schließen, ermittelten Wissenschaftler, wie viele Kinder im Zeitraum von 1. März 2020 (Beginn der Corona-Pandemie) bis 15. Januar 2022 mit SARS-CoV-2-Infektion und klinischen Symptomen eines Pseudokrupps in einem großen Kinderkrankenhaus in Boston (Massachusetts, USA) behandelt wurden (Notaufnahme und stationäre Aufnahme). Ihre Arbeit liegt derzeit noch als Vorabveröffentlichung, Preprint, bei „Pediatrics“ – der wissenschaftlichen Fachzeitschrift der „American Academy of Pediatrics“ – vor.
Eingeschlossen wurden Kinder, die PCR-positiv auf das Coronavirus getestet waren und bei denen Ärzte gleichzeitig eine Laryngotracheitis, also einen Pseudokrupp (ICD-10-Code-basiert) diagnostiziert hatten. Als Omikron-Fall zählte, wer ab dem 4. Dezember 2021 ins Krankenhaus kam.
Zur Erinnerung: Was ist Pseudokrupp?
Pseudokrupp-Anfälle – auch stenosierende Laryngotracheitis oder subglottische Laryngitis, vereinfacht auch „Krupp“ genannt – zählen zu den Klassikern der pädiatrischen Notfallambulanz bei Kindern zwischen drei Monaten und fünf Jahren (Häufigkeitsgipfel im Alter von 1,5 Jahren) im Winter.
Die (meist) virale Infektion des Kehlkopfes (Larynx) und der Luftröhre (Trachea) lassen die dortigen Schleimhäute anschwellen. Die bei Kindern ohnehin engen Atemwege verengen sich folglich zusätzlich. Es kommt zu Heiserkeit, einem bellenden Husten und rauen Einatemgeräuschen (Stridor).
In schweren Fällen leiden die Kinder an akuter Atemnot, die Atmung geht schnell und oberflächlich, die Rippen ziehen sich ein – was bei Eltern und Kind oft zu Panik führt.
Die Anfälle treten vorzugsweise in der Nacht auf, da – dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte zufolge – das flache Liegen sowie die nächtlich niedrigen körpereigenen Kortisolspiegel das Anschwellen der Schleimhäute begünstigen. Quelle: https://www.amboss.com/de/wissen/Pseudokrupp
Omikron infiziert obere Atemwege
In der Tat scheint – verglichen mit früheren besorgniserregenden Varianten von SARS-CoV-2 – vor allem Omikron bei Pseudokrupp-Anfällen ursächlich zu sein. Grund könnte sein, dass frühere Virusvarianten vornehmlich die unteren Atemwege infizierten, Omikron nun hingegen die oberen Atemwege bevorzugt. Bei Kleinkindern mit ohnehin kleinen und engen Atemwegen könnte Omikron somit schwere Verläufe und Pseudokrupp-Anfälle mit Atemnot begünstigen.
Konnten die Wissenschaftler diese mögliche Erklärung durch erhöhte Pseudokrupp-Häufigkeiten während der Omikron-Welle im Bostoner Kinderkrankenhaus erhärten?
Mehr Pseudokrupp-Fälle in der Omikron-Welle
Im dortigen Krankenhaus wurde insgesamt seit Beginn der Corona-Pandemie bei 75 Kindern ein COVID-19-assoziierter Pseudokrupp diagnostiziert – und bei den meisten Kindern (81 Prozent) während der Omikron-Welle. Den Wissenschaftlern zufolge stieg die wöchentliche Fallzahl (SARS-CoV-2 plus Pseudokrupp) signifikant ab dem Zeitpunkt, an dem Omikron dominierte.
Die meisten Kinder, die einen Pseudokrupp entwickelten, waren männlich (72 Prozent) und jünger als zwei Jahre, was typisch für Pseudokrupp ist. Zudem verließen nahezu alle Kinder (88 Prozent) die Notaufnahme ohne stationäre Aufnahme.
Blieben die Kinder stationär (n=9, 12 Prozent), so dauerte ihr Aufenthalt im Median 1,7 Tage, vier Kinder (44 Prozent der stationären Kinder, 5 Prozent aller erkrankten Kinder) benötigten intensivmedizinische Betreuung, jedoch musste keines der Kinder invasiv beatmet werden oder starb.
Mehr Kinder mit Pseudokrupp im Krankenhaus seit Corona
Vor Corona war dies anders: Zuvor kamen weniger als 5 Prozent (während Corona 12 Prozent) der Kinder mit Krupp ins Krankenhaus. Das zeigt eine Arbeit, veröffentlicht 2018 im Fachjournal „American Family Physician“(„Croup: Diagnosis and Management“) .
Gut zu wissen: Was hilft bei Pseudokrupp-Anfällen?
In den meisten Fällen hilft es bereits, wenn die Eltern
- Ruhe bewahren,
- das Kind auf den Arm nehmen und aufsetzen,
- das Kind an ein geöffnetes Fenster, auf den Balkon oder ins Badezimmer bringen und es dort feuchte und kalte Luft einatmen lassen.
Wenn sich das Kind wieder beruhigt hat, sollte es in kleinen Schlucken kühle Flüssigkeit (Wasser oder kalter Tee – keine Milch) trinken.
In schweren Fällen – bei Atemnot und angestrengter Atmung – und Nichtansprechen auf die erwähnten Maßnahmen zu Hause sollten die Eltern einen Arzt aufsuchen (oder den Notarzt rufen). Bei schwerer Atemnot besteht akute Lebensgefahr!
Die medikamentöse Behandlung eines schweren Pseudokrupp-Anfalls erfolgt mit Kortisonpräparaten, die vorwiegend als Zäpfchen (z. B. Rectodelt®) zu verabreichen sind oder als oraler Saft, wobei der Saft schneller wirkt als eine rektale Gabe.
Kortison bewirkt das Abschwellen der Schleimhäute und erleichtert dem Kind dadurch die Atmung. Bei schweren Fällen lassen Ärzte die Kinder zudem Adrenalin inhalieren.
Pseudokrupp-Behandlung mit Kortison und teils Epinephrin
Nahezu alle Kinder erhielten als Behandlung das Kortikoid Dexamethason (97 Prozent). Die stationären Kinder inhalierten zudem Epinephrin (Adrenalin), was mittelschweren bis schweren Pseudokrupp-Anfällen vorbehalten ist (in der Notaufnahme: 29 Prozent der Kinder). Stationär aufgenommene Kinder benötigten im Median sechs Kortison- und acht Epinephrindosen, um ihre Symptome zu lindern – und damit wohl mehr Dosen als sonst bei Pseudokrupp-Anfällen üblich.
Einem Cochrane-Review(„Glucocorticoids for croup in children“) aus dem Jahr 2018 zufolge hält die Wirkung von Glukokortikoiden bei Pseudokrupp „mindestens“ 24 Stunden an – die Kinder im Bostoner Krankenhaus hatten nun jedoch innerhalb von 1,7 Tagen (Zeit bis zur Entlassung) sechs Kortison-Dosen (Median) erhalten.
Keine anderen Virusinfektionen
Auch konnten die Wissenschaftler die Vermutung erhärten, dass tatsächlich Omikron ursächlich für die Pseudokrupp-Anfälle zeichnet und nicht etwa andere Viren: Nur ein einziges Kind war zusätzlich mit Rhinoviren infiziert, bei allen anderen Kindern, die auf weitere Viren getestet worden waren, waren diese Testergebnisse negativ.
Besonders schwere Krupp-Verläufe
Die vorläufigen Ergebnisse der Studie liefern den Wissenschaftlern zufolge damit „überzeugende Beweise“, dass Omikron Pseudokrupp-Anfälle auslöst: Mit Beginn der Omikron-Welle ab Dezember 2021 seien die Krupp-Diagnosen „stark“ gestiegen – frühere Varianten und Corona-Wellen hingegen hätten nicht zu mehr Laryngotracheobronchitis-Diagnosen geführt.
Allerdings fehlt eine Typisierung der Viren, sodass die Forscher lediglich davon ausgehen können, dass, mit Dominanz der Omikron-Welle ab Dezember 2021, diese Variante auch für alle aufgetretenen Pseudokrupp-Fälle ursächlich war.
Den Wissenschaftlern fiel zudem die hohe Hospitalisierungsrate während Omikron und die große Zahl an Kortison- und Epinephrin-Dosen auf, die die Kinder zur Kupierung der Anfälle – verglichen mit Pseudokrupp-Erkrankungen durch andere Viren – erhalten hatten.
Mögliche Verzerrungen der Studie
Allerdings schränkten sowohl die retrospektive Analyse (Daten werden im Nachhinein bewertet) während eines sehr eng umrissenen Zeitrahmens wie auch die kleine Fallzahl die Verallgemeinerung ihrer Ergebnisse ein, erklären die Forscher. Auch könnten sie nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass tatsächlich keine Co-Infektionen mit anderen Viren vorlagen, da keine „umfassenden Virustests“ zur Verfügung gestanden hätten.
Dennoch: Auch wenn die meisten Fälle von Krupp ambulant mit Dexamethason in Griff zu kriegen waren, ließen die „relativ hohe Krankenhauseinweisungsrate und die große Anzahl von Medikamentendosen, die die COVID-19-Krupp-Patienten benötigten, vermuten, dass COVID-19 im Vergleich zu anderen Viren einen schwereren Krupp verursachen könnte“, erklärt Dr. Ryan Brewster vom Boston Children’s Hospital in Boston, einer der Wissenschaftler. Weitere Forschung sei erforderlich, um die besten Behandlungsmöglichkeiten für diese Kinder zu ermitteln.